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Arbeitgeber profitieren vom Streit zwischen SPD und Gewerkschaften

Dirk Müller: Herr Möllenberg, haben die Gewerkschaften schon den Scheidungsanwalt klargemacht?

    Franz-Josef Möllenberg: Ich glaube, das ist nicht notwendig. Wissen Sie, es hat natürlich in den letzten Jahren, Jahrzehnten teilweise eine Entfremdung gegeben zwischen Sozialdemokraten und Gewerkschaften. Aber man darf eines nicht vergessen: Es gibt historische Wurzeln. Es gibt eine gemeinsame Vergangenheit, und ich denke, auch eine gemeinsame Zukunft für unser Land.

    Müller: Wenn wir bei diesen Traditionen und Wurzeln bleiben, Sie wissen das sicherlich genauer, warum haben denn Bsirske und Peters den Kanzler mit dem bayrischen Ministerpräsidenten verwechselt?

    Möllenberg: Wissen Sie, ich will eins deutlich machen gleich zu Beginn unseres Gesprächs: In der Kritik an dem Regierungshandeln gibt es praktisch keine Differenzen zwischen verdi, der IG-Metall, der IGBCE, TRANSNET, Bau und unserer NGG, um nur einige zu nennen. Der entscheidende Punkt ist, wie bringen wir unser Land gemeinsam nach vorne? Häufig ist da der Eindruck erweckt worden, als ob die Gewerkschaften die ewigen Neinsager wären, die Betonköpfe. Das ist aber nicht so. Wenn man sich das mal genauer ansieht, was wir als Gewerkschaften gemeinsam mit dem DGB auf dem Weg bringen, was wir an Vorschlägen artikuliert und vorgebracht haben, dann ist das schon zukunftsorientiert. In der Tarifpolitik, dem ureigenen Feld der Gewerkschaften, zeigen wir auch tagtäglich, dass wir bestimmte Dinge regeln, dass wir für Standortsicherung für Arbeitsplätze eintreten. Was die Frage angeht, ob Schröder anders als Stoiber ist, da sage ich, da gibt es einen großen Unterschied, und das muss man auch herausarbeiten.

    Müller: Sie sagen, keine Differenzen in der Sache. Also hat es Differenzen innerhalb der Gewerkschaften gegeben wegen der Tonart. Was hat Sie da geärgert?

    Möllenberg: Ich kann nicht jetzt für meinen Kollegen Bsirske reden. Da müssten Sie ihn selber fragen. Fakt ist eins: In der Kritik, was Zukunftsorientierung angeht, sind wir innerhalb des DGB, sage ich mal, zu 99 Prozent deckungsgleich. Da gibt es keine großen Differenzen. Die Frage ist, was man eigentlich mit Fundamentalkritik, mit Fundamentalopposition erreichen kann. Und da bleibe ich dabei, wir haben eine gemeinsame Aufgabe für dieses Land. Mit gemeinsam meine ich Gewerkschaften, Politik und natürlich die Arbeitgeber. Ich habe manchmal den Eindruck, die Arbeitgeber lehnen sich genüsslich zurück und freuen sich darüber, dass Regierung und Gewerkschaften miteinander streiten. Die Arbeitgeber darf man aber nicht aus der Verantwortung lassen, und von daher muss man die Konflikte auf den Kernpunkt zurückführen.

    Müller: Haben die Kritiker aus Ihren Reihen den rhetorischen Bogen überspannt?

    Möllenberg: Wissen Sie, wir wissen ja manchmal, wie Interviews zu Stande kommen und wie dann auch Überschriften gemacht werden und wie die veröffentlichte Meinung dann letztendlich Dinge auch beeinflusst. Von daher will ich hier keine Bewertung vornehmen. Ich will nur anmahnen und deutlich machen, es gibt eine Aufgabe für dieses Land. Die Gewerkschaften sagen, Reformen ja, aber die Reformen müssen sozial gerecht sein. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Arbeitslose in die Perspektivlosigkeit entlassen werden und ihnen auch der materielle Boden entzogen wird. Das ist einer der Punkte.

    Müller: Vielleicht anders herum gefragt: Schadet die Art und Weise, wie die Kritik vorgetragen worden ist, der Sache?

