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Annan-Friedensplan "ist zumindest ein Fortschritt"

Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, hofft, dass "das Töten aufhört". Vorteilhaft sei die Unterstützung des Friedensplans durch Russland und China. Für den syrischen Diktator Assad beinhalte deshalb ein erneutes Nichteinhalten ein "politisches Risiko", die Duldung der beiden Staaten zu verlieren.

Rainer Stinner im Gespräch Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Die syrische Regierung hat den Friedensplan des UN-Sondergesandten Kofi Annan akzeptiert. Das war die Nachricht des gestrigen Nachmittags. Der Plan beinhaltet einen sofortigen Waffenstillstand zwischen den beteiligten Parteien, den Abzug schwerer Waffen aus Wohngebieten und humanitäre Hilfe für die Bevölkerung. Die Reaktionen sind vor allem skeptisch. Erst einmal gab es im Land selbst auch wenig von Frieden zu spüren.

    - Am Telefon ist jetzt Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Guten Tag, Herr Stinner.

    Rainer Stinner: Guten Morgen!

    Kaess: Herr Stinner, ist dieser Friedensplan jetzt die Lösung?

    Stinner: Die Lösung nicht, aber es ist zumindest ein Fortschritt. Und der Fortschritt ist, dass zugestimmt worden ist, und man muss sehen, dass der Fortschritt unter anderem deswegen erreicht werden konnte, weil Herr Annan im Gegensatz zu den vorherigen Plänen der Arabischen Liga und auch der Vereinten Nationen nicht ultimativ zunächst einen Rücktritt von Präsident Assad gefordert hat. Das mag man sehr bedauern, aber für mich steht im Vordergrund: Das primäre Ziel muss sein, das Morden, das tägliche Töten, den Bürgerkrieg zu stoppen. Und danach kann man dann weitersehen. Aber das ist das Wichtigste im Augenblick, während offensichtlich bei den vorigen Plänen das Wichtigste war (auch der Opposition), Assad muss weg und dann sehen wir weiter. Und das hat bisher nicht geklappt. Und wenn dieser Weg jetzt dazu führt, dass zunächst mal das Schießen aufhört, dann ist das ein Fortschritt.

    Kaess: Dass es gestern noch Kämpfe mit Toten auch in Syrien gab, wie ist das zu deuten?

    Stinner: Also, der Plan ist ja jetzt angenommen worden. Der Plan von Annan sieht aber vor, dass ein Waffenstillstand vereinbart wird zwischen den beiden Seiten. Der ist noch nicht automatisch ausgerufen. Wenn man sich das Dokument anguckt, da steht halt eben drin, beide Seiten sollen zusammenarbeiten mit Herrn Annan, in einem internen, syrisch geleiteten politischen Prozess. Und dass sie dann aufhören sollen, zu kämpfen. Und zwar beide Seiten.

    Kaess: Und wann sollte das konkret eintreten?

    Stinner: Das wird Herr Annan jetzt verhandeln. Ich kann nur hoffen, dass es heute eintritt. Ganz wichtig ist auch, in dieser Vereinbarung ist drin, dass ab sofort eine tägliche zweistündige Waffenpause herrscht, damit humanitäre Hilfe geleistet werden kann, was ja dringend notwendig ist.

    Kaess: Herr Stinner, Sie haben es schon angesprochen: Der Plan sieht keinen Rücktritt von Präsident Assad vor. Ist denn aber ein weiter mit Assad an der Spitze überhaupt möglich, nach allem, was sich in den Hochburgen der Aufständischen abgespielt hat?

    Stinner: Natürlich von der Logik her eigentlich nicht, aber ich sage noch mal: Für mich ist das Wichtigste, dass das Töten aufhört. Deshalb wäre ich zum Beispiel auch bereit, eine Lösung zu unterstützen, wie wir sie im Jemen gefunden haben. Die ist unter allgemein rechtlicher Beurteilung natürlich sehr unbefriedigend, dass der Diktator, der für Töten zuständig ist und verantwortlich ist, davon kommt. Aber wenn das primäre Ziel ist, tatsächlich das Töten zu stoppen, dann müsste man eine solche Kröte auch schlucken.

    Kaess: Diese sogenannte jemenitische Lösung schlägt ja auch Ihr Parteikollege Außenminister Guido Westerwelle vor. Aber ist das nicht mit Verlaub ein wenig naiv, bei einem Despoten, der mit allen Mitteln an der Macht festhält?

    Stinner: Als naiv würde ich das nicht bezeichnen. Es ist ein Vorschlag, von dem man nicht weiß, ob er realisiert werden kann. Aber die Frage ist ja, was gibt es an besseren Lösungen, und nochmals: Für mich steht im Vordergrund, dass wir das Töten und das tägliche Schießen und tägliche Sterben beenden. Und danach fangen wir an, weiter nachzudenken.

    Kaess: Die Befürchtung, dass die Einwilligung Syriens jetzt nur gekommen sei als ein weiteres Manöver zum eigenen Machterhalt von Assad, die teilen Sie nicht?

    Stinner: Doch, natürlich ist der Assad mit allen Wassern gewaschen und ich bin weit davon entfernt, naiv ihm alles zu glauben. Der Unterschied, glaube ich, ist aber, dass jetzt sowohl Russland als auch China mit im Boot zu sein scheinen. Und ich glaube, dass es für Herrn Assad schon ganz wichtig ist, dass er nicht nachhaltig die Unterstützung Russlands verliert. Und ich habe so die Veränderung der russischen und chinesischen Positionen in den letzten Wochen erlebt und ich glaube, dass das eine neue Qualität auch für Herrn Assad darstellen muss.

    Kaess: Wenn Sie Russland und China ansprechen, die eben beide hinter diesem Plan stehen – sollte Assad den Waffenstillstand nicht einhalten, denken Sie, würden sich Russland und China jetzt eher einer Resolution im UN-Sicherheitsrat anschließen?

    Stinner: Das ist jedenfalls die Denkrichtung, an die man denken muss. Und ich glaube, dass auch Herr Assad das entsprechend ins Kalkül ziehen muss, dass er, wenn er sich jetzt an diese Vereinbarung nicht hält und wenn er nachhaltig dagegen verstößt, obwohl er ihr zugestimmt hat, dass er dann die Unterstützung oder das Dulden von Russland und China verliert. Das ist ein politisches Risiko.

    Kaess: Was bedeutet denn der, vorsichtig formuliert, Verhandlungserfolg von Kofi Annan für den UN-Sicherheitsrat, der, mal salopp gesagt, ja nichts zustande gebracht hat?

    Stinner: Ja, der UN-Sicherheitsrat hat eben genauso wie die Arabische Liga die Forderung aufgestellt, dass zunächst Assad zurücktreten sollte. Und dann geht es weiter, und das ist angesichts der Situation auf dem Boden, die wir alle sehr bedauern – aber sie ist halt nun mal so, wie sie ist -, bisher nicht möglich gewesen und von daher ist der Schritt von Annan ein Schritt zurück diesbezüglich. Aber wenn dieser Schritt zurück bedeutet, dass wir das Ziel erreichen, das Schießen zu stoppen, ist das ein richtiger Schritt.

    Kaess: Herr Stinner, spricht aus Ihrer Hoffnung für den Plan eventuell auch die Hoffnung, dass damit eine Diskussion über ein militärisches Eingreifen vom Tisch wäre und sich damit die Bundesregierung mit einem schwierigen Thema nicht mehr auseinandersetzen müsste, bei dem sie vielleicht sogar irgendwann doch in eine ähnliche schwierige Lage geraten wäre, wie bei der Libyen-Resolution?

    Stinner: Ich habe bisher noch niemand gehört, der jetzt wirklich für ein richtiges militärisches Eingreifen plädiert. Syrien ist halt eben – und das wissen wir alle – nicht vergleichbar mit Libyen. Libyen ist ein relativ isoliertes Land gewesen, wo auch relativ isolierte Aktionen mit natürlich Effekten auf Nachbarstaaten, aber doch isoliert vorgenommen werden konnten. In Syrien sieht das völlig anders aus, ein militärisches Eingreifen könnte einen Flächenbrand in der Region verursachen mit Weiterungen in die Türkei hinein, Weiterungen in den Iran hinein, Weiterungen nach Libanon hinein, Weiterungen über den Golan hinein nach Israel. Und das ist eine so hoch komplexe Geschichte, dass sich jeder bisher davor gescheut hat, an eine militärische Intervention zu denken.

    Kaess: Eine explosive Region. Welche Chancen geben Sie denn einer friedlichen Entwicklung in Syrien selbst, auch wenn Assad zurücktreten sollte?

    Stinner: Das ist die große Frage, denn wir müssen ja nun erleben, auch bei den Veränderungsprozessen, die wir in anderen Ländern Nordafrikas und der arabischen Welt erlebt haben, dass nicht jeder, der gegen den Diktator ist, gleichzeitig ein lupenreiner Demokrat ist. Und die Gemengelage auch in Syrien ist extrem komplex. Wir haben uns hier in Berlin ja wiederholt getroffen mit Vertretern des Syrischen Nationalrates, der aber offensichtlich bisher nicht alle Gruppen einbeziehen kann, was auch verständlich ist. Wir haben uns getroffen mit Vertretern der Kurden, die eine ganz andere Linie verfolgen, die sich nicht – jedenfalls bis zu dem Besuch, wo ich sie hier in Berlin getroffen hatte – dem Syrischen Nationalrat anschließen wollten. Also eine sehr komplexe Gemengelage. Es kommen noch die Christen hinzu, wo wir hier in Berlin einen sehr abenteuerlichen Besuch eines christlichen hohen Führers hatten, der sagte, Assad sei der Beschützer der Christen und würde sich nur gegen Aufständische wehren. Also, es ist eine sehr komplexe Gemengelage und wir können nur hoffen, dass sich vernünftige Kräfte durchsetzen.

    Kaess: Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Wir haben ihn über Handy erreicht. Deshalb bitten, wir die schlechte Tonqualität zu entschuldigen. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stinner.

    Stinner: Danke Ihnen! Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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