
Hajo Holst hat eine Befragung unter 12.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durchgeführt, um herauszufinden, wie sich die Corona-Pandemie auf ihren Arbeitsalltag auswirkt. Nur etwa sieben Prozent der Befragten gaben an, dass Corona keine Auswirkungen auf ihre Arbeitssituation habe. Bei der übergroßen Mehrheit hat die Pandemie den Arbeitsalltag verändert: durch wachsende wirtschaftliche Unsicherheit, Einkommenseinbußen oder auch die Angst, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren, so die Ergebnisse der Studie des Professors für Arbeitssoziologie an der Universität Osnabrück.
"Unsere Befragungen zeigen aber, dass die Herausforderungen durch Corona noch viel weiter gehen. Wenn wir uns anschauen: Was sind so generelle Trends, die im Grunde die gesamte Arbeitswelt betreffen, dann reden wir auch über steigende Arbeitsbelastung. Das ist ein Thema, das sich nicht auf einzelne Branchen und Berufsgruppen konzentriert, das aber natürlich in Berufsfeldern sehr unterschiedlich gespeist wird."
"Es gibt eine generelle Betriebsvereinbarung bei Volkswagen zu dem Thema Corona-Pandemie. Da sind ja die verschiedenen Stufen festgelegt. Und da ist jetzt für alle Werke diese Stufe drei. Also Stufe vier wäre voll in Ordnung. Das ist die letzte, die es gibt, und wir sind jetzt in Stufe drei, da gibt es noch mit Homeoffice und so weiter und so fort."
Klagen über Maske-Tragen bei körperlich anstrengender Arbeit
"Wenn der Anderthalb-Meter-Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, dann ist Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Haben wir dann gemeinsam mit dem Unternehmen geregelt, dass die Auslösezeiten kriegen. Weil, wie gesagt, es geht um eine Leistungsnorm. Wir arbeiten bei uns nach MTM Normalleistung. Das ist der Vereinbarungsstand. Die unterstellt dir theoretisch, wenn man es in Zeit umrechnen würde, dass du jede Schicht, also bei uns immer acht Stunden, 30 Kilometer laufen könntest. Dass Sie mal ein Gefühl haben, was eine Leistungsnorm ist."
"Die haben dieselbe Norm, aber die haben nochmal extra, also in den Teams, wenn es möglich ist, die müssen praktisch immer nach zwei Stunden auf einen Arbeitsplatz wechseln, wo keine Maske getragen werden muss."
Homeoffice versus Präsenzarbeit
"Das ist natürlich auch eine Herausforderung, die in vielen Betrieben auftaucht, das haben wir häufig gehört. Aus dem Produktionsbereich: Die da in der Verwaltung, die haben es relativ einfach mit ihren Kindern, weil die ins Homeoffice gehen können. Wir haben es viel schwerer und das ist natürlich im Grunde eine Herausforderung, die auch Belegschaften auseinanderreißt."
Noch nie haben so viele Menschen im Homeoffice gearbeitet wie während der Pandemie. Bis zum Herbst wolle er einen Entwurf für ein "Mobile Arbeit Gesetz" mit einem Recht auf Homeoffice vorlegen, hatte Arbeitsminister Hubertus Heil im Frühjahr angekündigt. Anfang Oktober war es dann so weit.
"Was wir jetzt im Großversuch Corona erlebt haben, ungeplant, dass viel mehr an mobilem Arbeiten möglich ist als vorher gedacht. Und ich möchte, dass es Menschen, wo immer das betrieblich auch möglich ist, erhalten. Und deshalb gibt es die Möglichkeit nach meinem Gesetzentwurf zumindest mal 24 Tage im Jahr zu haben und auch mehr zu verhandeln mit dem Arbeitgeber, wenn nicht betriebliche Gründe dagegen sprechen. Ich halte das für einen vernünftigen Weg."

