Archiv


Arbeitgeber sollten nicht mit Ausstieg drohen

Müller: Herr Zwickel, wir haben unterschiedliche Reaktionen von der Straße gehört. Eine Aussage war "zu hoch gepokert?". Diese Frage an Sie.

    Zwickel: Das sehe ich natürlich vollkommen anders. Im übrigen: Ich habe diese Meinungen jetzt mitbekommen. Ich denke, das wesentlichste, was ich daraus entnehme, ist, daß auf der einen Seite Skepsis gegenüber dem Bündnis für Arbeit hinsichtlich des Zustandekommens beziehungsweise konkreter Ergebnisse besteht, andererseits aber die Erwartung ist, daß es dort mit Nachdruck versucht wird. Was den Abschluß betrifft, sehen wir das natürlich vollkommen anders. Wir sagen ganz schlicht und einfach, dieser Abschluß ist geradezu prädestiniert, positive Konjunkturziele zu fördern. Er bleibt gesamtwirtschaftlich im Rahmen des sogenannten neutralen Verteilungsrahmens von vier Prozent. Von diesem Abschluß werden damit positive Signale für die Binnennachfrage ausgehen. Damit besteht auch die Chance, wenn sich aus der exportwirtschaftlichen Situation Rückgänge abzeichnen, daß diese dann zumindest teilweise kompensiert werden. Ganz allgemein: Bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Metall- und Elektroindustrie wird dieser Abschluß als ein gutes Ergebnis gesehen, und das ist zunächst einmal das wesentliche.

    Müller: Die Arbeitgeber sehen das freilich ganz anders. Sie haben den Abschluß als zu hoch, als für viele Betriebe nicht finanziell verkraftbar bezeichnet. Zugleich Warnstreiks im öffentlichen Dienst. Ist die Konfrontation gerade heute vor dem Hintergrund des Bündnisses für Arbeit die richtige Strategie?

    Zwickel: Daß dies zeitlich zusammenfällt, mag unglücklich sein, aber man kann sich ja die Dinge nicht immer so wählen und auch nicht immer so organisieren, wie das vielleicht wünschenswert wäre. Ich denke, es ist ein ganz normaler Prozeß, daß sich die Gewerkschaften, eben weil die Zeit jetzt anstand, weil die Tarifverträge zum Jahresende gekündigt werden mußten, um entsprechende Verbesserungen der Einkommenssituation für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kümmern. Daß dies nicht ganz konfliktfrei geht, das liegt schlicht und einfach daran - das hat man ja gerade in der Metallindustrie gesehen -, daß plötzlich solche Tarifgespräche durch Grundsatzfragen belastet werden, etwa das Thema, was wir hatten, aber nicht akzeptiert haben, nämlich Teile von Lohnerhöhungen erfolgsabhängig zu machen, also gewinnabhängig zu machen, auf die Betriebsparteien die Entscheidung zu übertragen. Das sind dann in diesem Fall Forderungen von den Arbeitgebern, die Tarifrunden, Tarifverhandlungen in einem Maße erschweren, daß es zwangsläufig nur lösbar ist, indem es zu härterer Konfrontation kommt.

    Müller: Wenn wir bei dem Thema bleiben, Herr Zwickel, erfolgsabhängige Lohnerhöhungen oder gegebenenfalls auch -Senkungen, würde dies nicht den tatsächlichen Finanzpotentialen der einzelnen Betriebe mehr Rechnung tragen als ein Abschluß, der für alle gilt?

    Zwickel: Das ist völlig ausgeschlossen, so etwas zu machen. Zum einen geht es hier auch um eine sehr grundsätzliche Frage, nämlich die Frage, welche Aufgabe und Verantwortung haben die Tarifvertragsparteien auf dem Hintergrund der in unserem Lande richtigerweise geltenden Tarifautonomie, was ja nichts anderes heißt, daß die Tarifvertragsparteien, also Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, eben die Arbeits- und Einkommensbedingungen im wesentlichen selbst durch Tarifverträge gestalten. Deshalb kann man nicht einfach diesen Auftrag auf andere übertragen, die gar nicht die Instrumente haben, dies zu tun. Zur Tarifautonomie gehört: Im Zweifel müssen das auch die Parteien durchsetzen können. Das heißt für die Gewerkschaften, im Zweifel müssen sie auch streiken können. Das kann ein Betriebsrat nie und nimmer. Deshalb kann man ihm bestimmte Entscheidungen eben auch nicht einfach übertragen.

    Müller: Was bieten denn die Gewerkschaften denjenigen Betrieben an, die Verluste machen?

