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Anwälte kämpfen für die erste Gebührenerhöhung seit acht Jahren

Remme: Obwohl der Streik in der Metallindustrie heute auf Sparflamme läuft - viele arbeiten heute wegen des Brückentages nach Himmelfahrt sowieso nicht -, droht der Arbeitskampf in der nächsten Woche zu eskalieren. Die Metaller weiten aus, im Bauhauptgewerbe gibt es Entscheidungen über Urabstimmungen, und die Verhandlungen in der Druckindustrie stehen ebenfalls an. Wir wollen uns jetzt mit einer Berufsgruppe beschäftigen, deren Mitglieder gemeinhin zu den Wohlsituierten gezählt werden: Mitleid mit den Rechtsanwälten gibt es eher selten. Doch eben diese wollen eine Gebührenerhöhung um 12 bis 16 Prozent. In München findet heute der Deutsche Anwaltstag statt, und neben Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin wird auch Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber reden. Am Telefon ist jetzt Michael Streck, Präsident des Deutschen Anwaltvereins. Guten Morgen, Herr Streck.

    Streck: Guten Morgen, Herr Remme.

    Remme: Herr Streck, ich sagte es: Die Metaller wollen 6,5 Prozent, und schon diese Forderung hat keine Chancen. Nur wenige Monate vor den Wahlen wollen Sie etwa 15 Prozent mehr. Ist das eine Maximalforderung, mit der Sie selbst nicht rechnen?

    Streck: Es gibt einen Unterschied zwischen den Metallern und uns. Die Metaller haben schon vor zwei Jahren eine Erhöhung gehabt. Unsere letzte Erhöhung war im Jahre 1994. Die 15 Prozent, die Sie eben erwähnten, beziehen sich auf acht Jahre. Das ist ein Unterschied. Und wenn Sie eben sagten, dass die Anwälte zu den Gutverdienenden gehören, dann soll man sich nicht den Blick von einzelnen Großpraxen versperren lassen. Die durchschnittliche, mittelständische Anwaltspraxis hat in den letzten Jahren beweisbare Einkommensverluste hinnehmen müssen, und es gibt sehr, sehr viele Anwälte, die weit weniger verdienen als ein durchschnittlicher Angestellter.

    Remme: Ich sagte nicht, dass sie dazu gehören, sondern dass sie gemeinhin dazu gezählt werden. Ist das Bild des Rechtsanwaltes also in einer Schieflage?

    Streck: Es ist wohl in einer Schieflage. Man stellt sich den Rechtsanwalt immer als jemanden vor, der sehr gut verdient. Das Bild stimmt nicht mehr.

    Remme: Acht Nullrunden, Herr Streck, das spricht zumindest für eine schlechte Lobby-Arbeit, oder?

    Streck: Nein, so können Sie das nicht sehen. Erst mal spricht das für ein gewisses Verantwortungsgefühl, dass die Anwälte eben nicht in erster Linie an ihre Gebührenordnung denken, und zum anderen haben wir es nicht mit Tarifverträgen zu tun, sondern unsere Gebühren werden gesetzlich festgelegt, und man kann den Gesetzgeber nicht jährlich neu mit diesem Anliegen strapazieren.

    Remme: Sie haben es gerade gesagt: Es geht nicht um klassische Lohnerhöhungen, sondern um Gebühren. Die Honorare berechnen sich doch in%en am Streitwert, und dieser ist doch in aller Regel in den vergangenen Jahren gestiegen. Somit dann doch eigentlich auch die Honorare, oder?

    Streck: Ja, bei den Streitwerten mag das so sein, aber die Kosten sind auch gestiegen. Das hebt sich auf der positiven oder negativen Seite auf.

    Remme: Aber das gilt doch auch für den gewöhnlichen Arbeitnehmer, dass die Lebenshaltungskosten gestiegen sind?

    Streck: Die Lebenshaltungskosten sind auch beim Anwalt gestiegen, aber er hat ja Betriebskosten: Er muss Personal bezahlen, er muss sein Büro bezahlen, und diese Kosten sind auch gravierend gestiegen.

    Remme: Der Bundeskanzler, immerhin ein ehemaliger Berufskollege, Herr Streck, bremst in der Frage der Gebührenerhöhung. Welche Druckmittel haben Rechtsanwälte?

    Streck: Inzwischen bremst er nicht mehr. Er hat für die Justizministerin grünes Licht gegeben und eingesehen, dass das nicht geht. Wir stehen unmittelbar vor Verhandlungen mit der Justizministerin. Ich erwarte gleich hier auf dem Anwaltstag, dass sie substanzielle Äußerungen macht, zum dem was sie am Montag oder Dienstag nächster Woche vorlegen wird. Der Gesetzesentwurf zur Änderung der Gebührenänderung ist angekündigt, und wir hoffen schon, dass sie gleich in ihrer Begrüßungsansprache auf dem Anwaltstag hier in München etwas dazu sagen wird.

    Remme: Sollte diese Erhöhung durchkommen, dann wäre das unter anderem für die Länder kostspielig, zum Beispiel Prozesskostenhilfe. Rechnen Sie da von Länderseite mit Protesten?

    Streck: Bei den Ländern muss das ausgeglichen werden. Es wird einen Ausgleich über die Gerichtskosten geben. Auch das ist in Vorbereitung im Justizministerium. Immer wenn in den letzten Jahrzehnten die Anwaltsgebührenordnung reformiert oder angehoben worden ist, gab es auch eine Reform der Gerichtskosten.

    Remme: Und wann rechnen Sie jetzt mit dieser Erhöhung?

    Streck: Am 1.7.2003. soll sie in Kraft treten. Aber dieses Jahr noch soll sie Gesetz werden. Also, wir sind nicht sehr anspruchsvoll und streiken auch nicht.

    Remme: Herr Streck, wenn diese Erhöhung durchkommt, dann ist ja damit ein Problem noch nicht gelöst, nämlich dass es immer mehr Anwälte in Deutschland gibt. Es mehren sich Anzeichen, dass der Markt gesättigt ist und trotzdem kommen jedes Jahr 6000 Anwälte dazu. Wie soll das weitergehen?

    Streck: Das ist erst mal ein politischer Fehler. Es gibt ein Studium, das jeder ergreifen kann, wo es keinen Numerus Clausus gibt: das Jurastudium. Und es gibt einen Beruf, wo die Politik sorgsam darauf achtet, dass dieser Beruf von jedem ergriffen werden kann, der dann Jurist ist, und das ist der Anwaltsberuf. Das macht uns Sorge. Uns machen nicht die Anwältinnen und Anwälte Sorge, die dann fiebrig Anwalt werden, die den Beruf ergreifen wollen. Aber die große Gruppe, die Mussanwälte, die eigentlich vor den Türen der Justiz stehen und Richter werden wollen, oder die in die Industrie gehen wollen und dort nicht angenommen werden, die dann notgedrungen Anwalt werden, die sind ein Sorgenpotenzial.

    Remme: Haben Sie konkrete Vorschläge, wie man diesem Trend begegnen kann?

    Streck: Nein, das ist unser Problem. Der deutsche Anwaltverein hat ein Mittel, aber das verwährt ihm die Politik, nämlich eine Verabschiedung vom Einheitsjuristen, indem man sagt: Ein junger Mann oder eine junge Frau mit 25 kann sich entscheiden, und wenn er oder sie dann Anwalt werden will und nicht eine allgemeine juristische Ausbildung durchläuft mit dem Traum, alles werden zu können, die dann nur noch Anwalt werden, wenn sie Anwälte werden wollen - dann haben wir schon ein gutes Mittel.

    Remme: Wir haben eben schon über das schiefe Bild gesprochen. Jetzt liest man gar von einer Verproletarisierung eines Teils der Anwaltschaft. Ist das nicht übertrieben?

    Streck: Hier in Bayern ist das sicher übertrieben. In Nordrhein-Westfalen ist das auch übertrieben, aber was uns die Kolleginnen und Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern oder aus bestimmten Teilen auch anderer Bundesländer sagen, da gibt es schon dramatische Verhältnisse.

    Remme: Es ist ja ein zwiespältiges Bild, denn in den großen Kanzleien wird ja gutes Geld verdient. Auch Berufsanfänger können sich dort wahrlich nicht beklagen. Der Einzelanwalt scheint in Nöten. Ist er ein Auslaufmodell?

    Streck: Der Einzelanwalt ist ein Startmodell. Für das ganze Berufsleben dürfte er ein Auslaufmodell sein. Das große Rückrat der Anwaltschaften sind Sozietäten von einer Größenordnung zwischen 10 und 20 Anwälten. Wir wollen uns nicht den Blick von den großen verstellen lassen, Herr Remmel. Es sind nur 8 Prozent der Anwälte, die in den großen Kanzleien arbeiten.

    Remme: Herr Streck, wird die Gebührenfrage den Anwaltstag dominieren?

    Streck: Das kann man so nicht sagen. Die große Neugierde der Anwälte geht dahin: Was geschieht da? Aber es gibt andere Themen: Es gibt die Themen der Juristenausbildung, es gibt das Thema der Schuldrechtsreform, also der Reform des BGB, und es gibt auch grundsätzlich das Problem, über das heute Frau Professor Limbach sprechen will, die Spannung zwischen Sicherheit und Recht: Wie viel Verstärkung der Polizei können wir in einem demokratischen Rechtsstaat noch vertragen, ohne dass wir umkippen zu einem totalitären Staat?

    Remme: Und sind das auch Gedanken, die insbesondere nach dem 11. September an Aktualität gewonnen haben?

    Streck: Ja, und nach dem 11. September werden die kaum noch kontrolliert. Dieses Totschlagargument, wer nichts getan hat, hat auch nichts zu verbergen, das habe ich so oft gehört. Das ist ein Argument für Diktaturen. Aber bei uns ist es so, dass der brave Bürger einen Abwehranspruch gegen den Staat hat. Die Polizei hat von ihm die Finger zu lassen. Er gehört nicht in Karteien, er gehört nicht in die EDV-Systeme.

    Remme: Und das bordet ihrer Meinung nach über?

    Streck: Ja. Nach dem 11. September war ja alles möglich: Pläne in den Schubladen der Ministerien wurden gesetzt, die vorher durch die Sensibilität der Rechtspolitiker im Bundestag gebremst worden sind.

    Remme: Ist da die Anwaltschaft mit ihren Warnungen nicht durchgedrungen oder hat sie zu spät gewarnt?

    Streck: Die Wucht des 11. September war ernorm. Wir haben gewarnt und auch in Einzelpunkten bei der Terroristengesetzgebung erreichen können, dass die Konzentration polizeilicher Gewalt nicht so weit ging, wie es das Innenministerium gerne hätte.

    Remme: Vielen Dank. Das war Michael Streck, Präsident des Deutschen Anwaltvereins. Herr Streck, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio