Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Arbeit ist "viel menschlicher geworden"

Im Vergleich zur Situation vor circa 100 Jahren gehe heute mit der Arbeit nicht mehr enorme ruinierende körperliche Belastungen einher, erläutert der Neurobiologe Joachim Bauer. In der heutigen Zeit seien vor allem psychologische Belastungen vorhanden.

Joachim Bauer im Gespräch mit Jürgen Liminski | 04.05.2013
    Jürgen Liminski: In der Genesis heißt es: "Der Mensch wurde geschaffen ut operaretur, damit er arbeite." Das gehört offenbar zu unserer Natur – nichts sagt die Bibel allerdings darüber, wie viel der Mensch arbeiten soll, wie stressfähig die Natur ist, und ob es nicht auch andere sinnvolle Beschäftigungen gibt. Zwischen Glück und Krankheit bewegt sich der Begriff der Arbeit, und genau diesen Raum zwischen diesen beiden Polen Glück und Krankheit hat der Freiburger Neurobiologe Joachim Bauer in seinem jüngsten Buch auszumessen versucht: "Arbeit – warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krankmacht" lautet der Titel des jetzt im Karl Blessing erschienenen Opus, und den Autor haben wir vor der Sendung am Telefon erreicht. Die erste Frage lautete: Herr Professor Bauer, Sie betreiben eine Praxis, halten Vorträge, sind im Lehrbetrieb tätig, dies ist Ihr sechstes, siebtes Buch – sind Sie ein Held der Arbeit?

    Joachim Bauer: Ja, das ist ein Titel, den möchte ich mir nicht anheften. Aber ich arbeite gerne, weil mir die Arbeit die ich tue, Freude macht, weil sie vielseitig ist – ich habe eine große Anforderungsvielfalt zwischen Forschung, Lehre und Patientenversorgung, und weil ich auch immer wieder versuche, die Arbeit zu balancieren, das heißt, immer wieder auch Muße mir zu gönnen, sodass mich die Arbeit nicht plattmacht. Und diese Faktoren, die ich gerade genannt habe, sind übrigens auch ganz wichtige Parameter, die darüber entscheiden, ob Menschen am Arbeitsplatz überhaupt gesund bleiben können, also Anforderungsvielfalt, nicht so viel Monotonie, keine Hetze, nicht permanent unter Zeitdruck stehen, nicht permanent unterbrochen werden, und die Arbeit balancieren durch Muße, durch Freizeit, das sind eigentlich so die Tricks, mit denen man gesund bleiben kann am Arbeitsplatz.

    Liminski: Was ist denn für Sie Arbeit? Erwerbsarbeit, Beschäftigung, Aktivität oder doch naturgemäße Berufung?

    Bauer: Nun, bei bestimmten Berufen geht natürlich die Arbeit sozusagen ins Künstlerische über, aber die große Masse der Menschen arbeitet ja in einer arbeitsteiligen Gesellschaft in sehr spezialisierten Bereichen, und das, was wir als Arbeit heute bezeichnen, beginnt eigentlich vor etwa 10.000 Jahren eben mit der arbeitsteiligen Betätigung, also Menschen sind den ganzen Tag im Steinbruch tätig, oder dann später in Fabriken oder in Handwerksstuben und heute im Büro. Diese arbeitsteilige Beschäftigung, Spezialisierung auf bestimmte Spezialitäten, das ist das, was man heute als Arbeit bezeichnet: Menschen, die sozusagen die Möglichkeit haben, sehr kreativ tätig zu sein, zum Beispiel Künstler oder Goldschmiede oder vielleicht auch Wissenschaftler, die einen gewissen Freiraum bei Ihrer Arbeit haben, die haben natürlich ein Privileg.

    Liminski: Zum ersten Pool Ihres Arbeitsbegriffes in dem Buch, dem Glück: Inwiefern macht Arbeit glücklich? Weil es Geld bringt – es ist ja doch meistens zu wenig – oder weil es Sinnerfüllung ist – wobei es da sicher auch auf die Art der Beschäftigung ankommt?

    Bauer: Ja, aus Sicht der Hirnforschung möchte der Mensch kreativ sein, er möchte nützlich sein, er möchte sich nützlich machen, und unser Gehirn hungert nach Anerkennung und Wertschätzung, und was ist besser geeignet, um Anerkennung und Wertschätzung zu erhalten, um Kreativität auszuleben, als die Arbeit. Das heißt, zunächst einmal ist die Arbeit eine große Ressource und eine große Möglichkeit, Befriedigung zu bekommen und vielleicht sogar Glück zu erleben.

    Liminski: Was passiert denn im Hirn, wenn wir glücklich arbeiten?

    Bauer: Vor allem die Motivationszentren werden aktiv, also wenn wir etwas tun, von dem wir erwarten können, dass es die Wertschätzung anderer Menschen, den Respekt und die Anerkennung bringt, dann werden die Motivationszentren im Mittelhirn aktiv und schütten ihre Glücksbotenstoffe aus. Und das ist einer der Gründe, warum Menschen, wenn keine anderen Gründe dagegen sprechen, gerne arbeiten.