"Homeoffice ist eine große Chance für die Wirtschaft. Aber der Rechtsanspruch ist Quatsch", sagt CDU-Sozialpolitiker Thomas Heilmann. Im Kanzleramt wurde der von Hubertus Heil vorlegte Entwurf gar nicht erst in die weitere Ressortabstimmung gegeben:
"Bei dem Entwurf gibt es noch eine ganze Menge Gesprächsbedarf, um das mal vorsichtig anzudeuten", so Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und Kanzleramtsminister Helge Braun lieferte wenig später die Begründung für den zurückgehaltenen Gesetzentwurf:
"Weil er auch nicht dem Koalitionsvertrag entspricht und weil er im Grunde genommen die Basis für neue Streitigkeiten ist und wir uns dann endlos im Gesetz überlegen, ob das jetzt für den Tankstellenwart oder für die Krankenschwester gilt. Wie soll denn das funktionieren?"
Hubertus Heil: "Auch im Homeoffice muss mal Feierabend sein"
Recht auf ein Gespräch über Homeoffice
Schutz vor Einkommenseinbußen und Infektionssorgen
Risiko für Erzieherinnen
"Und was halt dazu kommt, dass die Kinder, die in der Form betreut werden, Großteils oder in der Regel komplex traumatisiert sind und die ganze Situation die einfach total aus der Bahn geworfen hat. Die hatten einfach Angst, was das alles bedeutet."
All das mussten er und seine Kollegen auffangen. 50 Stunden und mehr pro Woche habe er gearbeitet.
"In der WG mussten wir halt schauen, dass das so... tatsächlich auch so nah wie möglich war, weil das den Kindern auch gefehlt hat, dieser Körperkontakt. Die sind da auch noch viel mehr darauf angewiesen."
Joseph Steinkogler fühlt sich nicht besonders durch Corona gefährdet, aber…
"…mein Sohn hat eine Muskelkrankheit, deswegen müssen wir da einfach sehr, sehr vorsichtig sein, was den Corona-Kram betrifft."
Die Arbeitsbelastung, erzählt Joseph Steinkogler war in seinem Beruf schon immer hoch, die Arbeit mit schwer traumatisierten Kindern sei sehr herausfordernd. Die Zeit des Lockdowns und danach aber war der Wahnsinn, sagt er. Beim Gehalt spiegle sich das nicht wider und einen Bonus wie in anderen Berufen gab es nicht. Gudela Grote ist Professorin für Arbeitspsychologie an der ETH Zürich. Sie hofft, dass auch langfristig erkannt wird, wie wichtig soziale Berufe für die Gesellschaft sind.
"Und was im Moment ja eher passiert, dass die Leute jetzt erst recht eigentlich diese Berufe verlassen, weil es eine unendliche Belastung ist und dieses zwischendrin auf den Balkonen stehen und für die klatschen für die, die in den Krankenhäusern arbeiten, das hilft glaube ich nicht so wirklich viel."

In ihren Augen muss die Bezahlung deutlich angehoben werden, denn das ist nach wie vor der Indikator dafür, wie gut eine Arbeit gesellschaftlich anerkannt wird. Und hier liegen soziale Berufe nach wie vor sehr weit unten. Ändert sich nichts, drohe ein Teufelskreis: Die Menschen verlassen diese Berufsfelder und dadurch wird die Belastung für die Bleibenden noch höher.
"Und wenn man sich Lohnsysteme anschaut, dann wird vor allem belohnt, dass man ganz lange sich hat ausbilden lassen. Dass man dann eine kognitiv herausfordernde Arbeit macht und dass man Führungsverantwortung hat. Und das ist letztlich der Maßstab, was Wertschätzung in einer Gesellschaft heißt. Und solange wir das nicht ändern, wird das in all diesen Berufen auch weiter schwierig bleiben und die Menschen werden sich, auch wenn wir zwischendrin sagen, dass wir sie ganz wichtig finden, nicht wirklich wertgeschätzt fühlen."
Positiver Effekt von staatlichem Zuschuss für ausbildende Betriebe
"Fassungslosigkeit herrscht in den Unternehmen und Perspektivlosigkeit. Also keiner weiß momentan, wie es wirklich weitergeht."
