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Apps und Downs

Längst sind Mobiltelefone nicht mehr nur zum Telefonieren da. Sie navigieren, empfangen und senden Mails und zeigen die neuesten Fußballergebnisse. Die meisten Zusatzapplikationen, kurz Apps, bietet das iPhone - und darunter sind mittlerweile auch jede Menge Kulturangebote.

Von Sebastian Weis |
    Früher war Kultur Arbeit. Zum Beispiel der Museumsbesuch. Man musste sich kümmern um Öffnungszeiten, Anfahrt und Parkplatzsuche. Dann hieß es Schlange stehen für einen der begehrten Plätze bei der Führung. Und dann stand man nicht vor der Kunst, sondern vor allem hinter anderen Kunstliebhabern und sah und hörte mehr schlecht als recht. Die App-Kultur verspricht Abhilfe, zum Beispiel mit dem Audioguide für den Kölner Dom. Der virtuelle Reiseführer sitzt sozusagen in der Hosentasche - und reagiert auf Knopfdruck:

    "Beginnen wir nun unseren Rundgang am Chor des Kölner Domes möglichst in Höhe der mittleren Kapelle."

    Kultur-Apps sind praktische Begleiter für die kulturelle Stadterkundung. Für Berlin werden alle Museen und Theater aufgelistet, samt Kurzcharakteristik, Wegbeschreibung und Öffnungszeiten. Wer das Neue Museum sucht, der findet es schnell. Dass sich darin die Nofretete versteckt, bedarf dann aber eigener Recherche. Das NRW-Forum Düsseldorf ist hier schon weiter. Sein App bietet nicht nur einen Audioguide, sondern zeigt auch Künstlerfilme und Fotos zu den jeweils aktuellen Ausstellungen. Vor allem jedoch aktualisieren sich die Inhalte immer wieder.

    Die "Großkultur" gibt es natürlich auch auf kleinstem Raum. Shakespeare im Original, die Gesamtausgabe wird kostenlos gleich mit dem iPhone geliefert. Karl Marx’ Das Kapital ist für 79 Cent zu haben. Nur wirklich lesen lassen sich diese dicken Schinken nicht auf dem kleinen Bildschirm. Wirklich praktisch hingegen ist der Brockhaus. Denn dieses Schwergewicht, das sonst Regalbretter biegt, wird als App federleicht. Und ist mit seinen vielen Fotos, Videos und Tondokumenten eine wirkliche Bereicherung.

    Die Beispiele zeigen: Die Grenze zwischen Nutzen und Unsinn der "Kultur-Apps" verläuft fließend. Viele sind einfach nur "Klingeltöne" für Erwachsene. Sie lösen ein Gefühl aus, das man sonst nur vom Dauerwerbefernsehen bekommt. Dieses "Habenwollen"-Gefühl. Wer will kann seinen IQ testen oder sein Gedächtnis trainieren. Es gibt Apps zum Bestimmen von Vögeln und Bäumen, zum Erkennen von Baustilen und Apps, die für jeden Moment das richtige Zitat versprechen. In Sachen Kulturgeschichte ist man dabei oft wenig zimperlich: So hieß die bis vor kurzem meistverkaufte App Italiens Mussolini-App, mit Videos und Reden des faschistischen Führers.

    Angeblich alles im Namen der Wissenschaft und zwecks Informationsgewinn. Auch wenn es sich um pubertäre Provokation vor allem junger Käufer handelt: die Vorstellung ist befremdlich, dass Mussolini derzeit täglich aus tausenden italienischen Handys schreit. Es liegt also im Daumen des Nutzers, wohin die App-Kultur führt. Zur App-okalypse oder zur App-otheose?