Freitag, 29. März 2024

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Annäherung an Israel
"Die arabischen Staaten haben vor den USA kapituliert"

Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate wollen ihre Beziehungen zu Israel normalisieren. Der Schritt habe wirtschaftliche und politische Vorteile für die Golfstaaten, Israel und die USA, erklärte Nahost-Experte Michael Lüders im Dlf. Verlierer seien die Palästinenser – ihre Chance auf Selbstbestimmung schwinde.

Michael Lüders im Gespräch mit Jasper Barenberg | 15.09.2020
Palästinenser im Gaza-Streifen protestieren im September 2020 gegen die Verträge zur Normalisierung der Beziehungen der Golfstaaten Bahrain und Vereinigte Arabische Emirate mit Israel
Protest gegen die Verträge zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den beiden Golfstaaten (picture alliance / newscom / Ismael Mohamad)
Gute nachbarschaftliche Beziehungen zu Israel – das haben die allermeisten arabischen Staaten bisher kategorisch von einem Friedensschluss Israels mit den Palästinensern abhängig gemacht. Nur Ägypten und Jordanien unterhalten bisher diplomatische Beziehungen zur Regierung in Jerusalem. Jetzt kommen zwei weitere arabische Staaten hinzu: Nach den Vereinigten Arabischen Emiraten hat auch das Königreich Bahrein angekündigt, Botschafter nach Jerusalem zu entsenden. Entsprechende Vereinbarungen sollen am 15.09.2020 in Washington DC unterzeichnet werden – in Anwesenheit von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, vorangetrieben und vermittelt von den USA. Donald Trump reklamiert diese Entwicklung für sich einen historischen Durchbruch.
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Auch der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüderssieht in den Entwicklungen einen außenpolitischer Erfolg für die Regierung Trump. "Die arabischen Staaten haben, wenn man so will, kapituliert vor der doch sehr großen politischen und wirtschaftlichen Macht der USA und versprechen sich natürlich gute Beziehungen auch mit Israel", sagte er im Dlf.
Den Preis zahlten die Palänstinenser, die ihre Chancen auf einen eigenen Staat schwinden sähen. Sie erwarte – zugespitzt gesagt – ein Schicksal ähnlich wie die Ureinwohner Nordamerikas: "Sie werden irgendwann in Reservate verschickt werden und nicht mehr die Möglichkeit haben, ihre Zukunft selber zu bestimmen. Es gebe keinerlei Bereitschaft der amerikanischen oder der israelischen Administration, den Palästinensern ein eigenes staatliches Projekt zuzugestehen, so Lüders. "Es wird hinauslaufen auf eine südafrikanische Lösung in der Zeit der Apartheid, das heißt Bantustan, die ihre begrenzte lokale Autonomie haben, aber nicht territorial miteinander verbunden sind."

Das Interview im Wortlaut:
Jasper Barenberg: Kehren wir vielleicht an den Anfang zurück und an das, was wir von Donald Trump gehört haben. Ist das vielleicht kein historischer Durchbruch unbedingt, aber doch zweifellos ein außenpolitischer Erfolg für den amerikanischen Präsidenten?
Michael Lüders: Das ist auf jeden Fall gegeben. Es ist ein außenpolitischer Erfolg für die Regierung Trump, eingefädelt ganz maßgeblich von seinem Schwiegersohn Jared Kushner. Das ist insoweit ein Phänomen, als der ja gar kein politisches Amt bekleidet und quasi am amerikanischen Außenministerium vorbei in den letzten Jahren Nahost-Politik betrieben hat - aus seiner Sicht, aus Sicht der Regierung Trump mit Erfolg. Den Preis zahlen natürlich die Palästinenser, die ihre Chancen auf einen eigenen Staat schwinden sehen, und wenn man sich mal näher anschaut, worum es bei diesen Friedensvereinbarungen geht, dann muss man sagen, dass es vor allem einen enormen Zugewinn geben wird für die amerikanische Rüstungsindustrie, die nunmehr neue Märkte erschließen kann, die bislang verschlossen waren aufgrund des Vetos Israels, das kein Interesse daran hatte, dass hoch moderne Waffen etwa an die Arabischen Emirate geliefert werden.
