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Arbeit für die Gemeinschaft statt Haftstrafen

Meurer: "Schwitzen statt sitzen" heißt landläufig ein Vorhaben, das sich die Justizpolitiker in Deutschland auf die Fahnen geschrieben haben. Gemeint ist mit dem Schwitzen Sozialarbeit statt Haftstrafen. Nicht wenige zu einer Geldstrafe Verurteilte sind finanziell nicht in der Lage, ihre Strafe zu bezahlen, und sie treten dann eine Ersatzhaftstrafe an und tragen damit zur Überfüllung der Justizvollzugsanstalten bei. Unter anderem das will jetzt die Bundesjustizministerin ändern mit einem Referentenentwurf, der Haftstrafen in solchen Fällen vermeiden helfen soll. Am Telefon begrüße ich jetzt die Bundesjustizministerin, Frau Herta Däubler-Gmelin, SPD. Guten Morgen.

    Däubler-Gmelin: Guten Morgen Herr Meurer.

    Meurer: Es geht um die sogenannte Reform des Sanktionenrechts. Um welche Sanktionen geht es? An was denken Sie?

    Däubler-Gmelin: Nun, Sie haben einen Teil schon erwähnt, wenn ich auch den Begriff der Sozialarbeit nicht verwenden würde, weil der ja nun die Bedeutung hat, dass damit Berufsfelder gemeint sind, die anderen helfen, die andere beraten. Bei uns geht es darum, eine richtige, eine angemessene Strafen zu finden, d.h. eine Strafe, die sehr deutlich macht, dass die Gesellschaft die Verletzung von Gesetzen nicht duldet, und die ganz deutlich macht, je schwerer die Verletzung von Gesetzen desto schwerer die Strafe, die aber auch deutlich macht, wenn jemand wegen eines leichteren Deliktes zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, die er aber nicht zahlen kann, dann ist es ziemlich sinnlos und teuer und falsch und ungerecht, ihn ins Gefängnis zu stecken, sondern dann soll schwitzen statt sitzen, d.h. Arbeit im Dienste der Gemeinschaft geleistet werden.

    Meurer: Wie soll die Arbeit im Dienste der Gemeinschaft aussehen?

    Däubler-Gmelin: Das heißt erst mal, es gibt keinen privaten Arbeitgeber, sondern das bedeutet, dass hier Arbeit organisiert werden muss, und das heißt natürlich, dass jemand, der z.B. einen Ladendiebstahl begeht und das im Wiederholungsfall und dann erwischt wird, und der dann zu einer sachlichen Geldstrafe verurteilt wird, aber nicht bezahlen kann, das der nicht in den Knast muss. Ich will das einfach mal deutlich machen, was das heißt. Das heißt Ersatzfreiheitsstrafe führt dazu, dass Tausende von Haftplätzen in der Bundesrepublik mit Leuten belegt sind, die im Grunde genommen weder für die Gesellschaft gefährlich sind noch zu Haftstrafen verurteilt wurden. Und das kostet pro Haftplatz - wie gerade die Bayern festgestellt haben - mehr als 100.000 DM im Jahr. Das hat also ungeheure Nachteile. Und da kommt es nun darauf an, dass hier bestimmte Stunden, die der Richter festlegt, z.B. Kalken im Tierheim, Papier auflesen in den Anlagen und sonstige Tätigkeiten, die bei uns keiner tun will, die auch außerordentlich wenig gut bezahlt werden, dass die abgeleistet werden, weil das der Gesellschaft nützt und ihr nichts kostet.

    Meurer: Was sagen Sie zu dem möglichen Vorwurf: Gemeinnützige Arbeit sei ja viel milder als eine Haftstrafe?

    Däubler-Gmelin: Es geht ja auch nicht um Haftstrafe, sondern es geht um Geldstrafe.

    Meurer: Aber letztendlich geht es um ersatzweise Haftstrafe. Und Sie sagen, da kann jemand statt in Haft zu gehen, gemeinnützige Arbeit leisten.

    Däubler-Gmelin: Nein, Herr Meurer. Lassen Sie mich das nochmal sagen. Es geht um solche Täter, die weil ein Delikt vorliegt, das Delikt aber vom Strafgesetzbuch und durch den Richter oder die Richterin so eingestuft wurde, zu einem Urteil mit Geldstrafe geführt hat. Und es kommt als zweites dazu, dass diese Geldstrafe, weil es z.B. jemand ist, der arbeitslos ist oder überhaupt kein Geld hat, dass die nicht gezahlt werden kann. Und da ist bisher dem jetzige Strafrechtssystem eben nicht mehr eingefallen als dann die sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe bzw. Gefängnis ersatzweise anzuordnen. Und das ist das, was falsch ist.

    Meurer: Sie nannten das Beispiel Ladendiebstahl.

    Däubler-Gmelin: Lassen Sie mich nur noch mal sagen, weil die Bayern beispielsweise, die ich schon erwähnt habe, das auch bemerkt haben, fangen die jetzt an, zu sagen: Also, wir stecken die nicht mehr in richtige Gefängnisse. Zumal ja eine Gefahr für die Allgemeinheit nicht vorliegt, und weil es zu teuer ist, sondern die machen so was wie Gefängnis light, wo dann in der Nacht quasi nur noch ein Beamter wacht. Und da sagen wir, dass das wirklich überflüssig ist, sondern dann soll dieser Verurteilte gleichzeitig für die Gemeinschaft auch was Positives leisten.

    Meurer: Geldstrafen gibt es ja auch für einfache Körperverletzungen. Das ist also auch denkbar, statt Ersatzhaftstrafe gemeinnützige Arbeit bei einfacher Körperverletzung?

    Däubler-Gmelin: Sicher. Wenn Sie z.B., was ich nicht hoffe, in einem Wutanfall jemand eine Ohrfeige verpassen, dann ist das auch eine leichte Körperverletzung, auf die Geldstrafe steht. Wenn dann jemand nicht bezahlen könnte, wäre die Frage, was ist denn da die richtige Strafe. Gefängnis, oder dass er für die Gemeinschaft was Vernünftiges leistet, dass Opfer entschädigen kann, dass z.B. auch seine Familie nicht der Sozialfürsorge anheim fällt usw. Und da sagen wir nun: Schwitzen statt sitzen.

    Meurer: Sie versprechen ja auch die Berücksichtigung der Interessen der Opfer, also in dem Fall, demjenigen wollen Sie helfen, dem ich die Ohrfeige verpasst hätte?

    Däubler-Gmelin: Ja, sogar dringend. Ich glaube, dass die Interessen der Opfer zu wenig gesehen werden.

    Meurer: Und wie wollen Sie den Opfern helfen?

    Däubler-Gmelin: Durch drei unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. Eine haben wir schon gemacht, das ist der sogenannte Täter-Opfer-Ausgleich, d.h. hier, dass der Täter dann bei der Wiedergutmachung des Schadens einen Schwerpunkt setzen kann, dass er sich beim Opfer entschuldigt, den materiellen Schaden wieder gutmacht, und dass sich das dann auch für ihn lohnen kann. Das ist schon Gesetz. Das zweite ist, dass wir sehr deutlich machen, dass ein bestimmter Anteil jeder Geldstrafe für Zwecke der Hilfe für die Opfer zur Verfügung stehen muss. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil wir heute sehen, dass viele Leute den Eindruck haben, dass für Opfer eigentlich zu wenig getan werde in unserer Gesellschaft. Und der dritte Punkt ist, dass wir sagen, wenn es darum geht - was ja häufig der Fall ist -, dass ein Täter Geldstrafe und Wiedergutmachung für die Opfer gleichzeitig leisten muss. Dann muss die Geldstrafe zeitlich warten bis das Opfer seinen Schaden wieder gutgemacht erhalten hat.

    Meurer: Gemeinnützige Arbeit als Sanktion könnte durch einen aktuellen Fall in die Kritik geraten. Ein 19jähriger war wegen der Hetzjagd von Guben zu 200-stündiger gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Er sitzt jetzt seit dem zweiten Weihnachtsfeiertag prompt in Untersuchungshaft wegen eines neuen vermutlich fremdenfeindlichen Überfalls. Ist Sozialarbeit das falsche Zeichen gemeinnütziger Arbeit?

    Däubler-Gmelin: Nein, wir sind dabei, nicht die Strafe oder die Sanktion zu kritisieren, sondern das Urteil. Das heißt demnach, die Frage zu beantworten, ob der Richter in diesem Fall richtig geurteilt hat. Zu diesem Einzelfall kann ich mich leider als Bundesministerin der Justiz überhaupt nicht äußern, obwohl ich sehr deutlich sagen will, wenn ein Richter im Namen des Volkes urteilt, muss er sich auch der Kritik stellen. Nur das spricht nicht gegen die Sanktion an sich. Ich glaube übrigens gar nicht, dass der Verurteilte seine Strafe schon angetreten hatte.

    Meurer: Urteilen die Gerichte bei fremdenfeindlichen Gewalttaten immer noch zu milde?

    Däubler-Gmelin: Ich habe den Eindruck, dass es im Moment nicht so ist. Ich kenne eine Menge an Urteilen, wo sich gar keine öffentliche Kritik entzündet. Es gibt Urteile, die stehen in der öffentlichen Kritik. Die muss man dann aber auch insgesamt und ganz zur Kenntnis nehmen. Ich habe den Eindruck, dass sowohl Polizei als auch Justiz grundsätzlich ihre Aufgabe und ihre Verantwortung sehr wohl wahrnehmen.

    Meurer: Auch im Fall Guben?

    Däubler-Gmelin: Das sagte ich Ihnen ja. Kritik an einzelnen Urteilen steht mir nicht zu. Das es da Dinge gab, über die sich jeder wunderte, das ist freilich so.

    Meurer: Nun hat der brandenburgische Justizminister Kurt Schelter, CDU, einen Vorschlag gemacht und sogar eine Gesetzesinitiative im Bundesrat, man könne doch künftig zwischen Körperverletzung und Körperverletzung aus niederen Beweggründen unterscheiden. Was halten Sie davon?

    Däubler-Gmelin: Nun, der Gedanke bzw. das Grundprinzip, das der Kollege geäußert hat, ist völlig richtig. Das ist klar. Ich sehe da aber ein gewisses Problem drin, weil damit der Eindruck erweckt wird, das müssten oder könnten Richter heute nicht schon tun. Das ist aber so. Einer der Kritikpunkte, die wir häufig in der Öffentlichkeit sehen ist ja nicht nur, dass Richter die Tat anders einschätzen als der Journalist, der darüber redet, sondern der Eindruck entsteht, wenn eine Tat aus rechtsextremen Gründen getan wird, als sei das nicht besonders verwerflich. Das ist aber so. Wenn Sie heute die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anschauen, dann haben die das vor wenigen Wochen nochmals mit großer Deutlichkeit erklärt. Das muss zur Kenntnis genommen werden. Und wenn in einem Land das nicht so sein sollte, muss darüber geredet werden. Ich finde es schade, wenn der Eindruck erweckt wird, als bräuchte man dazu ein neues Gesetz.

    Meurer: Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin heute morgen bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio