Dienstag, 23. April 2024

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Annäherung von Süd- und Nordkorea
"Eine Wiedervereinigung ist noch Lichtjahre entfernt"

Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff hat zurückhaltend auf die Ankündigung Nordkoreas reagiert, seine Atom- und Raketentests aussetzen zu wollen. Es handele sich noch immer um das brutalste kommunistische Regime, das es weltweit gebe, sagte Lambsdorff im Dlf. Der Dialogprozess mit dem Land stehe noch am Anfang.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Dirk Müller | 23.04.2018
    Alexander Graf Lambsdorff blickt in eine Kamera. Er schaut sehr ernst.
    Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff wird neuer Botschafter Deutschlands in Russland. (dpa/picture-alliance/Monika Skolimowska)
    Dirk Müller: Dieser Konflikt gilt als eine der international gefährlichsten Krisen: Die Auseinandersetzung um das nordkoreanische Atomprogramm. Manche sehen die Welt zuletzt am Rande eines Nuklearkrieges, auch wegen der martialischen Drohkulisse von Donald Trump. Wir haben es eben gehört. Und dann kamen die Olympischen Spiele, dann kamen Gespräche, Verhandlungen, Tauwetter, Verabredungen zu gleich mehreren Gipfeltreffen. Und nun das an diesem Wochenende: Kim Jong-un bietet an, weitere Raketenstarts und Atomtests zu streichen – zuerst jedenfalls, vorläufig. Und der amerikanische Präsident schreibt diesen Schritt auf seine eigene Fahne. – Am Telefon ist nun der FDP-Außen- und Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff, der seit September Mitglied im Deutschen Bundestag ist. Guten Morgen!
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Kann Donald Trump auch mal etwas Gutes machen?
    Graf Lambsdorff: Natürlich kann auch Donald Trump mal etwas Gutes machen. Aber ich würde die Aussage von Kim Jong-un, was die Aussetzung der Tests angeht, jetzt erst einmal mit ein bisschen Vorsicht zur Kenntnis nehmen, denn kurz vor einem solchen Treffen wie dem mit dem südkoreanischen Präsidenten, das ja am Freitag ansteht, ist eine solche Ankündigung natürlich auch dazu geeignet, den Gesprächspartner erst einmal zu verunsichern, Unklarheit über die eigenen Absichten zu schaffen. Ich bin nicht sicher, ob das eine, in jeder Hinsicht lang anhaltende, dauerhafte positive Maßnahme ist, oder nicht vielleicht doch eine taktische, durchaus sehr rationale Ankündigung, um die Gesprächspartner auf dem falschen Fuß zu erwischen.
    "Mit Konzentrationslagern, mit schwersten Menschenrechtsverletzungen"
    Müller: Skepsis, Misstrauen gehört dazu?
    Graf Lambsdorff: Gegenüber Nordkorea und seinem Regime ist Misstrauen, ist Skepsis zu jedem Zeitpunkt angesagt. Es handelt sich noch immer um das brutalste kommunistische Regime, das wir haben, mit Konzentrationslagern, mit schwersten Menschenrechtsverletzungen, mit einer völlig abgeschotteten und indoktrinierten Bevölkerung und einer regierenden Kaste der Kim-Dynastie, die sich gottgleich verehren lässt. Mit anderen Worten: Wenn man bei dem Land nicht Skepsis aufbrächte, dann täte man, glaube ich, der Situation Unrecht.
    Müller: Das ist vermutlich auch unstrittig in der westlichen Welt zumindest. Selbst in China wird das ja kritisch gesehen. Aber dennoch: Es war eine klare Aussage, klar und deutlich jedenfalls auch in den nordkoreanischen Medien transportiert an diesem Wochenende beziehungsweise gestern auch noch einmal direkt und indirekt bestätigt. Welche Erklärung haben Sie dafür, dass Kim jetzt diesen Schritt macht?
    Graf Lambsdorff: Ich glaube, dass die Ankündigungen jetzt vom Wochenende auch etwas damit zu tun haben, dass er seiner eigenen Bevölkerung erst einmal erklären muss, dass sich hier etwas tut, dass es Gespräche gibt. Es ist ja erst das dritte Gipfeltreffen überhaupt seit Ende des Krieges zwischen Nord- und Südkorea. Da muss er etwas erklären, was da passiert.
    Das Zweite ist: Er hat ja die Aussetzung, die vorläufige Aussetzung von Nukleartests und Raketenerprobungen damit begründet, dass das Programm abgeschlossen sein. Von einer nachhaltigen Denuklearisierung, wie Südkorea sie will, ist überhaupt nicht die Rede.
    Und man darf zum Dritten nicht vergessen, dass ja am Horizont auftaucht ein Treffen zwischen Kim Jong-un und dem Präsidenten der USA. Die USA sind im Verständnis Nordkoreas und auch der nordkoreanischen Bevölkerung der Ankerpunkt, der Hegemon einer feindseligen Welt, und wenn man dort jetzt auf Augenhöhe empfangen wird, wenn man auf Augenhöhe miteinander sprechen kann, dann ist das ein Prestige-Gewinn für Kim Jong-un, der seinem Vater und seinem Großvater immer versagt geblieben ist. Mit anderen Worten: Auch aus nordkoreanischer Sicht tut sich hier viel, und das muss auch der eigenen Bevölkerung erklärt werden.
