Der sogenannte Islamische Staat hatte sich zu dem Angriff in Bangladesch bekannt, bei dem 20 Geiseln starben.
Die Organisation verliere jedoch seit Monaten an Territorium, anstatt wie geplant sein Gebiet weltweit zu einem Kalifat auszubauen, so Rosiny. Die syrische Stadt Raqqa und die irakische Stadt Mossul seien die letzten verbliebenen Hochburgen des IS.
Indem er Anschläge durch sogenannte einsame Wölfe für sich reklamiere, versuche der IS, sich fiktiv am Leben zu erhalten. Dazu zählte Rosiny den Amoklauf in einer Diskothek in der US-amerikanischen Stadt Orlando. Es gebe viele Terrorgruppen, die gegen ihre Regierung oder gegen vermeintliche Unmoral kämpfen - und "diese Grüppchen haben im IS ein Franchiseunternehmen gefunden". Der Name "Islamischer Staat" gebe ihnen "eine unheimliche Aufwertung", so Rosiny.
Tobias Armbrüster: Schon wieder ein islamistischer Anschlag, wieder mit vielen Toten. Eine Geiselnahme hat in der vergangenen Nacht in der Hauptstadt von Bangladesch zu einem Blutbad geführt. Das Land ist mehrheitlich muslimisch geprägt und hat seit Monaten mit einer islamistischen Terrorwelle zu kämpfen. Zu dem jüngsten Anschlag hat sich nach mehreren Berichten die Terrormiliz Islamischer Staat bekannt. Zur Lage in Dakar Sandra Petersmann:
((Einspielung))
Sandra Petersmann berichtete, und am Telefon ist jetzt Stephan Rosiny, Politikwissenschaftler am Giga-Institut in Hamburg. Er befasst sich seit vielen Jahren intensiv mit dem Islamismus. Schönen guten Tag, Herr Rosiny!
Stephan Rosiny: Guten Tag, Herr Armbrüster!
Armbrüster: Herr Rosiny, islamistischer Terror in einem mehrheitlich muslimisch geprägten Land. Wie passt das zusammen?
Rosiny: Es gibt ja in vielen muslimischen Ländern inzwischen radikale Gruppen, Terrorgruppen, die sich auf die Religion stützen, mit unterschiedlichen Zielsetzungen entweder gegen ihre Regime kämpfen oder gegen ausländische Besatzer oder gegen die Unmoral in ihrer Gesellschaft, also das ist ein relativ allgemeines Phänomen. Und diese Grüppchen haben nun im Islamischen Staat, im selbsternannten, quasi ein Franchiseunternehmen gefunden. Das heißt, sie beziehen sich jetzt alle auf den Islamischen Staat, nennen sich Islamischer Staat, was ihnen eine ungeheure Bedeutungsaufwertung gibt, und dadurch all diese vielen kleinen lokalen Konflikte auch miteinander verbindet.
"Der IS verliert ständig an Territorium"
Armbrüster: Und was wollen diese Terroristen dann erreichen, wenn sie das sozusagen vor einem muslimischen Publikum machen? Soll das eine Werbeaktion sein?
Rosiny: Der Islamische Staat von seiner Ideologie her hat ja ein Territorium erobert in Syrien und im Irak und wollte dieses Territorium eigentlich ständig ausweiten. Es sollte letztendlich eine Weltherrschaft des Islam geben, und der Kalif sollte sämtliche Muslime und die ganze Welt beherrschen. Diese Expansion ist nun nicht zustande gekommen. Der IS verliert ständig an Territorium, und es ist wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit, bis das Territorium ganz aufgegeben wird. Durch solche Anschläge jetzt, einerseits, um der islamischen Welt, aber ja auch außerhalb der islamischen Welt versucht der Islamische Staat nun, diese Fiktion aufrechtzuerhalten, dass er immer noch expandiert, dass er immer noch aktiv sein kann. Er profitiert davon, dass eben auch kleine Gruppen sich durch den Zusammenschluss mit dem IS eine Bedeutungsaufwertung erhoffen. Das Phänomen hatten wir ja beispielsweise ja auch in Orlando. Das war jetzt so ein einsamer Wolf, wie man diese Anschläge nennt, eine Person, die sich zu unterschiedlichen Gruppierungen bekannt hatte, unter anderem eben auch zum Islamischen Staat, denn der Islamische Staat hat sozusagen profitiert von diesem Einzelkämpfer. Es ist sozusagen eine Win-win-Situation für beide.
