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Arbeiten von Berlinde de Bruyckere
Angst vor der eigenen Sterblichkeit

In Bregenz werden im dortigen Kunsthaus sowie im Kunstraum Dornbirn Arbeiten der Belgierin Berlinde de Bruyckere gezeigt. Ihr Markenzeichen sind Abgüsse aus Wachs und Kunstharz. Die Künstlerin beleuchtet das Verhältnis von Natur und Mensch auf aufregende und zugleich verstörende Art.

Von Christian Gampert |
    Eine Skulptur der belgischen Künstlerin Berlinde de Bruyckere.
    Eine Skulptur von Berlinde de Bruyckere. (picture alliance / dpa - Peter Schneider)
    Wenn man über das gerade frühlingshaft aufblühende Oberschwaben an den Bodensee fährt, ist man nicht recht vorbereitet auf all die Vergänglichkeit, die einen dann im Bregenzer Kunsthaus erwartet. Im ersten Stock, in diesen völlig kahlen, grauen Räumen, sind auf bäuerlich anmutenden Holzpodesten vier humanoide Skulpturen aufgebahrt: Zwei menschliche Torsi, deren Beine und Rümpfe noch die wächserne Unnahbarkeit von Leichen haben, deren Brustkörbe dann aber immer mehr in Zerfall, in Fäulnis und Verwesung übergehen - wobei die Körperlichkeit der Figuren sich ins Abstrakte auflöst, in Restbestände des Humanen. Während diese beiden ersten "Liegenden" unzweifelhaft auf Hans Holbeins toten, geschundenen "Christus im Grabe" Bezug nehmen, werden die beiden anderen Gestalten quasi aufgefressen von einem Gestrüpp aus blutigen Geweihen, die wie aggressives Geäst über den in weiße Decken gehüllten Fleischresten hängen.
    Nach "Actaeon" sind diese beiden Arrangements benannt, nach jenem Griechen aus der Mythologie, der die Göttin Diana im Bade beobachtete, von ihr in einen Hirsch verwandelt und zur Strafe von seinen eigenen Hunden zerrissen wurde. An den Wänden virtuose Zeichnungen von Muskelsträngen, Faszien, angedeuteten Geweihen, tiermenschlichen Formen. Sie entstanden im Zusammenspiel mit dem Tänzer Romeu Runa, im Kunsthaus wird es eine Tanz-Performance mit ihm geben, und dass die Toten zu tanzen beginnen, ist ja ein sehr alter Topos.
    Die Zeugnisse organischer Vergänglichkeit sind in Bregenz wie in einem Operationssaal arrangiert und behalten trotzdem ihre sakrale Aura. Natürlich handelt es sich bei den Objekten um Abgüsse aus Wachs und Kunstharz, die von der Künstlerin bearbeitet werden und diese leichenhaft anmutende Durchsichtigkeit der Haut, der Oberfläche bekommen. "The Embalmer" heißt die Ausstellung, und das Einbalsamieren ist ein Wort, das die Tätigkeit der Berlinde de Bruyckere sicher am Zutreffendsten beschreibt. Es handelt sich um Trauerarbeit, schonungslose Begutachtung des Verfalls, der uns bevorsteht, aber auch um einen fast tröstlichen Bezug auf unsere Kreatürlichkeit. Oder, um es paradox zu sagen, um eine Verlebendigung des Leidens, der Zerfallsprozesse menschlicher, tierischer, organischer Natur.
    Die belgische Künstlerin ist eine asketische, zurückhaltende Frau ganz in Schwarz, und ihr Rückgriff auf die religiöse Malerei ist offensichtlich.
    "Ich bin in einem Internat erzogen worden, einer Klosterschule, und wuchs mit religiöser Malerei auf. Und dieses Genre in die Moderne zu übersetzen, das ist mein Ziel."
    Dass Mensch und Tier eine gemeinsame Grundlage haben, dass auch Bäume und Pflanzen unbedingt dem Lebendigen zuzurechnen sind, das zeigen die weiteren beiden Stockwerke. "Krüppelholz", 2013 in Venedig eher düster inszeniert, ist eine 18 Meter lange Installation eines vom Sturm gefällten Baumes nebst Astwerk, die hier in voller Helligkeit steht. Der Baum wirkt wie ein riesiges, hilfloses, groteskes Lebewesen; als sie ihn zum ersten Mal sah, habe sie Mitleid mit ihm gehabt, sagt die Künstlerin. Daneben liegen Lumpen, und die Äste werden wie verwundete, verletzte Extremitäten mit Verbandstoff versorgt.
    Im obersten Stock dann sind tierische Häute übereinandergestapelt, auch das natürlich Abformungen aus Kunststoff, oder an Eisenkonstruktionen aufgespannt. Mit diesem metaphorischen Vokabular hat Berlinde de Bruyckere auch das Bühnenbild für Pascal Dusapins Oper "Penthesilea" gestaltet, nachdem sie im Brüsseler Schlachthof eingehend den brutalen Prozess der Häutung von Tieren beobachtete. Die Haut umschließt die Seele, sagt de Bruyckere. Um das alles noch zu steigern, hat sie im benachbarten Dornbirn, in einer alten, morbiden industriellen Produktionshalle, verfremdete, in abstrakte Formen gezogene Pferdekadaver aufgehängt. Das Fell der Pferde ist neu vernäht, in den Körpern bilden sich Löcher und Höhlen, und der Begleittext zitiert Erich Maria Remarque, der das Schreien, das Stöhnen verwundeter Pferde im Ersten Weltkrieg beschwört. Es ist, als ob man in diesen Installationen das Schreien der gemarterten Kreatur hört. Die Arbeiten der Berlinde de Bruyckere sind von überwältigender Körperlichkeit und gleichwohl in einer Haltung völliger Demut geschaffen. De Bruyckere das Gegenteil des modischen Mainstream - und gerade deshalb eine der wesentlichen Stimmen der Gegenwartskunst.