Dienstag, 19. März 2024

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Anne Wizorek vs. Rainer Moritz
Brauchen wir den Gender-Stern im Duden?

Am 16. November tagt der Rat für deutsche Rechtschreibung - auch über das gendergerechte Schreiben. Mit welchen Mitteln kann Sprache die Vielfalt der Geschlechter abbilden? Darüber streiten Anne Wizorek, feministische Aktivistin, und Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses Hamburg.

Moderation: Käthe Jowanowitsch | 10.11.2018
Geschlechtergerechte Sprache in einem Dokument: Auszug aus der Satzung des CDU-Landesverbands Bremen mit geschlechtergerechten Formulierungen, unter anderem: die Wahl des/der Vorsitzenden des Landesausschusses und seines/r / Ihre/s/r Stellvertreter/s/in
Geschlechtergerechte Sprache in einem Dokument (imago / Eckhard Stengel)
Gender-Stern ("Hörer*innen), Gender-Gap (Hörer_innen) oder großes Binnen-I (HörerInnen): Es gibt – neben der Doppelung "Hörerinnen und Hörer" – verschiedene Möglichkeiten, geschlechtergerecht zu schreiben. Doch welche davon ist richtig, notwendig oder wünschenswert? Darüber gehen die Meinungen stark auseinander.
Kaum eine sprachwissenschaftliche Debatte hat in den letzten Jahren so weite Kreise gezogen wie das Gendern. Im Frühjahr 2018 hat Marlies Krämer vor Gericht darum gekämpft, von ihrer Sparkasse als "Kundin" und nicht als "Kunde" angesprochen zu werden. Erfolglos. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe wies ihre Forderung zurück.
Wie sehr prägt die Sprache unsere Vorstellung von der Wirklichkeit? Sollen wir Veränderungen gezielt anstoßen? Oder sind wir damit auf dem Weg zu einer Sprachzensur? Darüber diskutieren Anne Wizorek und Rainer Moritz.
Anne Wizorek spricht auf der Internetkonferenz republica am 7. Mai 2015 in Berlin
Anne Wizorek bei der republica 2015 (imago stock&people)
Anne Wizorek: "Nur wer Frauen und andere Geschlechter mit nennt, der denkt sie auch tatsächlich mit."

"Sprache ist unser alltäglichstes Werkzeug und kann damit eine große Macht ausüben. Damit geht auch eine Verantwortung einher, wie wir Sprache benutzen. Wie wir die Welt wahrnehmen, das drücken wir ja in Sprache aus, und das beeinflusst natürlich diese Welt auch und insofern auch, wie wir uns die Welt vorstellen können. Wenn wir uns also nicht mal in der Sprache eine geschlechtergerechte Welt vorstellen können, ist es mit der Umsetzung nicht weit her. (…) Wir wissen aus zahlreichen sozialpsychologischen Studien, dass, wenn die männliche Form genannt wird, Menschen in erster Linie an Männer denken. (…) Sprache wird nicht alles lösen, aber sie ist in meinen Augen ein wichtiger Baustein, um Geschlechtergerechtigkeit zu normalisieren und weiter voranzubringen. Nur wer Frauen und andere Geschlechter mit nennt, der denkt sie auch tatsächlich mit."

Anne Wizorek ist feministische Aktivistin. 2013 hat sie mit dem Hashtag #aufschrei eine Debatte über Sexismus im Alltag ins Rollen gebracht.
Schlechte Texte über Sex bringen den Autor Rainer Moritz und die Moderatorin Liane von Billerbeck gleichermaßen zum Lachen.
"Sternchen oder Unterstrich in Substantive einzubauen, ist ein willkürlicher Eingriff in die Sprache", sagt Rainer Moritz (Deutschlandradio/Maurice Wojach)
Rainer Moritz: "Ich finde nicht, dass jemand das Recht hat, in Sprache einzugreifen, sie selbstherrlich zu lenken."

"Es ist leicht möglich, aus Studenten Studierende zu machen, obwohl das semantisch nicht das Gleiche ist, und in Anreden den Kundinnen und Kunden zu danken. Das alles lässt sich umsetzen und widerstreitet der Grammatik nicht. Was aber niemand braucht und was gefährlich ist, sind selbstherrliche Eingriffe in die deutsche Sprache und ihre Wortbildungsgesetze. Sternchen oder Unterstrich in Substantive einzubauen, ist ein willkürlicher Eingriff in die Sprache und ihre Normen. Das mag gut gemeint sein und soll unterschiedlichen Geschlechteridentitäten gerecht werden – ein löbliches und zugleich unsinniges Unterfangen, das vielleicht in Universitätsseminaren, aber gewiss nicht auf den Dorfplätzen in der Eifel Anerkennung findet. Man sollte sich prinzipiell davor hüten, aus ideologischen Gründen die Sprache lenken zu wollen. Diese Form der Korrektheit bereitet mir mehr als Unwohlsein und ist ein selbstgerechtes Herumpfuschen. (…) Darauf kann ich verzichten."

Rainer Moritz ist Germanist, Autor und Übersetzer. Seit 2005 leitet er das Literaturhaus Hamburg.