    Möllenberg: Natürlich, da brauchen wir uns nichts vormachen. Ich habe vor einigen Wochen schon mal gesagt, wenn wir undifferenziert Kritik üben, dann kann das dazu führen, dass wir den roten Teppich für diejenigen ausrollen, die wir gar nicht in der Regierung sehen. Wenn man sich genauer ansieht, was die Inhalte, die Perspektiven zum Beispiel von sozialdemokratischer oder von christdemokratischer Politik sind, dann gibt es dort erhebliche Unterschiede. Beispiel: Frage der Mitbestimmung, Frage der Tarifautonomie und alles, was dazugehört, Frage der konzeptionellen Überlegung in Richtung Sozialversicherung. Die Sozialdemokraten sagen eher wie die Gewerkschaften, wir brauchen eine Bürgerversicherung, während die Union gegen die Stimmen von Heiner Geißler oder Norbert Blüm von der Kopfpauschale redet. Also da gibt es erhebliche Unterschiede, und ich habe die Sorgen, wenn man das nicht herausarbeitet, sondern immer nur nein, nein, nein sagt, dass dann die Menschen auch nicht mehr wissen, was da eigentlich stattfindet, und dann von vorne herein Politik ablehnen, und das kann nicht in unserem Interesse sein.

    Müller: Die SPD verliert Stimmen. Die Gewerkschaften verlieren Stimmen beziehungsweise Mitglieder. Ist das eine Möglichkeit gewesen, für die Sache der Gewerkschaften gemeinsam mit den Sozialdemokraten wieder zu werben, Vertrauen zu gewinnen, oder wollte man von den eigenen Problemen ablenken.

    Möllenberg: Auch das vermag ich nicht zu beurteilen, wobei der Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften keine Tageserscheinung ist, sondern den haben wir leider seit einigen Jahren. Das hat aber etwas zu tun mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit, dass traditionelle Branchen auch wegbrechen und neu entstandene Branchen sozusagen nicht so erobert werden können, wie wir uns das vorstellen. Fakt ist allerdings eins: Die Kritik der Gewerkschaften an der sozialdemokratischen Regierungspolitik ist berechtigt, denn wir sind nicht verantwortlich, wenn 13 Millionen Wählerstimmen bei der Europawahl fehlen. Trotzdem sage ich, lasst uns gemeinsam auch den Sozialdemokraten sagen, wie sie ihr soziales Profil schärfen können, damit die Menschen endlich aus dieser Verunsicherung in unserem Land kommen. Sie wissen selber, Wirtschaftspolitik hat zu mindestens 50 Prozent auch etwas mit Psychologie zu tun. Die Menschen kaufen zur Zeit nicht. Die Nachfrage geht zurück, weil die Menschen verunsichert sind, weil sie Angst haben, weil sie auch nach der EU-Erweiterung nach dem 1. Mai nicht wissen, was da passiert. Wir haben Tatbestände, dass wir der Bundesregierung zu verdanken haben, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht ab 1. Mai gilt, sondern da haben wir Übergangsfristen. Aber es gibt ein Schlupfloch durch die Dienstleistungsfreiheit. Wir haben Fälle, dass polnische Unternehmen in Nordrhein-Westfalen beispielsweise Dienstleistungen anbieten, Schlosser, Facharbeitertätigkeiten, für einen Stundenlohn von 3 Euro. Wenn man das nicht will, dann muss die SPD auch sagen, da müssen Sicherungen eingebaut werden. Deshalb sagen wir als NGG zum Beispiel, wir brauchen ein gesetzlich festgelegtes Mindesteinkommen, damit eine Sicherung nach unten stattfindet.

    Müller: Aktuelles Thema: Arbeitslosengeld II. Der Vermittlungsausschuss hat sich darauf geeinigt gestern Abend. Wir stark haut dieser Kompromiss ins Kontor der Gewerkschaft?

    Möllenberg: Das ist nicht unsere Position, die dort gefunden worden ist. Wir haben immer gesagt, die Verschärfung der Zumutbarkeitsregel muss zurückgeführt werden, muss verbessert werden an einem ganz einfachen Punkt. Ich kann Langzeitarbeitslosen nicht einfach nur zumuten, so genannte Minijobs anzunehmen. Ich kann ihnen nicht zumuten, jede Arbeit anzunehmen. Wir haben immer gesagt, da muss zumindest das, was im Tarifvertrag steht, zur Anwendung kommen, beziehungsweise das, was ortsüblich gezahlt wird. Das war auch die Position der Sozialdemokraten. Das hat die CDU und die CSU kaputtgemacht. Insbesondere Herr Koch, der Ministerpräsident aus Hessen, hat sich da schon im vergangenen Jahr hervorgetan. Er hat ja gesagt, wir müssen mit tschechischen Löhnen in einer Größenordnung von 4 Euro die Stunde konkurrieren können. Da vermisse ich tatsächlich bei der SPD, dass sie da sagt, nein, das ist nicht unsere Position, da machen wir nicht mit. Aber da sind die Machtverhältnisse zwischen Bundesregierung und Bundesrat leider andere.

    Müller: Vielen Dank für das Gespräch.