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Appell an die Demokratiebewegung

Als "sehr eindrucksvoll" bezeichnet Constanze Stelzenmüller von der Berliner Stiftung "German Marshall Fund" die Rede Barack Obamas an die arabische Welt. Der Westen könne zwar unterstützen, es sei aber an der Zeit, dass die arabischen Staaten anfingen, selbst ihre Probleme zu lösen.

Constanze Stelzenmüller | 20.05.2011
    Christoph Heinemann: US-Präsident Obama hat in einer Grundsatzrede zu den Umwälzungen in der arabischen Welt die historische Leistung der Protestbewegungen gewürdigt. Die Ereignisse hätten gezeigt, dass Strategien der Unterdrückung und des Gräuels nicht länger funktionierten. Das sagte Obama gestern in Washington. Zu den Revolutionen in der arabischen Welt sagte der Präsident, ausgehend von Tunesien habe sich eine Geschichte der Selbstbestimmung entfaltet. Für den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern nannte er erstmals die Grenzen von 1967 als Grundlage.

    Darüber hat mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann mit Constanze Stelzenmüller vom "German Marshall Fund" gesprochen. Erste Frage: Der US-Regierung wurde immer vorgeworfen, sie agiere im Nahen Osten zu passiv und ohne Strategie. Ist die Rede Obamas ein Beleg dafür, dass er diese Kritik angenommen hat?

    Constanze Stelzenmüller: Ich würde sagen, auf jeden Fall! Das ist eine sehr starke Rede gewesen. Erstens, weil sie doch ganz konkrete Versprechen macht, finanzieller Art. Hier werden Investitionsprogramme versprochen, Ausbildungshilfen, Unterstützung für die Zivilgesellschaft. Und das stärkste dieser Rede finde ich, dass er diese Bewegung, diese Freiheitsbewegung in Nordafrika und im Nahen Osten verglichen hat mit Amerikas Unabhängigkeitskrieg, dem Krieg gegen die Sklaverei und schließlich dem gewaltlosen Kampf für die Bürgerrechte im Süden. Das ist schon sehr eindrucksvoll.

    Dirk-Oliver Heckmann: Also durchaus ein symbolischer Akt. Aber auch finanzielle Hilfen jetzt für Ägypten und Tunesien. Das allerdings nutzt nicht den Regimegegnern in Libyen, in Syrien oder im Jemen.

    Stelzenmüller: Das ist richtig. Gut, da muss man sagen, das würde auch erst mal nichts nutzen. Ich glaube, man denkt sich in Washington, wir fangen in Ägypten und Tunesien an, wo die Freiheitsbewegungen bereits Erfolg gehabt haben, und versuchen dort sozusagen, von dort aus weiterzuarbeiten. Er hat ja ganz deutlich gesagt, dass wir auch unsere Unterstützung denjenigen geben, den Nationen, wo die demokratische Transformation noch nicht stattgefunden hat, und er hat halt ausdrücklich genannt Libyen, Syrien, Iran, Jemen und Bahrain. Interessanterweise, was er nicht genannt hat, war Saudi-Arabien.

    Heckmann: Was denken Sie denn, wie diese Rede im arabischen Raum jetzt in den nächsten Tagen auch ankommen wird? Wir haben ja schon einige Reaktionen gehört.

    Stelzenmüller: Richtig. Die Reaktionen bisher sind gemischt. Man muss natürlich sagen, man kann es hier, glaube ich, nicht allen Leuten recht machen und die muslimische Welt hat natürlich auch Wunden und Narben aus den Beziehungen mit Amerika und ein langes Gedächtnis an die jahrzehntelange Unterstützung von Diktaturen, Autokraten und korrupten Eliten durch die Amerikaner, die ja Obama ganz offen angesprochen hat und wo er gesagt hat, dass das ein Fehler war. Das hat er im Übrigen auch schon in seiner Kairo-Rede 2008 gemacht und hat damals schon gesagt, wir haben doppelte Maßstäbe angelegt und das war ein großer Fehler, das entsprach nicht unseren Werten. Aber in der Tat ist das sozusagen ein sehr wichtiger symbolischer Anfang, aber es kann nur ein Anfang sein. Was er selber sagt, ist, wir können es nicht für euch machen, ihr müsst die Freiheit suchen, wir können eich dann dabei unterstützen. Wenn es anders wäre, wenn die Amerikaner sozusagen mit schwereren, wie soll ich sagen, hier mehr eingreifen würden, würde es ihnen ja auch übel genommen werden. Dann würde das als Democracy Promotion im Bushsen Sinne begriffen werden, das wäre auch ein schwerer Fehler, das kann sich Amerika nicht mehr leisten.

    Heckmann: Blicken wir mal auf den Nahost-Konflikt selbst, also auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina. Obama hat ja jetzt gefordert, vorgeschlagen, dass Verhandlungen zwischen beiden Seiten auf der Grundlage passieren sollten der Grenzen von 1967. Wie ist das aus Ihrer Sicht einzuordnen, dieser Vorstoß?

    Stelzenmüller: Na ja, auch der ist an beide Lager hier zu verstehen. Hier wird den Israelis gesagt, wir stehen weiterhin auf eurer Seite, wir werden keine unilateralen Unabhängigkeitserklärungen der Palästinenser unterstützen, natürlich auch keinen Terrorismus, aber auch ihr werdet Kompromisse machen müssen, und wir werden für euere Sicherheit sorgen, die werden wir garantieren, unter anderem, indem wir von den Palästinensern verlangen, dass sie sich demilitarisieren. Umgekehrt ist den Palästinensern gesagt worden, oder sagt er in dieser Rede, wir werden dafür sorgen, dass ihr ein Territorium habt durch territoriale Austausche mit Israel, dass ihr dann ein Staatsgebiet bekommt, das als Staat auch funktionieren kann. Das ist also eine Geste an beide Richtungen, aber auch die ganz klare Botschaft, ihr müsst es selber machen, wir können es nicht für euch tun, aber wir sind, der Westen, Europa, Amerika, wir sind langsam ungeduldig. Ihr müsst das Problem regeln.

    Heckmann: Was bemerkenswert ist, Frau Stelzenmüller, Obama hat keinen Stopp der Siedlungen gefordert. Wie schätzen Sie das ein, dass das unterlassen worden ist?

    Stelzenmüller: Ehrlich gesagt, ich glaube, das ist in dieser Rede impliziert. Er hat es in der Tat nicht deutlich gesagt, aber er hat auch gesagt, er hat auch ganz deutlich an die israelische Adresse gesagt, dass der Status quo unhaltbar ist. Ich glaube, das war ein sehr deutlicher Hinweis an alle, die es hören wollten, auf die Siedlungen.

    Heckmann: Aber die Reaktion kam ja prompt.

    Stelzenmüller: Die Reaktion kam prompt, aber gut, die musste so kommen. Ich glaube, dass es in Israel doch manche Israelis gibt, die selber mit ihrem eigenen Premier und ihrem Außenminister nicht ganz glücklich sind und die sich eine Friedensregelung wünschen, die sie in Frieden leben lässt.

    Heckmann: Frau Stelzenmüller, vor einigen Tagen ist der Nahost-Beauftragte der US-Regierung, George Mitchell, überraschend zurückgetreten. Außenminister Hillary Clinton soll für deutlichere Signale gewesen sein, was den Nahost-Konflikt angeht. Scheinen da Differenzen innerhalb der amerikanischen Regierung auf?

    Stelzenmüller: Ich glaube, diese Differenzen hat es immer gegeben, die gibt es auch in Europa und bei uns zu Hause. Ich meine, dieses ist das älteste und schwierigste Problem im Nahen Osten, da gibt es keine schwarz-weißen Lösungen, sondern eigentlich nur Grauzonen. Der Präsident hat ja selber in seiner Rede gesagt, wir können dafür sorgen, dass sozusagen die Territorialfragen geregelt werden, wir können für Sicherheitsgarantien sorgen, offen lassen müssen wir die Frage von Jerusalem und der Flüchtlinge, das muss sich zu einem späteren Zeitpunkt ergeben. Niemand kann erwarten, dass sich solche Probleme innerhalb von Wochen, Monaten oder vielleicht auch ein oder zwei Jahren regeln lassen. Die Botschaft hier ist aber: Es ist Zeit, dass ihr endlich anfangt.

    Heinemann: Constanze Stelzenmüller vom "German Marshall Fund". Die Fragen stellte mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann.