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Annette Schavan
Abschied vom politischen Amt ist "ein bisschen wie sterben"

"In Würde" aus dem Amt zu scheiden - das gilt derzeit als Kompliment. Geht das überhaupt? Annette Schavan, frühere Bundesbildungsministerin, erklärt, warum Selbstbestimmung auch für mächtige Menschen schwierig ist und was der Abschied vom Amt mit dem Tod zu tun hat.

Annette Schavan im Gespräch mit Christiane Florin |
    Annette Schavan
    Annette Schavan (imago / epd)
    Christiane Florin: Wir haben gerade einen Ausschnitt aus der Pressekonferenz gehört, auf der Angela Merkel ankündigt, nicht mehr für den CDU-Vorsitz zu kandidieren. Viele Medien haben nicht nur diese Nachricht kommentiert, sondern auch den Zeitpunkt. Über den perfekten Zeitpunkt wird öffentlich sinniert. Selbstbestimmt und in Würde aus dem Amt zu scheiden , das gilt als Kompliment. Das sind Begriffe, die man sonst eher als Sterbehilfedebatten kennt.
    Was diese Wortwahl bedeutet, darüber habe ich vor der Sendung mit der früheren Bundesbildungsministerin Annette Schavan gesprochen. Sie trat vor fünf Jahren von ihrem Amt zurück, nachdem ihr der Doktor-Titel aberkannt wurde. Bis vor wenigen Monaten war sie Botschafterin der Bundesrepublik im Vatikan. Ich habe Annette Schavan zunächst gefragt, warum so große Worte wie Würde und Selbstbestimmung gewählt werden.
    "Man wird abgewählt - und dann war's das"
    Annette Schavan: Die großen Worte fallen vielleicht aus zwei Gründen: Einmal erleben die Leute hier eher, dass der Abschied aus der Politik fremdbestimmt ist. Man wird abgewählt und dann war es das. Das hat wenig mit eigener Entscheidung zu tun. Die eigene Entscheidung aus einem politischen, aus einem öffentlichen Amt auszusteigen, gibt es eher selten. Wir erinnern uns zum Beispiel an Hans-Dietrich Genscher. Das war auch so eine Situation, wo viel gesprochen worden ist von der Würde, von der Selbstbestimmung, wo alle überrascht waren.
    Also, es (Selbstbestimmung) ist etwas Seltenes. Und das Zweite: Es ist ja auch ein bisschen wie sterben, wenn eine Aufgabe abgegeben wird, die jemand lange gehabt hat. Jetzt greife ich mal Horst Seehofer auf. Wenn ich das richtig sehe, dann ist er seit fast 50 Jahren politisch tätig und wenn dann jemand aus seinem Amt geht, dann ist das schon für sein Leben ein tiefgreifender Einschnitt.
    "Politik ist unglaublich lebensraubend"
    Florin: Was schmerzt daran besonders an diesem Abschied?
    Schavan: Es ist ein Abschied von Aufgaben, die mit Leidenschaft wahrgenommen worden sind. Politik kann man ja nicht abarbeiten wie so eine Agenda. Politik verlangt den ganzen Menschen, ist unglaublich lebensraubend auch irgendwie, weil alle Zeit plötzlich belegt ist, weil alles, was getan wird, öffentlich getan wird. Das unterscheidet das politische Handeln. Also von daher ist das ein ganz tiefer Einschnitt und verändert das Leben fundamental.
    Florin: Von Leidenschaft haben Sie jetzt gesprochen, nicht von Macht. Wie ist das Verhältnis von Macht und Selbstbestimmung? Man könnte meinen, wer eine machtvolle Position hat, der handelt selbstbestimmt.
    Schavan: Das gehört dazu, ja, Macht im Sinne von viel gestalten können, entscheiden können. Die Erfahrung im politischen Leben lehrt einen auch, dass die Selbstbestimmung, die in bestimmten Ämtern mit der Entscheidungsbefugnis verbunden ist, natürlich auch mit vielen Faktoren zu tun hat, die dann doch auch wieder über die Selbstbestimmung hinausgehen.