    Liminski: Zum zweiten Pool in Ihrem Buch, Sie haben es vorhin eingangs auch schon einmal angedeutet: Wann beginnt die Arbeit krank zu machen, welche Symptome sind sozusagen rote Alarmlämpchen?

    Bauer: Also die Arbeit macht dann krank, wenn Sie den Bedürfnissen unseres Gehirns und unseres Körpers widerspricht, also wenn wir unter permanenter hoher Beschleunigung, unter Zeitdruck, unter Hetzbedingungen arbeiten müssen, wenn wir uns nicht auf eine Sache konzentrieren können, auch das ist sehr schlecht, wenn wir Multitasking machen müssen oder permanent unterbrochen werden bei der Arbeit, auch das ist ein Stressfaktor, und ein ganz wichtiger zusätzlicher Stressfaktor sind schlechte zwischenmenschliche Beziehungen am Arbeitsplatz, also überall dort, wo die Kollegialität nicht stimmt, oder wo die Führung von Mitarbeitern nicht gut ist, wo permanent nur mit Druck gearbeitet wird, oder wo permanente schlechte Laune herrscht, wo Vorgesetzte ihre Mitarbeiter nicht gut führen, dort werden Menschen krank.

    Liminski: Ist denn unsere Arbeitswelt Ihrer Meinung nach menschlich?

    Bauer: Gegenüber den Verhältnissen, wie wir sie vor 150 Jahren und vor 100 Jahren hatten, ist die Arbeit heute ohne Zweifel viel menschlicher geworden, allerdings haben sich die Belastungen einfach verändert auch. Wir haben natürlich nicht mehr diese enormen ruinierenden körperlichen Belastungen, die mit der Arbeit vor 150 oder 100 Jahren einhergingen. Was wir heute haben, sind vor allem psychomentale Belastungen, psychologische Belastungen. Über die Aktivierung der Stresssysteme sind eben Gefahren gegeben, die dann das Risiko erhöhen, dass wir Burn-out-Symptome oder auch depressive Erkrankungen entwickeln.

    Liminski: Ich las neulich, Herr Bauer, in der "Neuen Zürcher Zeitung" ein Essay zum Thema "Lob der Faulheit". Ist das ein Rezept, eine Anleitung zum glücklich Sein?

    Bauer: Na ja, die Faulheit, das klingt natürlich sehr negativ, weil als faul bezeichnen wir ja in der deutschen Sprache Menschen, die sich um die Arbeit herumdrücken. Und ich glaube, das ist nicht löblich. Aber was Paul Lafargue, der Autor, mit seinem Buch "Lob der Faulheit" vor, ich glaube, etwa 120 Jahren gemeint hat, und was auch Bertrand Russell in einem Schriftsatz "Lob der Faulheit oder der Muße" sagen wollte, ist, dass wir uns durch die Arbeit nicht plattmachen lassen dürfen, das heißt also, Arbeit darf nicht das ganze Leben ausfüllen, weil es gibt jenseits der Arbeit ja noch überaus lohnenswerte Ziele, für die es sich zu leben lohnt, also die Muße, das Träumen, das zwecklose Zusammensein mit Freunden, die Musik, die Begegnung mit der Natur, der Sport, all das sind ja auch wunderbare Lebensinhalte, und wir sollten bei aller Liebe zur Arbeit, gerade deshalb, weil wir immer wieder auch in der Gefahr sind, sozusagen arbeitssüchtig zu werden, sollten wir deswegen nicht vergessen, dass es eben jenseits der Arbeit noch sehr wichtige Dinge im Leben gibt, und dass wir uns hier die Zeit auch für die Muße nehmen.

    Liminski: Was ist Muße, und was ist ein Workaholic?

    Bauer: Nun, Muße ist ein Zustand, in dem sozusagen die Zeit ein Stückchen ausgeschaltet ist. Also man kann auch bei der Arbeit Muße haben. Ich will mal ein anschauliches Beispiel nennen, wenn der Schuhmacher in aller Versenkung und Konzentration einen Schuh herstellt, dann kann er dabei durchaus Muße haben, wenn keine Zeithetze herrscht, wenn er nicht unter Druck steht. Ein Workaholic ist ein Mensch, der sein ganzes Selbstwertgefühl nur noch aus der Arbeit zieht, das heißt, die Aktivierung der Motivationssysteme, die Ausschüttung von Glücksbotenstoffen, das Erleben von Glück wird nur noch über die Arbeit erlebt. Und das ist eine ganz gefährliche Sache, weil bei Menschen, die sozusagen arbeitssüchtig sind und ihre ganze Selbstwertorientierung zu einseitig auf die Arbeit ausrichten, erfahrungsgemäß das Privatleben immer mehr kaputtgeht, die Freunde laufen davon, das soziale Umfeld wird immer knapper, und wenn es dann zu einer Krise im Bereich der Arbeit kommt, dann werden solche Menschen schlagartig und sehr schnell krank.

    Liminski: "Arbeit – warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krankmacht", so lautet der Titel des jüngsten Buches von Professor Joachim Bauer, Neurobiologe in Freiburg. Danke für das Gespräch, Herr Bauer!

    Bauer: Gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.