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Anschlag auf "Charlie Hebdo"
"Man muss als Journalist weiterarbeiten"

Nach dem Terroranschlag auf "Charlie Hebdo" befürchtet Journalistin Odile Benyahia-Kouider, dass die Tat Frankreich weiter spalte. Nun sei aber die Gelegenheit für alle Europäer, zusammenzustehen, sagte sie im DLF. Die richtige Antwort sei, "Charlie Hebdo" weiter zu veröffentlichen.

Odile Benyahia-Kouider im Gespräch mit Thielko Grieß | 09.01.2015
    Jemand liest eine ältere Ausgabe von "Charlie Hebdo" mit einer Mohammed-Karikatur auf dem Titel.
    Die Zeitschrift "Charlie Hebdo" soll am kommenden Mittwoch wieder erscheinen mit einer Auflage von einer Million. (AFP/Martin Bureau)
    Benyahia-Kouider betonte, Frankreich brauche keinen "Patriot Act" wie die USA nach dem 11. September 2001, der die fundamentalen Rechte der Bürger einschränke. "Wir sind nicht Amerika."
    Aus journalistischer Sicht sei es das beste, "Charlie Hebdo" weiter zu veröffentlichen. "Nach diesem Terroranschlag muss man als Journalist weiterarbeiten." Weil die Redaktion des Satiremagazins so klein sei und so viele Mitarbeiter getötet wurden, sei nun unklar, wer dort die Linie vorgeben könne. Sie berichtete weiter, alle Wochenmagazine, die Mittwoch oder Donnerstag erschienen, planten eine komplette Ausgabe über "Charlie Hebdo".