    Im Alltag der Politik spielt eine Rolle, dass ganz viele darauf schauen, was ich tue. Auch das schränkt die Selbstbestimmung ein, die Öffentlichkeit, die immer dabei ist, die sehr genau beobachtet. In vielen anderen Berufen braucht es genauso viel Leidenschaft, gibt es Macht, gibt es viel Arbeit, aber eben nicht diese Öffentlichkeit, die alles anschaut und die deshalb auch verlangt, dass ich über alles Rechenschaft abgebe.
    "Ich war mit mir im Reinen"
    Florin: Wie empfanden Sie Ihren eigenen Rücktritt nach dem Plagiatsgutachten zu Ihrer Doktorarbeit, als würdig, als selbstbestimmt?
    Schavan: Ich fand ihn in dem Moment richtig und auch so, dass ich gesagt habe, ja, dazu habe ich mich jetzt entschieden. Deshalb konnte ich es in dem Moment auch frei begründen, weil ich mit mir im Reinen war und gesagt habe, das ist jetzt der richtige Moment, das zu tun. Da ging es darum, ein Amt nicht zu beschädigen. Auch das gehört ja zum politischen Leben dazu, zu wissen, dass dieses Amt mir auf Zeit übertragen ist und wenn ich den Eindruck gewinne, dass irgendetwas dieses Amt beschädigen könnte, ich dann auch die Konsequenz ziehen sollte.
    Florin: Das klingt fast leicht, das klingt eigentlich nicht nach dem kleinen Tod, von dem wir am Anfang gesprochen haben. Wie war es denn in dem Moment, als Sie so in der Kritik standen und dann nun auch als Bildungsministerin den Doktortitel zu verlieren, ist doch nicht ganz leicht.
    Erst Erleichterung, dann Trauerphase
    Schavan: Nein, das ist sehr schwer. Es gibt aber auch in schweren Zeiten so Momente, die dann fast erleichternd wirken. Danach kommt dann auch Trauerphase und wird dann deutlich, dass sich nun mit dieser Entscheidung eben fundamental viel im eigenen Leben verändert hat.
    Florin: Hat Ihnen eigentlich das Theologiestudium geholfen in der Politik?
    Schavan: Ja, das hat es mir. Ich habe ja studiert in einer Zeit, nahe nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Also das war Aufbruchsstimmung. Ich hatte theologische Lehrer, die in dieser Aufbruchsstimmung waren, die uns deutlich gemacht haben, jetzt müssen wir verändern. Wir müssen weiterentwickeln, wir müssen diesem Konzil gerecht werden. Dazu gehörte ein Lehrer in der Moraltheologie, Franz Böckle in Bonn, der uns ganz viel rübergebracht hat über die öffentliche Verantwortung für Christen. Ich behaupte, dass das in meinem Leben eine ganz entscheidende Situation war, tatsächlich auch irgendwann in die Politik zu gehen. Und in den wirklich schwierigen Entscheidungen des politischen Lebens - denken Sie an bioethische Fragen als Forschungsministerin oder an die Frage nach dem Kopftuch einer Lehrerin, es gibt ja in so einem politischen Leben wirklich ganz zugespitzte Situationen, wo klar ist, jetzt gibt es keine Hundert-zu-null-Entscheidung, jetzt muss abgewogen werden, das ist schwierig - in solchen Situationen hat mir die theologische Denke sehr geholfen.
    "In einer C-Partei ist es wie überall"
    Florin: Sie sind Mitglied einer C-Partei, der CDU. Wir reden bei Angela Merkel und bei Horst Seehofer von Politikern der C-Parteien. Gibt es eigentlich eine christliche Leitkultur beim Machtverlust? Von außen sieht das nach Königsmord aus, auch nach Todsünden wie Eitelkeit, wie Gier. Wie christlich geht es in der Partei zu, wenn man Abschied nehmen muss?
    Schavan: In einer C-Partei ist das wie überall, übrigens auch wie in der Kirche. Da gibt es viel Bemühen, dem gerecht zu werden, was mit dem C verbunden ist. Das war ja, als die CDU gegründet wurde, die Überzeugung, dass das C, dass das Christentum die stärkste Kraft gegen alles Totalitäre ist. Der Föderalismus hat damit zu tun. Die katholische Soziallehre hat eine Rolle gespielt und es gibt schon viele, übrigens Horst Seehofer gehört dazu: Den darf man auch nicht nur nach den letzten zwölf Monaten bewerten, sondern muss sich diese 50 Jahre mal anschauen. Dann ist er ein Politiker, der ganz oft genau diese katholische Soziallehre in Debatten eingeführt hat, der den Blick auf die kleinen Leute hat, der gesagt hat, vergesst nicht, dass da Menschen sind, die wirklich auch den Schutz der Politik brauchen. Also da gibt es viel Bemühen, und da gibt es vieles, das dem eigenen Anspruch nicht gerecht wird.
    "Es gibt halt immer das Heilige und das Unheilige nah beeinander"
    Was den Einzelnen angeht, so muss ja dieses C dann auch wirklich in ein persönliches Verständnis runtergebrochen werden und da glaube ich schon, ich kann es für mich so sagen, dass dann in einem solchen Moment die Tatsache zu glauben, überzeugt davon zu sein, dass Gott einen geschaffen hat, mal fast fromm gesprochen gesagt, dass das hilfreich ist. Es gibt eine gewisse Weite. Dieser Psalm: "Du führst mich hinaus ins Weite", der ist ja eine tiefe Weisheit und auch Lebenserfahrung, die in solchen Momenten viel sichtbarer, spürbarer wird als vielleicht im Alltag.
    Florin: Hauen und Stechen sind auch biblisch.
    Schavan: Ja klar, deshalb sage ich ja, das ist bis hinein ins Zentrum der Weltkirche. Es gibt halt immer das Heilige und das Unheilige nahe beieinander.
    Florin: Wo wird die Würde des Amtsträgers eher respektiert, in der Bundespolitik oder im Vatikan?
    Schavan: Es wird in beiden Bereichen, in beiden Milieus davon ausgegangen, dass das zum Fundament, zum Kern der Kultur gehört, der Geschichte gehört, in der das eine verbunden mit dem Grundgesetz und das andere verbunden mit 2000 Jahren Christentumsgeschichte steht...
    Florin: ... aber Sie müssen jetzt nicht mehr so diplomatisch antworten. Sie sind ja weder Botschafterin noch Politikerin.
    Schavan: Aber es gibt Situationen, da hält man sich die Diplomatie bei. Nein, ich glaube, für beides gilt, dass es wirklich diese Situationen gibt, in denen wir davor stehen und sagen, wie kann das jetzt möglich sein. Das ist uns ja gerade so gegangen, als die Missbrauchsstudie in Deutschland veröffentlicht worden ist und als deutlich geworden ist, das betrifft nicht nur Deutschland. Also wir sind gerade in so einer Phase im Blick auf die Kirche, wo wir mit Unheiligen, mit Skandalen, mit tiefgreifender Verletzung menschlicher Würde uns beschäftigen.
    Was Franziskus mit Angela Merkel verbindet
    Florin: Hat Sie das denn überrascht? Sie haben doch die katholische Kirche aufmerksam teilnehmend beobachtet. Da kann einen das ja nicht so überrascht haben.
    Schavan: Ja, das ist ja oft so mit Wissen, dass das da ist. Wenn es dann aber noch einmal öffentlich wird, dann wird einem das noch einmal besonders bewusst, dass das jetzt eine Situation ist, in der es nicht nur Umdenken, sondern eine wirklich tiefgreifende Veränderung geben muss. Das wird meistens erst deutlich, wenn über das individuelle Wissen oder manche Erfahrung hinausgehend etwas öffentlich dokumentiert wird.
    Florin: Wer ist selbstbestimmter, Angela Merkel oder Papst Franziskus?
    Schavan: Beide zeichnet nach meiner Erfahrung und vor allen Dingen der Erfahrung ihrer Begegnungen, die ich ja mehrfach machen konnte, eine große innere Freiheit aus und einen selbstbestimmten Umgang mit all den Situationen, in denen andere versuchen, diese Selbstbestimmung und Eigenentschiedenheit einzuschränken.
    Florin: Welchen Abgang wird der Papst hinlegen?
    Schavan: Er wird hoffentlich noch lange im Amt wirken. So wie hoffentlich noch lange Angela Merkel Bundeskanzlerin in Deutschland ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.