    "Nordkorea ist ein umzingeltes Land"
    Müller: Sie reden von Augenhöhe, Herr Lambsdorff. Das heißt, die Atomfähigkeit Nordkoreas ist Voraussetzung dafür, dass er nun gesprächsbereit ist?
    Graf Lambsdorff: Absolut. Die nordkoreanische Propaganda ist in der Hinsicht völlig eindeutig. Nordkorea ist ein umzingeltes Land. Die Welt ist feindselig. Die USA trachten nach der Vernichtung Nordkoreas und seiner Menschen. Einzig die nordkoreanische Nuklearbewaffnung schütze das Land vor dem Untergang, so ist die nordkoreanische Propaganda. Das heißt, es geht hier um ein Gespräch zwischen zwei Nuklearmächten auf "Augenhöhe". So sieht Kim Jong-un das, so stellt er es dar. Und es ist in der Tat ja auch ungewöhnlich, dass es zu diesem Treffen kommt. Damit hat in der Tat auch im Westen niemand gerechnet, bis Donald Trump sich dazu bereit erklärt hat.
    Müller: Warum sollte Nordkorea beispielsweise im Gegensatz zu Pakistan, zu Indien nicht das Recht haben, nukleare Kapazitäten aufzubauen?
    Graf Lambsdorff: Nordkorea ist, glaube ich, kein Signatarstaat des Nicht-Verbreitungs-Vertrages. Insofern hätte es sogar das Recht. Es ist aus Sicht des Regimes, der Regierung auch rational, denn das Atomprogramm hat sich in der Vergangenheit immer wieder erwiesen als ein wirksamer Hebel, um Wirtschaftshilfen, um Nahrungsmittelhilfen zu erpressen. Indem man die Bedrohungsspirale nach oben schraubte, kam es dann zu Treffen, bei denen dann große Hilfen zugesagt wurden. Da die Wirtschaft des Landes am Boden liegt – ungefähr ein Viertel des Haushaltes fließt ja ins Militär -, war das Atomprogramm doppelt nützlich, und ich glaube, dass von daher auch nicht damit zu rechnen ist, dass Kim Jong-un auf Dauer das Nuklearprogramm aufgeben wird.
    Mit China einen starken Verbündeten im Rücken
    Müller: Aber noch mal die Frage. Ist es legitim?
    Graf Lambsdorff: Na ja. Wenn man es ganz realpolitisch betrachtet, um sich selber zu schützen, dann wäre es legitim seitens Nordkoreas, Nuklearwaffen zu entwickeln. Auf der anderen Seite glaube ich, dass es mit China im Rücken einen starken Verbündeten hat, eine legitime Nuklearmacht auch nach Nicht-Verbreitungs-Vertrag, die sicher dafür sorgen würde, dass die Existenz des Regimes durch westlichen Einfluss, westliche Maßnahmen nicht gefährdet werden könnte. Es ist von daher nicht unbedingt notwendig, außer als Erpressung.
    Müller: Aber Sie sagen immer aus Sicht Nordkoreas. Jetzt frage ich Sie als Realpolitiker, dafür sind Sie ja auch bekannt, der auch gerade die Machtbalance im internationalen Konflikt, im internationalen Weltgeschehen ja immer wieder anführt als Checks and Balances, als wichtiger Faktor für die Stabilität. Ich habe das ganz bewusst genannt: Indien, Pakistan. Andere sagen potenziell Iran, andere wiederum führen auch Israel auf – alles Staaten, wo das sehr umstritten ist, dass sie nuklearfähig sind. Warum aus Sicht des Realpolitikers dann nicht auch Nordkorea?
    Graf Lambsdorff: Ich habe das ja gerade gesagt. Aus der Sicht des nordkoreanischen Regimes, das ja diese Entscheidung getroffen hat, ist die Bewaffnung mit Nuklearwaffen legitim. Ob sie legal ist, hängt davon ab, ob Nordkorea den Nicht-Verbreitungs-Vertrag unterschrieben hat. Das müsste man prüfen. Das weiß ich jetzt nicht.
    "An die Fragen herangehen, die wirklich entscheidend sind"
    Müller: … was de facto dann auch keine Rolle spielt.
    Graf Lambsdorff: Das würde dann de facto keine Rolle spielen. Aber dann hätte man die Frage der Legitimität und der Legalität. Ich glaube, dass man es rein machtpolitisch, losgelöst von rechtlichen Betrachtungen, aus Sicht des Regimes als legitim erachten kann, aber wirklich aus einer rein machtpolitischen Situation.
    Müller: Auch aus Ihrer Sicht?
    Graf Lambsdorff: Nein! Meine Sicht ist die, dass es natürlich sinnvoll wäre, man strebt nukleare Abrüstung auf der koreanischen Halbinsel an. Nordkorea hat die Garantiemacht China als legitime und legale Nuklearmacht. Südkorea ist so wie Deutschland auch unter dem amerikanischen Nuklearschirm. Und man kann dann an die Fragen herangehen, die auf der koreanischen Halbinsel wirklich entscheidend sind: humanitäre Fragen, Menschenrechtsfragen, Familienzusammenführung, Wirtschaftsentwicklung. Ich glaube, dann treten andere Fragen in den Vordergrund, die für die Menschen jedenfalls wichtiger wären als die Frage der Nuklearbewaffnung.
    "Über Wiedervereinigung redet zurzeit noch niemand"
    Müller: Meine Frage dieser Nuklearbewaffnung, Herr Lambsdorff, zielt ja in die Richtung ab, dass wenn diese Nuklearkapazitäten jetzt bestehen, auch den atomaren Schlag in welcher Form auch immer auszuführen, dann könnte es sein – das ist jetzt meine Frage, das ist dann die These -, dass dieser ganze Konflikt aufgrund dieser Augenhöhe und dieser vermeintlichen Gleichberechtigung, die jetzt hergestellt worden ist, dann doch noch irgendwie gelöst werden könnte?
    Graf Lambsdorff: Na ja, was heißt Lösung des Konflikts. – Eine Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel, darüber redet zurzeit noch niemand. Man steht hier ganz, ganz, ganz am Anfang möglicherweise eines Dialogprozesses. Wir wissen noch nicht, ob der Dialogprozess fortgesetzt werden wird nach den beiden Gipfeltreffen, und eine Lösung der koreanischen Frage im Sinne einer Wiedervereinigung, die ist Lichtjahre entfernt.
    Müller: Ein, sagen wir, friedliches Nordkorea wäre ja schon mal ein Schritt.
    Graf Lambsdorff: Exakt! Das wollte ich gerade sagen. Eine friedliche Koexistenz, eine Annäherung, so wie wir das auch in Europa in den 70er- und 80er-Jahren hatten, das wäre schon ein Fortschritt. Und dann kommen wir genau auf die Themen, die ich gerade angesprochen habe: Familienzusammenführung, Menschenrechtsfragen und andere. Man darf ja nicht vergessen: In Südkorea wird das sehr lebhaft diskutiert. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass der Präsident Moon Jae-in sich mit Kim Jong-un trifft. Die konservative Opposition sieht das ausgesprochen kritisch. Menschenrechtsgruppen in Südkorea sehen das ausgesprochen kritisch wegen der Fragen, die ich gerade angesprochen habe.
    Müller: Jetzt reden wir zum Schluss noch einmal über Donald Trump. Auch da steht ja jetzt im Raum, wie der Präsident das selbst zum Teil jetzt auch getwittert hat, das ist Verdienst der amerikanischen Politik, Verdienst auch eventuell dieser Drohkulisse. War das richtig, dass Donald Trump entgegen vieler Kritiker ja auch im Westen im Grunde gesagt hat, ihr müsst aufpassen, sonst schlagen wir zu, wir lassen uns da nichts gefallen? Das sind ungewöhnliche Töne in dem Punkt aus dem Weißen Haus. Barack Obama hat das ja nie so formuliert. War es richtig, dass Donald Trump diesmal diese Worte gewählt hat?
    Graf Lambsdorff: Ich halte den Tonfall für unangebracht in der internationalen Politik, einem anderen Land die totale Zerstörung anzudrohen.
    Mit unermesslichem menschlichem Leid verbunden
    Müller: Aber wir reden über Nordkorea.
    Graf Lambsdorff: Ja, trotzdem. Auch da ist die totale Zerstörung eines Landes ja mit unermesslichem menschlichem Leid verbunden. Insofern halte ich das für nicht angebrachte Rhetorik. Ich glaube, dass das, was Nordkorea tatsächlich hier jetzt dazu gebracht hat, auf einen Kurs einzuschwenken, der Richtung Dialog zeigen könnte, das waren Signale, die unterhalb der Ebene Donald Trumps kamen, dass es auf ein Gipfeltreffen hinauslaufen könnte, was ja dann vom Präsidenten der Vereinigten Staaten auch bestätigt worden ist. Dieser Prestige-Gewinn – das darf man nicht vergessen -, dieser Prestige-Gewinn wird innerhalb Nordkoreas, aber auch global nicht unbemerkt bleiben. Das ist der große diplomatische Durchbruch für Kim Jong-un, wenn es ihm gelingt, mit Donald Trump an einem Tisch zu sitzen. Noch ist nicht ganz sicher, ob es dazu kommen wird. Erst mal wird der innerkoreanische Gipfel stattfinden. Auch das ist ein bemerkenswerter Schritt. Aber ich glaube, dass diese Perspektive eher ausschlaggebend war. Mit anderen Worten: Verständigung auf Augenhöhe von Atommacht zu Atommacht, mit den USA als diese martialische Rhetorik vor den Vereinten Nationen.
    Müller: Der FDP-Außen- und Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke für Ihre Zeit, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Graf Lambsdorff: Ihnen auch. – Danke sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.