"Israel in zweifacher Hinsicht großer Gewinner"
Barenberg: Gewinner könnte oder wird auch Israel sein, ist meine Frage, weil man in Israel vor allem wirtschaftliche Chancen sieht der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit diesen beiden Staaten?
Lüders: In der Tat, es ist so. Auch Israel ist natürlich in zweifacher Hinsicht ein großer Gewinner. Zum einen redet wie erwähnt kaum noch jemand von einem palästinensischen Staat und zum anderen wird nunmehr insbesondere die Rüstungszusammenarbeit intensiviert werden. Es gab schon in der Vergangenheit sehr enge Zusammenwirkung zwischen den Arabischen Emiraten insbesondere und Israel auf militärischem Gebiet. Das ging so weit, dass beispielsweise die Emirate ein Verbindungsbüro auf Zypern gegründet hatten, das es israelischen Söldnern erlaubte, für die Emiratis tätig zu werden. Die Insel Sokotra, die zu dem Jemen gehört, wurde vor Monaten schon von den Emiratis besetzt und es gibt ein Nachdenken darüber, dort gemeinsam zwischen dem Emiratis und den Israelis diese Insel als militärischen Vorposten gegen den Iran gewissermaßen auszurichten.
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Mehr US-Rüstungsexporte in Golfstaaten
Barenberg: Ich habe es ganz am Anfang erwähnt: Bisher galt für die allermeisten arabischen Staaten ja der Grundsatz, keinerlei normale Beziehungen, keinerlei diplomatische Beziehungen zu Israel, solange der Konflikt mit den Palästinensern nicht zur Zufriedenheit aller Seiten gelöst ist. Warum weichen jetzt arabische Staaten mehr und mehr von dieser Linie ab?
Lüders: Es sind vor allem die arabischen Golf-Staaten, die das tun. Das hat wirtschaftliche Gründe, massiven Druck aus den USA, und es ist die Hoffnung, den eigenen Systemerhalt befördern zu können. Es gab ja 2011 zum Beispiel in Bahrein eine massive Protestbewegung gegen das dortige Regime. Bahrein ist ein Staat gerade mal von der Größe Hamburgs, aber es lebt dort eine schiitische Bevölkerungsmehrheit unter der Ägide eines sunnitischen Königshauses, das im Grunde genommen weitgehend an den Interessen Saudi-Arabiens angedockt hat, und die Demokratiebewegung dort ist 2011 durch saudische Panzer, die über die Brücke in Richtung Bahrein einmarschiert waren, niedergeschlagen worden.
Die Regime sowohl in Bahrein wie auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten wissen natürlich, dass durch den Frieden mit Israel und die enge Anbindung an die USA das Überleben ihrer eigenen Regime auf lange Zeit gesichert ist. Keine Demokratiebewegung wird in diesen Ländern mehr eine Chance haben, die bestehenden Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Und wie erwähnt: Für die amerikanische Rüstungsindustrie tun sich hier immense Chancen auf. Die Rüstungsexporte der USA sind im letzten Jahr weltweit um 42 Prozent angewachsen. Das entspricht einem Zuwachs von 70 Milliarden US-Dollar. Und ein nicht unerheblicher Teil entfällt hier auf die arabischen Golf-Staaten, allen voran Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Palästinenser "werden irgendwann in Reservate verschickt"
Barenberg: Jetzt rechnen ja viele Beobachter damit, dass auf diese beiden, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate, demnächst noch weitere Kandidaten für eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel folgen könnten. Oman ist da im Gespräch, Kuwait, Sudan, von Katar ist manchmal die Rede, selbst von Marokko. Wie sehr bricht da diese Phalanx innerhalb der arabischen Staaten und wie sehr müssen die Palästinenser fürchten, dass sie hinten herüberfallen?
Lüders: Die Palästinenser erwartet, zugespitzt gesagt, ein Schicksal, ähnlich wie die Indianer Nordamerikas. Sie werden irgendwann in Reservate verschickt werden und nicht mehr die Möglichkeit haben, ihre Zukunft selber zu bestimmen. Wie im Einzelnen ihr Weg sein wird, das können wir heute nicht mit Sicherheit sagen, aber es gibt keinerlei Bereitschaft der amerikanischen oder der israelischen Administration, den Palästinensern ein eigenes staatliches Projekt zuzugestehen. Es wird hinauslaufen auf eine südafrikanische Lösung in der Zeit der Apartheid, das heißt Bantustane, die ihre begrenzte lokale Autonomie haben, aber nicht territorial miteinander verbunden sind.
Siedeln auf palästinensischem Land de facto weiter möglich
Barenberg: Herr Lüders, wenn ich da einhaken darf? Daran ändert auch nichts, dass Israel jedenfalls für den Moment einen Preis ja zahlt für die Normalisierung der Beziehungen zu den beiden Staaten, dass sie zunächst einmal jeden Plan aussetzt, Gebiete im besetzten Westjordanland zu annektieren.
Lüders: Ja, das Schlüsselwort ist Aussetzung. Das bedeutet, dass die de facto schleichende Annexion der palästinensischen Gebiete im Westjordanland natürlich weitergeht. Aber die formale Annexion, die wird man erst mal verschieben auf die Zeit nach den Wahlen in den USA. Das mag im nächsten, übernächsten Jahr stattfinden. Vielleicht wartet man damit auch. Das ist alles gar nicht entscheidend, denn de facto können die israelischen Siedler weiterhin palästinensisches Land sich zu eigen machen, und das ist der Weg, den es auch weiterhin geben wird. Die arabischen Staaten haben, wenn man so will, kapituliert vor der doch sehr großen politischen und wirtschaftlichen Macht der USA und versprechen sich natürlich gute Beziehungen auch mit Israel. Das ist ja im Kern auch gut, dass diese ehemals verfeindeten Staaten zusammenfinden.
Donald Trump (r), Präsident der USA, und Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, treffen zu einer Zeremonie im Ostsaal des Weißen Hauses ein.
Avi Primor: Kein historischer Tag
Israel habe mit den Golfstaaten schon seit Jahren wichtige Beziehungen, sagte Avi Primor im Dlf. Der ehemalige Botschafter Israels erklärte, dass die Vereinbarung lediglich Kontakte auf diplomatischer Ebene ermögliche.
Regelung zur Al-Aqsa-Moschee "Dynamit"
Interessant ist, dass Saudi-Arabien diesem Friedensschluss bislang nicht beizutreten gedenkt. Das ist insoweit bemerkenswert, als Saudi-Arabien und der dortige Kronprinz Mohammed Bin Salman in der Vergangenheit sehr, sehr eng mit Jared Kushner zusammengearbeitet haben, um den Frieden voranzubringen. Israelische Flugzeuge dürfen Saudi-Arabien überfliegen und eine hochrangige saudische Delegation war in Israel. Doch es wird vorerst wahrscheinlich keinen Friedensvertrag geben zwischen Saudi-Arabien und Israel.
Der Grund ist, dass in diesem Vertrag mit Bahrein und den Vereinigten Arabischen Emiraten, der heute unterschrieben wird, ein Passus enthalten ist, der die Al-Aqsa-Moschee im Grunde genommen öffnet für Betende auch anderer Religionen, also auch für Juden und Christen – für sich genommen nichts dagegen zu sagen. Nur das Problem ist: Es gibt radikale jüdische Gruppierungen in Israel, die davon träumen, die Al-Aqsa-Moschee perspektivisch doch mehr und mehr an den Rand zu drängen in der Hoffnung, den dritten jüdischen Tempel wiederaufbauen zu können. Der zerstörte zweite jüdische Tempel befand sich ja genau dort, wo jetzt die Al-Aqsa-Moschee steht, damals von den Römern zerstört. Und der Rest, der noch geblieben ist, ist die jüdische Klagemauer.
Es gibt hier ein wirkliches Dynamit, das gezündet worden ist, denn wenn radikalisierte Siedler beispielsweise auf die Idee kommen, auf dem Al-Aqsa-Gelände zu beten, was sie nunmehr tun können nach diesem neuen Vertrag, dann wird das Ganze sehr schnell zu großen Spannungen zwischen Juden und Muslimen führen, und damit ist de facto die jordanische Oberhoheit über die Al-Aqsa-Moschee, die es bislang gegeben hat um das Territorium, das 14 Hektar umfasst, aufgehoben, und das ist wirklich Sprengsatz.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.