Und das spüren auch die Beschäftigten. Zuversichtlich stimmt Kirpal allerdings, dass nach wie vor kein Rückgang bei der Zahl der Ausbildungsplätze zu sehen sei und auch keine Auszubildenden in einer nennenswerten Zahl gekündigt wurden. Das liege auch am staatlichen Corona-Zuschuss, den jeder ausbildende Betrieb im Moment bekomme, das bestätigen viele Unternehmen der IHK. So könnten selbst Betriebe, denen gerade das Wasser bis zum Hals steht, die Ausbildung weiterlaufen lassen. Dennoch fordert er die Möglichkeit, Kurzarbeit auch für Auszubildende einzuführen. Insgesamt wünscht er sich mehr Planungssicherheit, welche politischen Maßnahmen wann einsetzen und weniger kurzfristigen Aktionismus.
"Ja, den Sommer haben wir ganz klar verschenkt. Wir hätten im Sommer diese Sachen diskutieren können, kritisch diskutieren können. Es hätten im Sommer auch die Parlamente mit einbezogen werden können. Da hätte man ganz klar Maßnahmen besprechen können, auch mit der Wirtschaft besprechen können."
Die fehlende Planungssicherheit, so Kristian Kirpal, sei für viele derzeit ein großes Problem, vor allem in der Gastronomie, dem Einzelhandel und in der Kultur- und Freizeitwirtschaft. In vielen Betrieben – auch in solchen denen es bis vor kurzem noch sehr gut ging – ist die Krise schon voll angekommen. Ein Beispiel ist der Flugzeugbau. Elke Alsago von Verdi lebt im Alten Land bei Hamburg. Das Airbus-Werk spiele dort eine große Rolle. Zulieferfirmen, die jetzt keine Aufträge mehr von Airbus bekommen, stünden vor dem Aus.
"Die Firmen, die ich jetzt so kenne, die versuchen alle möglichen Aufträge heranzuziehen, um auch die Kollegen, die in Kurzarbeit sind, immer mal wieder zu beschäftigen und denen auch Möglichkeiten anzubieten. Airbus zum Beispiel, also da ist die Kurzarbeit glaube ich überhaupt gar kein Problem, die machen ganz viel Fortbildung, und so. Die nutzen diese Zeit, um ihr Personal weiter zu qualifizieren. Die Zulieferer versuchen das über andere Projekte. Also mein Sohn zum Beispiel, der ist eigentlich eben auch im Flugzeugbau und die machen eben jetzt Ladenausbau."
Viele, die in Kurzarbeit sind, wüssten nicht ob sie jemals wieder zurückkommen. Auch Kündigungen habe es schon gegeben, berichtet Elke Alsago. Um irgendwie zu überleben, müssten die Firmen kreativ und findig sein - auch die Mitarbeiter. Damit verstärke sich ein Trend, den Hajo Holst von der Universität Osnabrück schon vor der Corona-Krise beobachtet hat.
"Der Trend zur Flexibilisierung, der vollzieht sich seit mehr als zwei Jahrzehnten, und Krisen sind in der Regel nochmal besondere Treiber von Flexibilisierungsprozessen. Unternehmen, die die Krisen überleben, werden sicherlich nach der Krise deutlich flexibler sein, ihren Beschäftigten deutlich mehr Flexibilität abverlangen, in allen Dimensionen. Das ist sicherlich ein Trend, der auch in Corona greifen wird. Und da sehen wir auch die ersten Tendenzen: Größere Arbeitszeitflexibilität, mehr Flexibilität bei Arbeitsinhalten, Flexibilität bei Arbeitsorten und wenn wir das Thema Homeoffice jetzt nehmen, natürlich Arbeitszeiten. An der Stelle ein ganz wichtiger Punkt."
Damit, sagt Hajo Holst, zeige sich einmal mehr, dass Corona wie ein Brennglas wirke, das bereits bestehende Entwicklungen massiv verstärkt in vielen Bereichen der Arbeitswelt.