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Antiamerikanismus in Russland
"Die USA mischen sich überall ein"

Das Verhältnis zwischen Russland und den USA ist nicht erst seit der Krim-Krise angespannt. Antiamerikanismus ist zu einem festen Bestandteil des neuen russischen Patriotismus geworden. Das ist auch in der Bevölkerung deutlich zu spüren.

Von Gesine Dornblüth | 03.04.2014
    Mehrere Menschen laufen mit einem Kaffeebecher in der Hand durch einen Moskauer Park.
    Junge Menschen in Moskau - viele sind von den USA nicht begeistert. (dpa / Alexandra Mudrats)
    Das Café im Zentrum Moskaus heißt Koffeecakecorner. Es gibt Muffins und Kaffee auch zum Mitnehmen. Die Mittagessen heißen "Lunch Texas" (Hühnersuppe und Texasgulasch) oder "Lunch Arizona" (Pilzsuppe und Burger). Amerikanische Cafes sind in Moskau sehr beliebt. Die Studentin Aljona schmiegt sich in ein Polstermöbel.
    "Ich komme in letzter Zeit oft her. Hier wird nicht geraucht, und es ist gemütlich. An Amerika denke ich dabei aber überhaupt nicht."
    Täte sie das, würde Aljona sich weniger wohl fühlen.
    "Ich war nie in Amerika, aber ich habe dort Bekannte. Ihnen gefällt es dort, Gott sei Dank. Aber ich möchte dort nicht hinfahren, nicht mal als Touristin. Die USA mischen sich überall ein, das gefällt mir überhaupt nicht."
    Aljona studiert in Moskau Geschichte und Kulturwissenschaft. Sie hat Freunde aus Libyen. Mit ihnen teilt sie die Abneigung gegen die Politik der USA.
    "In Russland war Wissen früher viel mehr wert, die Familie zählte, echte Freundschaft. Heute ist jeder für sich selbst verantwortlich, und die Jugend interessiert sich nur für Geld und technische Spielereien. Niemand will eine Familie, niemand glaubt an Gott. Das ist zum großen Teil auf den westlichen Einfluss zurückzuführen. Das gleiche passiert in allen Ländern, in denen Amerika sich militärisch oder einfach nur kulturell einmischt. Auch dort wird vor allem die Jugend zersetzt. Das schwächt die Gesellschaft."
    Aljonas Ansichten sind in Russland durchaus verbreitet. Einer Umfrage des unabhängigen Levada-Zentrums zufolge hat die Abneigung der Russen gegen die USA in den letzten zwei Monaten immens zugenommen. Im Januar gaben noch 41 Prozent der Befragten an, sie fänden die USA im Großen und Ganzen gut; Ende März waren es nur noch gut die Hälfte: 25 Prozent. Knapp zwei Drittel sagten hingegen, sie stünden schlecht oder sehr schlecht zu den USA. Aljona betont:
    "Ich habe persönlich nichts gegen Amerikaner. Aber ihre Politik halte ich für schlecht."
    Manch einer braucht eben ein Feindbild
    Am Fenster sitzt eine andere Studentin bei einer Tasse Americano. Auch sie heißt Aljona, sie schreibt derzeit ihre Abschlussarbeit in Soziologie und hat ein halbes Jahr im US-Bundesstaat Maryland studiert. Es hat ihr gut gefallen.
    "Mir tut es weh, dass die antiamerikanischen Stimmungen in Russland so zunehmen. Im Prinzip leben Russen und Amerikaner doch sehr ähnlich. Die Menschen müssten einfach mehr übereinander wissen. Dann wären sie auch toleranter. Aber leider urteilen viele Leute sehr oberflächlich. Und manch einer braucht eben ein Feindbild, um sich selbst zu bestätigen.
    Doch es fehle das Interesse am anderen, und zwar auf beiden Seiten, sagt Dmitrij Trenin. Er leitet das Carnegie-Zentrum in Moskau, eine außenpolitische Denkfabrik aus Washington mit Filialen in vielen Metropolen der Welt.
    "Vor 18 Jahren kamen drei, vier, fünf, sechs Abgeordnete der Duma zu unseren Seminaren. Jetzt wären wir froh, wenn sie wenigstens einen Assistenten schicken würden. Und in Washington ist das genauso. Dass dort mehrere Senatoren zu unseren Veranstaltungen kommen, ist unvorstellbar."
    Trenin spricht von einem Klimawechsel zwischen Russen und Amerikanern, nicht nur von einer Abkühlung im beiderseitigen Verhältnis. Er glaubt aber, dass sich dieser Wechsel auch künftig im Großen und Ganzen auf die Politik beschränken wird.
    "Amerikanische Filme sind hier nach wie vor sehr beliebt, auch wenn die russische Filmindustrie versucht, dagegen zu steuern. Und wissenschaftliche und andere Kontakte sind bisher auch nicht betroffen."
    Die Soziologiestudentin Aljona jedoch fürchtet bereits einen neuen Kalten Krieg.
    "Er würde dazu führen, dass auch Leute in den Konflikt hineingezogen werden, die mit Politik überhaupt nichts zu tun haben. Wenn die Visaregeln verschärft werden, leiden darunter normale Menschen. Ich habe Angst davor, aber als normaler Bürger kann ich nichts dagegen tun."