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Arabische Welt von Misshandlungen im Irak schockiert

Jochen Spengler: Auch Laura Bush, die Ehefrau des Präsidenten hat sich nun zu Wort gemeldet. Sie bezeichnete den Skandal um die Gewaltexzesse von US-Soldaten gegen irakische Gefangene als sehr, sehr traurig. Wörtlich sagte Sie: "Das ist traurig für die Iraker, die misshandelt und erniedrigt wurden und es ist traurig für die Frauen und Männer, die diese Taten begannen haben. Wir, mein Mann und ich, erleiden jedes Mal Qualen, wenn eines dieser Fotos auftaucht und wir es sehen". Soweit das Zitat und man möchte hinzufügen, dass die Qualen des Ehepaares Bush beim betrachten der Bilder andere sein dürften, als die Qualen, die jene erlitten, die auf den Bildern zu sehen sind. Und auch andere, als jene, die die arabische Welt derzeit durchleidet. Am Telefon ist Dr. Amr Hamzawy, Politikwissenschaftler an der Universität Kairo. Herr Hamzawy, wenn die Ehefrau des amerikanischen Präsidenten so etwas sagt, oder wenn der Präsident selbst sich entschuldigt, wird das in der arabischen Welt überhaupt noch registriert oder interessiert das schon keinen mehr?

Moderation: Jochen Spengler |
    Amr Hamzawy: Nein, im Moment wird das durchaus registriert. Man ist daran interessiert, zu hören und zu sehen, dass die Amerikaner, vor allem Vertreter der Administration, sich entschuldigen. Das tut teilweise der arabischen Seele gut. Auf der anderen Seite ist es so, dass im Moment ein Gefühl überwiegt, geschockt und negativ von den Ereignissen im Irak überrascht zu sein, von den Foltermethoden der Amerikaner und der britischen Soldaten. Man ist zwar weiter an den Äußerungen interessiert, aber es überwiegt im Moment viel mehr der Schockzustand, in dem viele noch verharren. Das war sehr unerwartet, um es milde auszudrücken.

    Spengler: Diese Bilder sind widerlich und abstoßend für alle, für Europäer und für Amerikaner auch. Manche Araber sagen jedoch, dass Europäer und Amerikaner die wahre Bedeutung der gezeigten Demütigungen nicht verstünden. Warum nicht?

    Hamzawy: Es liegt teilweise an der Nacktheit der meisten Bilder, die bis jetzt in den arabischen Satellitensendern oder teilweise sogar in arabischen Tageszeitungen gezeigt wurden. Dieser Umgang mit dem Körper, mit der Nacktheit der Menschen ist hier im arabische Raum anders geprägt. Um es etwas verständlicher zum Ausdruck zu bringen: Es überwiegt ein konservativer Umgang damit. Man ist schon schockiert, wenn überhaupt Nacktheit auf Bildern gezeigt wird. Solche Bilder werden generell eigentlich gar nicht gezeigt. Es wurden jetzt erhebliche Ausnahmen gemacht, um zu zeigen, wie diese Foltermethoden wirklich waren, und das schockiert. Auf der anderen Seite - und hier kommen wir zu den kritischen Komponenten dieser Grausamkeiten, dieser grausamen Bilder - man hat das wirklich nicht erwartet. Man hat alles andere erwartet von den Amerikanern, von der Koalition, alles andere, als eine Behandlung irakischer Gefangener, ohne Achtung der Menschenrechte, ohne Achtung ihrer Würde. Man hat viel geredet über die amerikanische Politik, den amerikanischen Imperialismus. Aber das hat man nicht erwartet.

    Spengler: Bleiben wir noch mal bei den Bildern, was bedeuten eigentlich solche Handlungen. Wenn man nackt ausgezogen wird, was bedeutet das für einen Araber, nicht für den Betrachter, sondern für den an dem solche Handlungen vorgenommen werden. Sehen Sie da auch einen Unterschied zu dem, was ein Europäer empfinden würde. Er würde das ja sicher auch als sehr demütigend empfinden.

    Hamzawy: Ja, der Unterschied besteht darin, dass hier Nacktheit zu zeigen bedeutet die Würde zu verlieren, egal in welchem Kontext auch immer. Wenn Sie hinzufügen, dass der Kontext in dem diese nackten Körper gezeigt werden, ein Kontext ist, in dem diese Menschen gefoltert wurden, misshandelt wurden, da kommt dann noch diese zweite Komponente dazu. Aber Nacktheit an sich ist schon ein Tabu im arabischen Raum. Es wird nicht gezeigt, wenn es gezeigt wird, dann gilt es auf jeden Fall als demütigend. Es gab Äußerungen quer durch den arabischen Raum, von Intellektuellen, von Politikern, in den letzten Tagen, die sehr negativ waren. Die Menschen befinden sich in einem Schockzustand.

    Spengler: Es ist ja ein Unterschied, ob einem das selbst passiert oder ob man sich solche Bilder anschaut. Wenn Araber sich solche Bilder anschauen, was ist das dann für ein Gefühl? Wirkt das wie eine kollektive Entwürdigung oder Niederwerfung oder wie würden Sie das nennen?

    Hamzawy: In der Tat. Da haben Sie einen entscheidenden Punkt angesprochen. Die kollektive Kategorie, "Wir Araber werden misshandelt", das überwiegt im Moment. Man betrachtet die Leute nicht als Iraker, zum Beispiel einer bestimmten politischen Orientierung, das ist alles im Moment nicht mehr interessant. Man betrachtet sie als Araber. Sie wurden misshandelt, ihre Nacktheit wurde gezeigt und da fühlt man sich nicht nur betroffen, man identifiziert sich mit den Misshandelten. Da überwiegt im Moment die kollektive Kategorie "Wir gehören alle zusammen. Wir alle wurden misshandelt, kollektiv misshandelt". Deshalb ist es im Moment sehr schwierig für die Amerikaner oder für andere westliche Staaten oder Politiker über Menschenrechte zu sprechen. Das verliert an Glaubwürdigkeit und wird als Gerede betrachtet.

    Spengler: Die bekundete Absicht der Amerikaner, dem Irak Demokratie zu bringen, nimmt man das Herrn Bush noch ab?

    Hamzawy: Ich glaube, dass die Amerikaner, vor allem der Präsident, im Moment eine sehr schwierige Aufgabe haben, den Irakern und auch insgesamt den Menschen in der Region zu vermitteln, dass sie es ernst meinen. Der Blick nach vorne weist auf den 30. Juni. Diese Datum ist entscheidend, um teilweise die Einbrüche, die in den letzten Wochen entstanden sind, wieder zu relativieren. Selbst die liberalen Eliten, die den Amerikanern nahe stehen haben sich in den letzten Wochen rhetorisch davon distanziert. Ich glaube, dass der 30. Juni entscheidend ist, wenn sie das gut abwickeln, wenn Lakhdar Brahimi mit seinem Plan weiter kommt, wenn anständige, renommierte Iraker an die Macht kommen in der Übergangsregierung, dann ist einiges dafür getan.