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Anti-Salvini-Allianz
Widerstand gegen Neuwahlen in Italien wächst

Matteo Salvini, Chef der rechten Lega-Partei, hat sich mit seinem Kalkül, schnelle Neuwahlen herbeizuführen, womöglich verschätzt: In Rom deutet sich eine überraschende Allianz gegen den amtierenden Innenminister an - und das könnte seine Pläne zunichte machen.

Von Jörg Seisselberg | 12.08.2019
Das Foto zeigt Matteo Salvini, Innenminister von Italien. Er steigt in ein Auto während er telefoniert.
Matteo Salvini ist bereits im Wahlkampf-Modus, doch Neuwahlen stehen noch nicht fest (dpa-Bildfunk / LaPresse / ZUMA Press / Cecilia Fabiano)
Sein vorgezogener Wahlkampf in Badehose ging auch am Wochenende weiter. Matteo Salvini im Kanu, Matteo Salvini ins Meer tauchend, Matteo Salvini an der Strandbar. Diesmal allerdings mit der Ansage, er würde ausnahmsweise keinen Mojito, sondern aufgrund der Hitze nur ein Wasser trinken. Einen klaren Kopf kann der Chef der rechte Lega brauchen, denn gegen seinen Plan für schnelle Neuwahlen scheint sich Widerstand zu formieren. Auch wenn Salvini betont:
"Die einzige Lösung, die ehrlich, transparent, konkret, effizient und demokratisch ist, ist es, das Wort den Italienern zu geben. Ich verstehe nicht diese Angst, die Italiener wählen zu lassen. Wir sind in einer Demokratie. Wählen müsste die schönste Sache der Welt sein."
Renzi ist gegen Neuwahlen
Salvinis Kalkül war: Er sprengt die Koalition mit der schwächelnden Fünf-Sterne-Bewegung – und keiner hat die Kraft, sich seinem Wunsch nach schnellen Neuwahlen entgegenzustellen. Auch weil es sich die Fünf-Sterne-Bewegung mit allen anderen Parteien im Parlament verdorben hat und deswegen, so Salvinis Einschätzung, keine alternative Mehrheit für eine Übergangsregierung zustande kommen kann. Hier aber könnte sich der forsche Innenminister getäuscht haben. Es gibt erste Anzeichen für eine überraschende Anti-Salvini-Allianz. Einer der Protagonisten: Der ehemalige Regierungschef Matteo Renzi von den oppositionellen Demokraten. Er spricht sich in einem Interview mit dem Fernsehsender Canale 5 gegen schnelle Neuwahlen und für eine Übergangsregierung aus – zu der Renzi ausdrücklich auch die Fünf-Sterne-Bewegung einlädt.
"Ich würde sie institutionelle Regierung nennen. Für mich sind die Institutionen eine ernsthafte Sache. Nicht die Strandbars, sondern sie sind die Orte, in denen man die Probleme der Italiener angeht."
Einladung an Fünf-Sterne-Bewegung
Als Hauptaufgabe für eine solche Übergangsregierung nennt Renzi, die in Italien drohende Mehrwertsteuererhöhung zu verhindern. Hintergrund: Die totgeweihte Regierung Conte hatte sich Brüssel gegenüber verpflichtet, die Mehrwertsteuer zu Beginn kommenden Jahres von 22 auf 25,2 Prozent anzuheben – wenn der italienische Finanzminister es bis dahin nicht schafft, 23 Milliarden Euro aufzutreiben. Renzi sagt, eine institutionelle Regierung, unterstützt von einem möglichst breiten Bündnis im Parlament, könne einen soliden Haushalt ausarbeiten und damit die Mehrwertsteuererhöhung verhindern. Die Einladung an die Fünf-Sterne-Bewegung hier mitzumachen, räumt Renzi ein, falle ihm nicht leicht – schließlich war gerade er immer wieder Zielscheibe von Angriffen, vor allem von Fünf-Sterne-Parteigründer Beppe Grillo.
"Ich habe in der Vergangenheit für mich und meine Familie Beleidigungen gehört, die ich als ungerecht empfunden habe. Aber ich finde, wer in der Politik ist, muss stärker sein als persönlichen Rachegedanken. Vom Gefühl her, würde ich mit den Grillo-Leuten nicht mal einen Kaffee trinken. Aber da wir über die Zukunft der Italiener reden, müssen wir sagen: Erstmals bringen wir den Haushalt in Ordnung."
Misstrauensvotum könnte rausgezögert werden
Der aktuelle Chef der Demokraten, Nicola Zingaretti, gibt sich noch distanziert und schließt vorerst eine Zusammenarbeit mit der Fünf-Sterne-Bewegung aus. Aber: Fast parallel zu Renzi gibt sich der bislang so strikte Fünf-Sterne-Übervater Beppe Grillo plötzlich flexibel – und offen für Lösungen, die schnelle Neuwahlen verhindern. Mit der Parole "Stoppen wir die Barbaren" erklärt Grillo in seinem Internet-Blog plötzlich nicht mehr die Demokraten, sondern Salvini zum Hauptfeind.
Was diese überraschende Annäherung von Demokraten und Fünf-Sterne-Bewegung wert ist, kann sich heute erstmals zeigen: Wenn die Fraktionsspitzen des Senats ab 16 Uhr darüber beraten, wann im Parlament über den Misstrauensantrag der Lega abgestimmt werden soll. Salvini drängt auf einen Termin noch diese Woche, um danach schnell das Verfahren für Neuwahlen anzustoßen. Wenn Demokraten und Fünf-Sterne-Bewegung sich einig sind, könnten sie auf Zeit spielen – und das von der Lega gewünschte Misstrauensvotum bis nächste oder übernächste Woche rauszögern.