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Arabische Clans
Parallelgesellschaft mitten in Berlin

In Berlin existiert eine Parallelgesellschaft aus arabischen Großfamilien, die ihre eigene Rechtsprechung und wenig bis kein Vertrauen in den deutschen Staat haben. Für den Integrationsbeauftragten Mengelkoch sind das Folgen einer verfehlten Integrationspolitik. Aber selbst für die arabisch-stämmigen jungen Leute, die es wollen, ist es schwer, einen Job zu finden.

Von Anja Nehls | 15.04.2016
    Einsatzkräfte der Polizei gehen am 12.04.2016 vor einem Wohnhaus in Berlin im Bezirk Neukölln. Am frühen Morgen gab es hier Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Mit einem Großeinsatz, an dem auch Kräfte des Spezialeinsatzkommandos beteiligt sind, geht die Polizei gegen eine mutmaßlich kriminelle arabische Großfamilie vor.
    Einsatzkräfte der Polizei im Berliner Bezirk Neukölln. (Gregor Fischer/dpa)
    Unterwegs in der Neuköllner Sonnenallee in Berlin. Im Restaurant gibt es Schawarma, Halloumi und Falafel, an den meisten Läden gibt es arabische Beschriftungen, es gibt Supermärkte mit Spezialitäten aus dem Libanon, aus Syrien oder Palästina.
    "Die meisten Menschen hier in der Sonnenallee sind arabisch, die meisten Ladeninhaber auch, vielleicht 10% der Menschen hier sind Deutsche. Hier in Berlin ist die Gegend rund um die Sonnenallee in Neukölln und Kreuzberg arabisch, die nennen die Sonnenallee arabische Straße."
    Arabische Parallelgesellschaft in Berlin
    Sagt Mohamed Awad, der vor zwei Jahren aus politischen Gründen aus Palästina nach Berlin gekommen ist. Wer möchte, der finde in Berlin eine arabische Parallelgesellschaft, sagt er, obwohl das nicht die Mehrheit sei. Das Gefühl, hier eben doch nicht so ganz akzeptiert zu werden, ist allerdings verbreitet, und das hat eine Geschichte: Die meisten arabischstämmigen Familien sind seit den 90er Jahren, seit dem Libanonkrieg in Berlin.
    Es sind z. B. Palästinenser und vor allem kurdisch-libanesische Großfamilien, die ursprünglich aus der aus Südosttürkei stammten, und die weder in der Türkei, noch im Libanon oder dann hier Berlin so richtig das Gefühl hatten, dazuzugehören. Je nach Aufenthaltsstatus durften sie auch nicht arbeiten, kein Abitur machen, manchmal nicht mal den Führerschein. Das führt zum Frust und in die Kriminalität, sagt Arnold Mengelkoch, der Integrationsbeauftragte von Berlin Neukölln. Für ihn sind die Zustände von heute ein Ergebnis der Fehler von damals:
    "Und dann haben sie eben nicht in der Integration, sondern geguckt wo kriegen sie ihr Geld her und das ging eben im kriminellen schneller als im legalen Bereich. Drogen, Prostitution, Waffen, illegaler Shisha Tabak aus dem Libanon einführen und Geldverleih. Zweite Generation waren die, wo die Jungs dann sagten, was - ich soll eine Berufsausbildung machen und mir hier den ganzen Tag die Beine in den Bauch stehen, kommt nicht in Frage. Mein Onkel richtet mir ein Geschäft ein."
    Familienzusammenhalt ist bei arabischen Großfamilien besonders stark
    Immer wieder fallen Mitglieder bestimmter arabischstämmiger Großfamilien hier auf, wenn es um schwere und organisierte Kriminalität geht. Im Jahr 2014 gab es in Berlin 44 Ermittlungskomplexe im Bereich der organisierten Kriminalität, ein Viertel davon gegen arabischstämmige Gruppierungen, sagt Dirk Jakob vom Berliner Landeskriminalamt. Neben Drogen und Menschenhandel gehe es dabei vor allem um Einbrüche und Banküberfälle:
    "Das heißt also, das Aufbrechen von Schließfächern und das Sprengen und Öffnen von Geldausgabeautomaten. Da gehören auch die Blitzeinbrüche dazu, insbesondere mit hoher Beute im Bereich teurer Unterhaltungselektronik. Schutzgelderpressung. Also die Anzeigebereitschaft bei Schutzgelderpressung ist ausgesprochen gering."
    Gerade erst hat die Berliner Polizei im Rahmen einer Großrazzia über ein Dutzend Wohnungen, Geschäfte und Firmenräume durchsucht, Schmuck, Bargeld, eine Schusswaffe und einen Porsche, sichergestellt und vor allem acht Haftbefehle vollstreckt - allesamt gegen Mitglieder einer arabischen Großfamilie aus Berlin. Gesucht wurden die Männer wegen eines versuchten Auftragsmordes und wegen des Raubüberfalls auf das Berliner KaDeWe, bei dem sie Uhren und Schmuck im Wert von über 800.000 Euro erbeutet haben. Weil normalerweise aus diesen Kreisen niemand eine Aussage macht, sind die Ermittlungen für die Polizei besonders schwer. Der Familienzusammenhalt ist bei den arabischen Großfamilien besonders etwas Besonderes, meint Arnold Mengelkoch.
    18 bis 20 arabische Großfamilien mit insgesamt 8500 bis 9000 Angehörigen
    "Also die Männer stehen außen rum, mit dem Rücken zur Familie, hakeln sich ein und verteidigen das Ganze, innen drin sind die Frauen, die Mädchen und die Jungs. Und wenn es da zu stresseig wird, drehen sich einige der Männer um, sorgen für Ordnung, auch mit physischen Mitteln, drehen sich wieder zurück, weil der Außenschutz muss ja gewahrt sein, so stelle ich mir das immer bildlich vor."
    Insgesamt 18 bis 20 arabische Großfamilien gibt es in Berlin mit insgesamt mit 8500 bis 9000 Angehörigen – 50 bis 500 Mitglieder pro Familie. Manche von ihnen bilden ein gegenüber der deutschen Gesellschaft abgeschottetes System. Erst Ende vergangenen Jahres hatte der Berliner Senat eine Studie in Auftrag gegeben. Ergebnis: Manche, auch ernste Konflikte werden nicht über das deutsche Rechtssystem, sondern von selbst ernannten Friedenrichtern geschlichtet, sagt Justizsenator Thomas Heilmann:
    "Sie müssen sich das so vorstellen, dass der Friedensrichter ein Abhängiger vom Clanchef ist, der sagt, ich habe jetzt keine Lust, mich selber zu kümmern, jetzt sieh du zu, dass die so funktionieren, wie ich es will, als Zeuge nicht aussagen oder schön da bleiben bei dem Mann, der sie prügelt oder was auch immer das Thema ist."
    Es fehlt einfach am Vertrauen in die deutschen Behörden, meint Abed Chaaban. Er kam vor über 30 Jahren auch aus dem Libanon. Im deutsch-arabischen Zentrum in Berlin Neukölln berät er jetzt Syrer, Libanesen oder Palästinenser, für einen Träger arbeitet er mit straffälligen Kindern und Jugendlichen und hilft arabischen Familien, wenn es Probleme gibt. Die gibt es häufig. Über die Hälfte der jungen Intensivstraftäter in Neukölln sind arabischstämmig, ihr Anteil an der Bevölkerung beträgt aber nur knapp zehn Prozent. Dabei wollen auch die arabischstämmigen Jugendlichen in Berlin eigentlich dazugehören. Ein Gefühlt irgendwo so dazwischen, beschreibt Abed Chabaan.
    "Wenn du wirklich arbeiten willst, erlauben sie es dir nicht"
    "Das sind keine dummen Jugendlichen, die sind alle hochintelligent, aber dieser Stolz oder schauen Sie mal an, was die Muslime machen, wenn die deutschen Fußball spielen, die werden sauer, wenn Deutschland verliert, die haben also irgendwas im Blut, ich bin ein Teil dieses Landes, ich will was für dieses Land machen, ich mag dieses Volk, die sind menschlich, aber die lassen für mich nicht diese Tür offen."
    Das Gefühl kennt auch Mohamed Awad. Noch immer lebt der Journalist hier von Sozialhilfe. Obwohl ihm bereits ein Job angeboten wurde, durfte er ihn nicht annehmen:
    "Ich kann dieses deutsche Gesetz nicht verstehen, dass sie dich nicht arbeiten lassen. Auch wenn du wirklich arbeiten willst und nach einem Job suchst und einen angeboten bekommst, erlauben sie es dir nicht. Das ist für mich aber der erste Schritt bei der Integration, die Menschen arbeiten zu lassen."
    Einen Ausweg aus der Misere zu finden ist schwer. Eine Großrazzia ist sicherlich ein Zeichen dafür, dass kriminelle Machenschaften hier nicht geduldet werden, eine Lösung für das Problem ist sie sicher nicht, sieht Berlins Justizsenator Thomas Heimann:
    "Wir möchten zusätzliche Brücken in diese Strukturen, arabische Familienclans aber auch andere kriminelle Organisationen hinein bauen und insbesondere den Betroffenen den Opfern den Weg zur Polizei zur Staatsanwaltschaft leichter machen."
    Wie das genau gehen kann, wird jetzt im Berliner Senat erarbeitet. Ende April soll ein Konzept vorliegen.