    Thielko Grieß: Laurent Léger ist Journalist bei „Charlie Hebdo" und er ist es weiterhin. Er hat das Attentat vorgestern überlebt. Im Radiosender "france info" hat er erzählt, wie es war, als die Angreifer vorgestern in der Redaktion bei "Charlie Hebdo" erschienen sind.
    O-Ton Laurent Léger: "Es war gegen Ende der Redaktionskonferenz, die jeden Mittwochvormittag stattfindet. Plötzlich haben wir lautes Klopfen gehört. Die Tür ging auf und dann stand da dieser kleine vermummte Mann mit einer Kalaschnikow. Er rief "Allahu Akbar" und dann hat er geschossen. Es roch nach Pulver. Ich habe mich hinter einen Tisch geworfen. Die Kameraden der Zeitung sind zu Boden gefallen. Am Anfang dachten wir noch an eine Art Scherz, denn wir sind alle witzige Typen bei "Charlie" und da kann man sich so etwas schon vorstellen. Aber dann habe ich begriffen, dass all das real ist, dass es kein Witz ist. Der Attentäter machte seine Runde, es war barbarisch."
    Grieß: Der Augenzeugenbericht von Laurent Léger. - Die Anteilnahme in Sozialen Netzwerken weltweit ist sehr groß. Unzählige Nutzer haben ihre Profilbilder ersetzt durch den weißen Schriftzug auf schwarzem Grund. Dort ist zu lesen: "Je suis Charlie", "Ich bin Charlie". Das ist eine Solidarisierung mit diesem Magazin, dessen Redakteure erschossen worden sind.
    Vor anderthalb Stunden habe ich gesprochen mit Odile Benyahia-Kouider, Chefreporterin des "Nouvel Observateur", einer Wochenzeitung in Frankreich, eine Kollegin der Getöteten. Wir haben sie in Paris erreicht. Frau Benyahia-Kouider, guten Morgen.
    Odile Benyahia-Kouider: Guten Morgen!
    Grieß: Sind Sie jetzt auch "Charlie"?
    Benyahia-Kouider: Ja, natürlich. Wir sind in Frankreich alle "Charlie". Wir stehen auch in tiefer Trauer. Kollegen und Freunde sind ermordet worden und heute denken wir an alle natürlich, die Familie und Kollegen überall in Frankreich.
    Grieß: Wie sieht Ihrer Einschätzung nach die richtige journalistische Antwort auf das Attentat von vorgestern aus?
    Benyahia-Kouider: Wir glauben in Frankreich, wir müssen keinen Patriot Act haben. Das heißt, nicht so wie in Amerika nach dem 11. September wollen wir nicht ein Rückwärts unserer fundamentalen Rechte. Wir glauben, es wäre am besten, dass wir jetzt wieder "Charlie" herausgeben können nächsten Mittwoch. Wir wollen ja eine Million Exemplare herausgeben. Nach diesem Terroranschlag muss man eigentlich als Journalistin weiterarbeiten. Das ist die richtige Antwort zu Terroristen.
    Grieß: Sie sprechen an, dass "Charlie Hebdo" in der nächsten Woche wieder erscheinen soll. Einige Ausgaben, haben Sie gesagt. Das ist, glaube ich, etwas untertrieben. Eine Million, habe ich gelesen, sollen gedruckt werden.
    Benyahia-Kouider: Ja, genau.
    Grieß: Wie steht die französische Medienlandschaft zusammen, um dieses Magazin, dessen Redakteure, dessen Zeichner fast alle umgekommen sind, jetzt weiter überleben zu lassen?
    Benyahia-Kouider: Es gibt viele Kollegen, die sich bereit gemacht haben, um zu helfen. "Libération" hat zum Beispiel gesagt, sie wollen die Redaktion unterstützen, damit die Kollegen da neue Büros haben können. Es gibt Leute, die Banker kennen, die sofort Geld angeboten haben. Natürlich das Schwierige ist, dass diese Redaktion fast total ermordet worden ist. Das war keine große Redaktion, neun Leute - also das sind natürlich viele Leute - vier Karikaturisten. Und die Frage ist, wer könnte da die Linie geben. Es ist nicht so, dass auf einmal einige Kollegen hier "Charlie Hebdo" allein machen wollen, und das ist noch alles im Durchgang, wie das gemacht wird. Aber der Wille ist schon da.
    Grieß: Können Sie sich persönlich dafür auch engagieren?
    Benyahia-Kouider: Leider nicht, weil ich selber jetzt eine Reportage vorbereite. Alle Wochenzeitungen, die nächsten Mittwoch und Donnerstag erscheinen werden, wollen alle eine komplette Ausgabe über "Charlie Hebdo" machen, und ich werde selber im Einsatz sein.
    Grieß: Sie haben gesagt oder vielmehr appelliert, dass Frankreich nun keine Gesetzesverschärfung brauche nach diesem Attentat. Aber die Chefin des Front National, Marine Le Pen, hat gestern vernehmen lassen, sie fordere die Einführung oder wolle zumindest ein Referendum darüber stattfinden lassen, dass in Frankreich die Todesstrafe eingeführt werde. Es gibt doch schon diese Stimmen, die eine Radikalisierung, eine Verschärfung fordern.
    Benyahia-Kouider: Ja, natürlich, und das ist, was wir am meisten befürchten, dass dieses Ereignis eigentlich Frankreich wieder noch weiter spaltet. Weil wir spüren schon die letzten Monate und Jahre, seit der Front National so stark ins Europaparlament gekommen ist und wieder mal die Wahlen gewonnen hat, dass diese Befürchtung sehr groß bei uns ist, dass Frankreich noch weiter gegeneinander spielt. Aber da hoffe ich, wir werden in diese Falle nicht fallen, weil wir sind doch nicht Amerika, und ich hoffe schon, dass alle Europäer das spüren werden. Das ist eigentlich die Gelegenheit, dass alle Europäer zusammenstehen, nicht nur Frankreich, und dass wir Nein sagen, das wollen wir nicht.
    Grieß: Aber müsste man dazu nicht auch Marine Le Pen einladen, zum Schweigemarsch am Sonntag? Diese Einladung ist bislang nicht ausgesprochen worden in Frankreich.
    Benyahia-Kouider: Ja. Ich glaube schon, dass alle Parteien nicht wollen, dass Marine Le Pen mitmarschiert. Das passt nicht zu der Zeit und dem, was wir alle jetzt erlebt haben.
    Grieß: Frau Benyahia-Kouider, Sie reisen heute noch von Paris nach Dresden, weil Sie eine Reportage schreiben für den "Nouvel Observateur". Sie wollen sich ein Bild machen von der Pegida-Bewegung in Dresden. Wie erklären Sie Ihren Lesern in Frankreich, worum es dabei geht?
    Benyahia-Kouider: Ja, deswegen möchte ich nach Dresden fahren. Das kann man nicht aus Paris so wirklich einschätzen. Ich glaube, das ist auch besonders, dass in Ostdeutschland die letzten Jahre immer wieder neue Demos kommen. Ich weiß jetzt nicht ganz genau, ob in dieser Pegida-Bewegung sehr viele Rechtsextreme sich befinden oder auch normale Bürger, die vielleicht noch gegen Hartz IV oder gegen andere Sachen in Europa was haben. Deswegen will ich mir eine eigene Einschätzung machen. Ich will auch verstehen, was die Beziehungen zwischen AfD und Pegida sind, und hat es auch eine Rolle gespielt, dass Frau Merkel eigentlich mehr in die Mitte gerückt ist und vielleicht in ihrer rechten Seite ein Loch war und dass, was immer Franz-Josef Strauß gesagt hat, es sollte niemals eine Partei oder Bewegung an der Rechten der CDU sein, eigentlich gekommen ist. Ich kann das noch von hier nicht beurteilen.
    Grieß: Das sind aber Fragen, die wir uns hier in Deutschland auch jeden Tag stellen. - Odile Benyahia-Kouider, wir wünschen eine gute Reise und gute Beobachtungen in Sachsen, in Dresden. Danke für das Gespräch.
    Benyahia-Kouider: Dankeschön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.