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Anschuldigungen gegen Friedrich-Ebert-Stiftung in Moskau
"Kreml hat Geister gerufen, die er nicht mehr unter Kontrolle hat"

Die Vorwürfe, die Friedrich-Ebert-Stiftung habe die Reise eines Schülers aus Sibirien bezahlt, der sich im Bundestag kritisch zur russischen Geschichte geäußert hat, seien konstruiert, sagte der SPD-Politiker Rolf Mützenich im Dlf. Einzelne Gruppen in Russland würden solche Anschuldigungen für ihre politischen Zwecke missbrauchen.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Mario Dobovisek | 21.12.2017
    Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich
    "Ich habe mittlerweile auch die Befürchtung, dass der Kreml Geister gerufen hat, die er jetzt nicht mehr unter Kontrolle hat", sagte der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich im Dlf. (dpa / picture-alliance / Michael Kappeler)
    Mützenich nahm die Friedrich-Ebert-Stiftung in Schutz. Er ist Vorstandsmitglied der Stiftung und sagte, bei den Vorwürfen, die im Zusammenhang mit der Rede eines Schülers aus Sibirien vor dem Bundestag erhoben würden, handelte es sich eindeutig um Lügen. Der 16-Jährige hatte am Volkstrauertag zum Frieden aufgerufen und einen Wehrmachtssoldaten als Menschen bezeichnet, der in Stalingrad unschuldig ums Leben gekommen sei.
    Eine russische Aktivistin hatte im staatlichen Fernsehen behauptet, die Friedrich-Ebert-Stiftung habe die Reise des Schülers aus Sibirien nach Deutschland bezahlt. Belegen konnte sie ihre Behauptung nicht. Ein Duma-Abgeordneter der Kreml-Partei "Einiges Russland" hatte sich daraufhin bei der russischen Generalstaatsanwaltschaft über die Stiftung beschwert. In einem Brief warf er ihr staatsgefährdendes Verhalten vor.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Als ausländische Agenten gelten sie in Russland, die politischen Stiftungen aus Deutschland und viele andere Organisationen, darunter auch die Friedrich-Ebert-Stiftung der Sozialdemokraten mit ihrem Büro in Moskau. Es ist schwer für sie geworden, in Russland zu arbeiten. Jetzt schlägt der Auftritt eines russischen Schülers am Volkstrauertag im Berliner Reichstagsgebäude in seiner Heimat Wellen. Er sprach von in Stalingrad gefallenen Wehrmachtssoldaten und in diesem Zusammenhang von Gräbern unschuldig gefallener Menschen.
    Seit Wochen gibt es Anfeindungen gegen ihn und seine Lehrerin und auch die Friedrich-Ebert-Stiftung steht in der Kritik. Es wird behauptet, sie habe die Reise organisiert und bezahlt. Wir haben gestern darüber ausführlich berichtet.
    Am Telefon begrüße ich Rolf Mützenich. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, dort für die Außenpolitik zuständig. Und er ist auch im Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung. Guten Morgen, Herr Mützenich.
    Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
    Keine Hinweise, dass Friedrich-Ebert-Stiftung Schüler eingeladen hat
    Dobovisek: Fake News – ein Wort, das in letzter Zeit immer wieder bemüht wird. Oder nennen wir es beim deutschen Namen: Sind es Lügen, die in Russland über die Friedrich-Ebert-Stiftung verbreitet werden?
    Mützenich: In jedem Fall. Es gibt überhaupt gar keine Hinweise darauf, Belege, dass die Friedrich-Ebert-Stiftung den Schüler eingeladen hat, oder auch Kontakte gehabt hat. Dies ist konstruiert und das ist leider auch nicht das erste Mal, dass gegen politische Stiftungen im Ausland in einzelnen Ländern auch solche Konstruktionen genutzt werden, um sie aus dem Land zu drängen.
    Dobovisek: Auch in Russland?
    Mützenich: Auch in Russland gab es immer wieder Vorhaltungen gegenüber der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die deutschen Mitarbeiter wurden manchmal auch genötigt, dass das Visum nicht verlängert werden kann. Das sind Dinge, die aber nicht nur in Russland leider passieren, sondern auch in China, in Pakistan, aber auch zum Beispiel in der Türkei und in Israel.
    Dobovisek: Warum will Moskau der Friedrich-Ebert-Stiftung im Moment offensichtlich schaden?
    Mützenich: Ich glaube, es ist zurzeit nicht das Moskau, sondern es sind einzelne Gruppen, und ich habe mittlerweile auch die Befürchtung, dass der Kreml Geister gerufen hat, die er jetzt nicht mehr unter Kontrolle hat. In diesem konkreten Fall haben wir ja gehört, dass zum Beispiel der Kreml-Sprecher, aber auch regierungsnahe Zeitungen zur Mäßigung aufgerufen haben, oder sogar gesagt haben, hier seien Vorwürfe konstruiert. Aber der Punkt ist schon: Es gibt offensichtlich einzelne Gruppen, die das für ihre politischen Zwecke missbrauchen.
    Dobovisek: Was sagt das aus über die Machtposition Putins, über die Macht des Kreml?
    Mützenich: Ich glaube, es sagt aus, dass der Kreml vorsichtig sein muss, welche Gruppen er hat auch in Russland wachsen lassen, die sich auf einem Nationalismus, letztlich auch auf einem Chauvinismus bewegen, und hier sehen wir zurzeit eine Entwicklung, die es leider auch nicht nur in Russland gibt.
    "Wollen sehr stark mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten"
    Dobovisek: Vermutlich steht die Friedrich-Ebert-Stiftung ja mit ihrer Arbeit in Russland dort so einigen Leuten, sagen wir mal platt, auf den Füßen. Welche Projekte könnten das sein, dass wir jetzt diese Konnotation haben der staatsgefährdeten Arbeit?
    Mützenich: Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist transparent. Sie zeigt ihre Arbeiten an, genauso wie sie das in den anderen Ländern tut. Wir verstehen uns als Gäste, aber wir wollen auch sehr stark mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Das beginnt bei den Gewerkschaften, über Umweltorganisationen, über Jugendverbände, und wir haben ja zum Beispiel in den arabischen Ländern während des arabischen Umbruchs gesehen, dass auch Regime wie zum Beispiel in Ägypten gegen diese Stiftungen – und das ist nicht allein die Friedrich-Ebert-Stiftung – vorgegangen sind, weil sie den Kontakt zu einer Zivilgesellschaft hatten, die für Veränderungen eintritt.
    Dobovisek: Aber all das ist für die Herrschenden natürlich unbequem. Wie weit ist die Friedrich-Ebert-Stiftung in solchen Fällen – blicken wir wieder zurück nach Russland – bereit, da Kompromisse einzugehen?
    Mützenich: Sie gehen keine Kompromisse ein, sondern sie zeigen Transparenz, und ich glaube, das ist auch richtig, weil wir verstehen uns ja nicht, wie zum Beispiel in Russland in der Überschrift steht, als Agenten, sondern wir bieten Zusammenarbeit. Wir bieten zum Beispiel auch in geschichtsbelasteten Verbindungen Aufarbeitung der Geschichte letztlich an, und das hat bisher zumindest funktioniert. Aber vor autoritären Regimen und vor Entwicklungen, die überhaupt nichts mehr mit Rechtsstaatlichkeit zu tun haben, wird es schwer.
    Dobovisek: Razzien hat es auch in Russland immer wieder gegeben gegen politische Stiftungen. Sie haben die Visa-Probleme angesprochen. Sprechen wir jetzt über eine neue Dimension?
    Mützenich: Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren durchaus eine neue Dimension wahrgenommen – wie gesagt eben nicht nur in Russland, aber auch dort und in anderen Ländern -, wo teilweise auch ein massiver Druck auf die Mitarbeiter ausgeübt wird. Sie haben es ohnehin schwer, oft in Ländern auch zu sein, wo Gewalt an der Tagesordnung ist, zum Beispiel auch in Zentralamerika.
    "Müssen uns schützend vor die Mitarbeiter stellen"
    Dobovisek: Zwischen Russland und den USA herrscht Eiszeit. Schon länger befürchten die deutschen Stiftungen deshalb Kollateralschäden. Gerät die Friedrich-Ebert-Stiftung zwischen die Fronten eines neuen Kalten Krieges?
    Mützenich: Das hoffe ich nicht, weil wir müssen uns ja genau auch schützend vor die Mitarbeiter, vor die Ortskräfte auch – wir haben ja auch oft Ortskräfte dort eingesetzt – stellen. Wir schauen schon genau darauf, was ist möglich auch in dieser Situation. Aber wir haben es auch damit zu tun, dass maßlos gegen solche politische Stiftungen vorgegangen wird, und wir beobachten jede Situation ganz genau.
    Dobovisek: Russland hat die Krim annektiert. Seitdem gibt es Sanktionen gegen Moskau. Sie wurden immer weiter verschärft. Müssen wir heute feststellen, Herr Mützenich, dass die Sanktionen nicht helfen, sondern am Ende nur noch beiden Seiten schaden?
    Mützenich: Ich glaube, das Kriterium des Schadens ist hier nicht anzulegen, sondern wir brauchen letztlich auch Reaktionen darauf, einer völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim, aber auf der anderen Seite auch Angebote. Das ist schwer genug. Deswegen hat zum Beispiel ja auch der deutsche Außenminister bei seiner Rede vor der Körber-Stiftung für eine europäische Ostpolitik geworben. Daran ist zum Beispiel auch die Friedrich-Ebert-Stiftung mit ihrem Büro in Wien beteiligt. Wir versuchen, am Sitz der OSZE verschiedene Länder, verschiedene Akteure auch zusammenzubringen.
    "Wir brauchen auch diesen Aussöhnungsprozess"
    Dobovisek: Aber offensichtlich ist das ja mit Russland in den letzten Jahren mächtig schiefgegangen. Wie kann es jetzt weitergehen? Wie kann ein konstruktiver Dialog mit Russland gefunden werden unter diesen Vorzeichen?
    Mützenich: Ich glaube, wir müssen – und genau das zeigt ja auch der Fall – an unseren Prinzipien festhalten, aber auf der anderen Seite immer Gesprächsbereitschaft zeigen. In diesem konkreten Fall würde ich empfehlen, dass der Bundestagspräsident mit seinem Kollegen in der Duma versucht, genau das zu schützen, was wir ja versucht haben am 19. November: auf der einen Seite Versöhnung und Geschichtspolitik zu zeigen, und einem sehr mutigen 14-jährigen Schüler* auch alle Offerten zu machen, dass er auch hier geschützt ist.
    Dobovisek: Sehen Sie Gesprächsbereitschaft in Russland?
    Mützenich: Ich kann mir schon vorstellen, dass die Reaktionen, die der Kreml zumindest gezeigt hat oder einzelne Abgeordnete auf diesen Fall, auch den Hinweis geben, dass wir genau darüber reden können und auch Anknüpfungspunkte für andere Fragen finden. Wir brauchen diese Gespräche und wir brauchen auch diesen Aussöhnungsprozess, der ja sehr wertvoll ist, insbesondere wenn es um den Schüleraustausch geht.
    Dobovisek: Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich. Er ist auch stellvertretender Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung. Vielen Dank für das Interview.
    Mützenich: Vielen Dank für die Einladung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    *Anmerkung der Redaktion: Der betreffende Schüler ist 16 Jahre alt.