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Arbeit nach der Pandemie
BDI-Präsident Russwurm fordert klare Kriterien für Ende der Homeoffice-Pflicht

Für die Aufhebung der Homeoffice-Pflicht sind nach Ansicht des Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, jetzt eindeutige, vorhersehbare Kriterien nötig. Beispielsweise könnten Impfquoten und Arbeitsbedingungen in den Betrieben eine Rolle spielen, sagte Russwurm im Dlf.

Siegfried Russwurm im Gespräch mit Sandra Schulz | 31.05.2021
Eine Frau arbeitet in ihrer Wohnung vor einem Computer an einem Stehtisch.
Zukünftig sollte die Unternehmensleitung über den Arbeitsort entscheiden, ein Recht auf Homeoffice sei nicht sinnvoll, sagte Siegfried Russwurm im Interview (picture alliance/dpa/Uwe Anspach)
Die Inzidenzen in Deutschland sinken weiter, die Diskussionen über Lockerungen der Corona-Maßnahmen nehmen zu. Dabei wird auch die derzeite Homeoffice-Regelung infrage gestellt, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat dazu schon Zustimmung signalisiert, Bundesfinanziminister Olaf Scholz (SPD) lehnt eine vorzeitige Lockerung beim Homeoffice hingegen ab.
Homeoffice-Pflicht
Derzeit müssen Arbeitgeber ihren Mitarbeitern zweimal wöchentlich Schnelltests zur Verfügung stellen. Außerdem soll laut Infektionsschutzgesetz Arbeit im Homeoffice die Regel sein - zumindest bei Beschäftigten, die im Büro arbeiten. Die Unternehmen müssen das Arbeiten von Zuhause ermöglichen, wenn keine zwingenden Gründe dagegen sprechen. Die Beschäftigten müssen dies im Normalfall auch annehmen. Beide Regelungen – die zu Tests und die zum Homeoffice – laufen nach bisheriger Planung am 30. Juni aus.
Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm hat sich im Deutschlandfunk für klare Kriterien für ein Ende der Homeoffice-Pflicht ausgesprochen. Es gehe dem BDI dabei nicht um ein Datum. "Wichtig ist, dass diese Entscheidungen so nah wie möglich am betrieblichen Geschehen getroffen werden können", sagte Russwurm. Verschiedene Betriebe sollten je nach Impfquote und Arbeitsbedingungen vor Ort auch unterschiedlich mit Homeoffice-Regelungen umgehen dürfen.
"Das wird nicht ein Zurück zur alten Zeit sein", sagte Russwurm. Der Anteil mobilen Arbeitens werde sich deutlich erhöhen und das sei auch gut. Aber auch bei Bürotätigkeiten brauche es persönliche Begegnung, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Über die Frage des Arbeitsortes müsse daher auch zukünftig die Unternehmensleitung entscheiden dürfen; ein Recht auf Homeoffice lehnt Russwurm ab. "Das Gegenteil von Pflicht zum Homeoffice ist die Freiheit, darüber verantwortungsvoll zu entscheiden."
Ein solches Recht auf Homeoffice hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Oktober 2020 ins Spiel gebracht. Arbeitnehmer hätten dann für mindestens 24 Tage pro Jahr einen Rechtsanspruch auf Homeoffice gehabt – sofern dem keine organisatorischen und betrieblichen Gründe entgegen gestanden hätten. Heils Vorstoß ist allerdings am Widerstand des Koalitionspartners CDU/CSU gescheitert.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Das Interview im Wortlaut:
Sandra Schulz: Jetzt spricht sich der Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ja gegen eine vorzeitige Aufhebung der Homeoffice-Pflicht aus. Er sagt, das Virus ist noch nicht besiegt, wir dürfen nicht leichtsinnig werden. Die Pflicht, so wie sie jetzt im Moment besteht, läuft noch bis zum 30. Juni. Was ist daran falsch?
Siegfried Russwurm: Daran ist erst mal nichts falsch. Aber wenn die Pflicht, so wie sie heute gesetzlich vorgegeben ist, am 30. Juni auslaufen kann und soll, dann ist es jetzt die Zeit, darüber nachzudenken, wie wir wieder in den Normalbetrieb kommen – auch in diesem Detail der Corona-Maßnahmen.
Siegfried Russwurm, Präsident vom Bundesverband der Deutschen Industrie BDI.
Siegfried Russwurm, Präsident vom Bundesverband der Deutschen Industrie BDI (picture alliance/dpa/Julian Stratenschulte)
Schulz: Und wie sollte das aus Ihrer Sicht aussehen?
Russwurm: Wir werden sehr hohe Impfraten in den Unternehmen bekommen. 12.000 Betriebsärztinnen und Betriebsärzte stehen bereit, um ihre Kolleginnen und Kollegen zu impfen. Und dann ist vorhersehbar, dass wir auch von der Pflicht zum Homeoffice wieder wegkommen können. Das wird nicht ein Zurück zur alten Zeit sein. Natürlich haben wir gelernt während der Pandemie und es wird Aufgaben geben, die sich auch in Zukunft durch mobiles Arbeiten gut lösen lassen. Aber das Zusammenarbeiten an kreativen Lösungen, das konkrete Begreifen eines Prototyps, das Austragen von schwierigen Diskussionen um komplexe Fragestellungen, alles das, das braucht die persönliche Begegnung, und den Weg dahin zurück, den müssen wir jetzt gemeinsam festlegen.

Kein Datum, sondern Kriterien

Schulz: Der Vorstoß Ihres Verbandes, der ist ja auch so verstanden worden, dass Sie für ein vorzeitiges Ende der Homeoffice-Pflicht sind, vor dem 30. Juni. War das missverständlich?
Russwurm: Das ist vielleicht auch bewusst missverstanden worden. Uns ging es nicht um ein Datum, aber um eindeutige, vorhersehbare Kriterien. Noch mal: Wir müssen weg von diesem Fahren auf Sicht, hin zu überlegtem Handeln, im Übergang zu einem "New Normal" nach der Pandemie.
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Schulz: Wofür genau werben Sie da? Jetzt im Moment sind die Impfquoten ja so, dass noch nicht mal 20 Prozent der Bevölkerung die vollständige Impfung hat, den vollständigen Impfschutz. Rechnen Sie denn da im Laufe des Junis mit einem Wunder?
Russwurm: Wir rechnen nicht mit einem Wunder, aber wir rechnen mit einem deutlichen Steigen der Quote. Noch mal: Unsere Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sind vorbereitet. Es ist ja nicht so, dass sie zum ersten Mal impfen. Jedes Jahr im Herbst läuft die Grippeschutz-Impfung nach ähnlichem Muster ab. Wir können sehr schnell viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer ersten Impfung versorgen, wenn wir den notwendigen Impfstoff haben, und das ist ja für Juni versprochen.
Schulz: Was wissen Sie darüber aktuell? Das ist ja das Megathema dieser Tage.
Russwurm: Die Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sagen mir, dass sie leider nur schwache Quoten haben, schwache Versorgungsquoten für die erste Woche nach dem 7. Juni. Ich vertraue aber darauf, dass sich diese Zuteilungsquoten noch deutlich steigern werden.
Schulz: Welche Verknüpfung schwebt Ihnen dann vor? Wollen Sie einen Zusammenhang knüpfen zwischen Impfquote der Bevölkerung zu neuer Normalität, wie Sie es formulieren, in den Betrieben, oder wollen Sie das von Betrieb zu Betrieb anschauen?
Russwurm: Wichtig ist, dass diese Entscheidungen so nah wie möglich am betrieblichen Geschehen getroffen werden können, das heißt idealerweise vor Ort die Betriebsparteien sich darüber Gedanken machen, darüber diskutieren, wie denn die Quoten sind, wie die Impfquote ist, wie viele Genesene es gibt, wie die Arbeitsbedingungen vor Ort sind. Es muss da ja kein "one size fits it all" geben. Wir reden ja nicht darüber, dass Homeoffice verboten werden soll. Das Gegenteil von Pflicht zum Homeoffice ist die Freiheit, darüber verantwortungsvoll zu entscheiden.

"Homeoffice-Recht halten wir für nicht sinnvoll"

Schulz: Ein Homeoffice-Recht, wie es ja auch jetzt diskutiert wird, da wäre Ihr Verband auch an Bord?
Russwurm: Die Frage, wer denn darüber entscheidet, die lässt sich so einfach nicht beantworten. Sehen Sie, ich sehe die Pandemie, ich vergleiche das gerne mit einer Hochsee-Regatta, die in einen schweren Sturm kommt. Das Schiff weiter am Schwimmen zu halten, war die Aufgabe der Besatzung während des Sturms. Aber irgendwann ist der Sturm zu Ende und dann geht es zurück zum Regatta-Betrieb. Dann geht es darum, dass das Schiff vor den anderen im Ziel einläuft, und da gibt es natürlich auch Situationen, wo der Kapitän entscheidet, wie gesegelt wird und wo die Crew dann mitmacht. Deswegen: Ein Recht jedes Einzelnen, darüber zu entscheiden, wo er oder sie denn arbeitet, das halten wir für nicht sinnvoll.
Schulz: Aber das ist doch dann eigentlich zurück zum Status quo vor der Pandemie. Wir erinnern uns: Vor der Pandemie haben 90 Prozent der Betriebe gesagt, bei uns ist schon aufgrund der Art der Tätigkeit ein Homeoffice komplett ausgeschlossen. Dann kam die Pandemie und es hat sich gezeigt, es geht doch. Trotzdem wollen Sie jetzt sagen, das muss auch künftig, auch nach der Pandemie dann wieder der Betrieb, die Chefin, der Chef entscheiden?
Russwurm: Das ist kein Zurück zum Vorher. Natürlich haben wir alle gelernt, übrigens Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genauso wie Führungskräfte, wo die Chancen und wo die Grenzen sind. Deswegen wird es einen deutlich höheren Anteil mobilen Arbeitens geben. Das ist auch gut so. Aber es wird auch jede Menge Arbeiten geben, wo es nicht so offensichtlich ist, dass das Homeoffice auch Nachteile hat wie bei der Arbeit in der Produktion, wo wir es ja selbstverständlich annehmen. Auch in Bürotätigkeiten ist das direkte Zusammentreffen mit Kolleginnen und Kollegen notwendig, wenn man im globalen Wettbewerb bestehen will, und diese Entscheidung muss dann vor Ort getroffen werden. Und ja: Wenn man sich nicht einigen kann, wird es Themen geben, die weiterhin eine Unternehmensleitung verantworten muss und dann auch entscheiden muss.

"Wir gehen in eine neue Zukunft der Arbeit"

Schulz: Aber ist es denn Ihr Bild von den Beschäftigten, wenn es ein Recht auf Homeoffice gäbe, dass die Beschäftigten das zu Lasten des Unternehmens ausüben würden?
Russwurm: Nein, das ist nicht mein Bild. Es wird die offene Diskussion geben. Und machen wir uns nichts vor: Allein der demographische Wandel sorgt dafür, dass Führungskräfte, die in dieser Frage apodiktisch sind, die besten Kolleginnen und Kollegen verlieren werden. Insofern: Wir gehen in eine neue Zukunft der Arbeit. Aber noch mal: Daraus abzuleiten, dass in jedem Einzelfall jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin für sich entscheiden kann, wo sie gerade arbeitet, das trifft ja für die allermeisten Beschäftigten sowieso nicht zu und das sollte man jetzt auch nicht für einzelne Gruppen von Beschäftigten fordern.
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Schulz: Davon war jetzt auch, glaube ich, soweit ich die Debatte verfolgt habe, überhaupt nicht die Rede. Aber dieses Recht auf Homeoffice – man könnte es ja auch abgestuft einführen. Man könnte mit einem Tag oder mit einem halben Tag anfangen. Um die Haltung Ihres Verbandes zu verstehen: Wenn jetzt ein BDI sich hinstellen würde und sagt, das hat so eine Symbolkraft, da gehen wir jetzt zumindest mal für Verhandlungen an Bord – diesen Schritt wollen Sie nicht wagen nach der Pandemie oder in der Pandemie?
Russwurm: Das sollte auch kein Bundesverband, das sollte kein Branchenverband für sich entscheiden wollen. Das müssen die Unternehmen vor Ort entscheiden. Das kommt auf so viele Details an, auf Datenstrukturen, auf Geheimhaltungsbedürfnisse, auf die Art und Weise der Entwicklungsorganisation. Das kann niemand zentral entscheiden, auch der BDI nicht, auch ein Bundesverband nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.