Armbrüster: Wie sind denn da die Kommunikationslinien zwischen, wenn man das so sagen kann, den IS-Hauptquartieren im Irak und in Syrien und diesen, wie Sie sagen, Franchiseunternehmen überall auf der Welt, möglicherweise jetzt eben auch in Bangladesch?
Rosiny: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt sicherlich manche Organisationen, zu denen sie engeren Kontakt haben. Dazu gehören beispielsweise die Ableger in Libyen oder möglicherweise auch im Jemen. Aber es gibt andere Gruppen und dann eben diese Einzeltäter wie in Orlando, zu denen es keinerlei Kontakt gibt, wo quasi der IS selbst überrascht wird von diesen Anschlägen und sich dann eben nachträglich dazu bekennt. Wie das jetzt genau in Bangladesch war, ob es da wirklich schon Kontakte vorher gab, kann man im Moment noch nicht sagen. Was eher dafür spricht, dass das ein organisierter Anschlag war: dass wohl der Islamische Staat auf seinen Websites die Toten dieses Anschlages präsentiert.
"Der IS steht militärisch sehr unter Druck"
Armbrüster: Sie haben jetzt schon gesagt, die Expansion des IS, die ist ganz offenbar gescheitert. Woran machen Sie das fest?
Rosiny: Der IS hatte ja in Syrien und im Irak insgesamt ein Territorium von der Größe Großbritanniens, sagt man immer, erobert. Der Großteil davon war Wüste, insofern ist es nicht so ganz korrekt, davon zu sprechen. Aber er hat jetzt in den letzten Wochen und Monaten zahlreiche Städte verloren. Falludscha war jetzt die letzte Niederlage, davor schon Ramadi, in Syrien Palmyra. Manbidsch ist eine Stadt in Nordsyrien, die im Moment belagert ist. Das war der letzte Zugang, den der IS über die Türkei ins Ausland hatte. Also er steht dort militärisch überall sehr unter Druck, und es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann die massiven Angriffe dann auf Rakka und auf Mosul, die beiden letzten verbliebenen Städte, stattfinden.
Armbrüster: Könnte es denn sein, dass sozusagen das Herrschaftsgebiet dort im Irak und in Syrien weiter schrumpft und dass sich der IS gerade deshalb global weiter ausdehnt?
Rosiny: Ja, das sehe ich im Moment als Hauptentwicklung. Er versucht dadurch quasi, sich fiktiv weiter am Leben zu erhalten. Die Sache ist ja die, das steckt ja schon im Namen, als Islamischer Staat beansprucht er eigentlich ein Territorium, und der Kalif macht nur Sinn als Herrscher eines Territoriums. Wenn dieses Territorium nun verloren geht, dann verliert dadurch auch der Kalif seine Attraktion. Der IS versucht quasi jetzt mit dem Rücken zur Wand, diesen Status aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt auch, dass Anfang Juni der IS eine "Ramadan-Kampagne" angekündigt hat. Dasselbe hat er auch schon vor einem Jahr gemacht, und das soll auch daran erinnern, dass er selbst vor zwei Jahren Anfang des Ramadans sich selbst zum Islamischen Staat erklärt hat. Das ist sozusagen, zynisch formuliert, seine Geburtstagsfeier. Und deshalb haben wir diese gehäufte Anzahl von Anschlägen auch im Juni gehabt. Dazu gehören der Anschlag in Istanbul, das Attentat in Orlando und jetzt eben auch in Dhaka. Also das macht durchaus Sinn, dass es eben noch Teil dieser Ramadan-Kampagne ist.
"Es sind eher unkordinierte Anschläge"
Armbrüster: Sollte uns das auch hier in Deutschland Sorgen machen?
Rosiny: Diese Attentatsdrohungen Anfang Juni richteten sich ja ganz speziell auch gegen Veranstaltungen zur Fußball-EM. Der IS profitiert natürlich davon, dass solche Nachrichten dann auch weit verbreitet werden, weil jeder Angst hat davor, das ist ein symbolträchtiges Ziel, die EM anzugreifen. Tatsächlich hat er es noch nicht gemacht, und ich hoffe auch nicht, dass er es weiter schaffen wird. Wenn man sich die Anschläge anschaut des IS, dann geraten sie immer mehr in die Peripherie, sie werden immer unkontrollierter, sie werden – letztendlich sind das nur noch Massaker an Zivilisten. Es trifft keine gezielten Gruppen mehr, sondern es sind letztlich eher unkoordinierte Anschläge, kann man sagen.
Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk an diesem Samstagmittag Stephan Rosiny vom Hamburger Giga-Institut. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen!
Rosiny: Bitte schön!
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