    Zwickel: Schauen Sie, es gibt kein einziges Beispiel, wenn es sich um einen Betrieb handelt, der etwa ein Sanierungsfall ist, wo nicht jeweils ganz spezifisch für diesen Vorgang zusammen mit der Gewerkschaft der Versuch unternommen wird, dann eine adäquate Lösung zur Sanierung dieses Unternehmens zu suchen. Dort gibt es Beispiele landauf und landab. Im Osten haben wir vor ein paar Jahren dazu eine spezifische Einrichtung im Tarifvertrag geschaffen. Das ist allgemein bekannt geworden durch die Überschrift "Härtefall-Regelung", was ja nichts anderes bedeutet, daß man dann spezifische Lösungen betrieblich sucht unter Einschluß der Betriebsparteien. Das heißt, in der Praxis vollzieht sich das, dort wo es notwendig ist. Das aber ist nicht notwendig, daß man dies sozusagen durch eine prinzipielle Verlagerung von Entscheidungen auf die Betriebsparteien künftig organisieren sollte. Das wäre für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur nachteilig.

    Müller: Die Arbeitgeber, Herr Zwickel, fordern mehr Lohnzurückhaltung - das ist bekannt -, mehr Flexibilisierung der Arbeitszeiten und auch eine etwas durchlässigere Regelung bei den Flächentarifverträgen. Sind Sie in diesen Punkten bereit, Zugeständnisse zu machen?

    Zwickel: Die Arbeitgeber, die das fordern, gehören zu denen, die Flexibilität und mehr Differenzierung fordern, im Grunde genommen aber nichts anderes wollen, als daß es überhaupt keine Verbindlichkeit mehr von tarifvertraglichen Regelungen gibt. Wir stellen nämlich ganz allgemein einen Trend fest, je stärker wir die Tarifverträge differenzieren und flexibilisieren, daß zwangsläufig die Tarifverträge einerseits natürlich komplexer werden. Das ist ja gewollt, nämlich daß man dann betrieblich spezifischer die jeweilige Anwendung organisieren kann. Wir stellen aber genau umgekehrt fest: Je komplexer diese Tarifverträge werden, um so weniger werden dann auch betriebliche Regelungen gesucht. Das ist aber auch nicht immer ganz einfach. Die notwendige Innovationsfähigkeit in den Betrieben fällt häufig unterschiedlich aus. Man hat es eben auch dort vielfach gerne, daß der Tarifvertrag klare Regelungen vorgibt, als sich dann mit der konkreten betrieblichen Regelung auseinandersetzen zu müssen.

    Müller: Heißt das, Herr Zwickel, mehr Flexibilisierung würde es von Ihrer Seite nicht geben?

    Zwickel: Wir haben in vielen Bereichen in den Tarifverträgen in den letzten Jahren die Flexibilität erhöht. Wir haben differenzierte Anwendungsmöglichkeiten gemacht. Ich sehe überhaupt keine Notwendigkeit, nun ganz spezifisch an einem Punkt dies fortzusetzen, was nicht heißt, daß dies immer wieder ein Thema sein wird und wir auch dann immer wieder Lösungen suchen werden.

    Müller: Also das Potential ist nicht ganz ausgeschöpft? Wo könnten Sie sich etwas vorstellen?

    Zwickel: Das Potential ist nie ganz ausgeschöpft. Es kommt immer auf die jeweilige Situation an. Aber es gibt überhaupt keine Veranlassung, an irgendeiner Stelle nun eine prinzipielle Aussage oder ein Signal zu geben, wo zusätzliche Flexibiilisierungsnotwendigkeiten wären.

    Müller: Was wird, Herr Zwickel, der Hauptpunkt sein, das Hauptanliegen, was Sie heute einbringen?

    Zwickel: Ich denke, heute geht es zunächst einmal darum, ein gewisses Selbstverständnis dieser Bündnisrunde zu diskutieren. Denn es kann ja nicht so sein, daß jede Woche vor allen Dingen von dem einen oder anderen Arbeitgebervertreter die Frage aufgeworfen wird, ob er sich nun an diesem Bündnis beteiligt oder nicht, ob seine Teilnahme gewissermaßen von ganz bestimmten Verhaltensweisen der anderen, nämlich der Gewerkschaften abhängig gemacht wird. Man droht mit Ausstieg. Das Bündnis ist gewissermaßen zu einem Erpressungsinstrument teilweise geworden.

    Müller: Gedroht hatten Sie doch auch?

    Zwickel: Ich habe nicht gedroht. Ich sage immer nur, das Bündnis hat eine ganz bestimmte Funktion und es hat auch ganz bestimmte Grenzen. Stichwort Lohnleitlinien. Lohnleitlinien wird es in einem Bündnis nicht geben. Man muß die Frage aber diskutieren: Gibt es eine Möglichkeit, und damit kann man sich auseinandersetzen, und wenn ja, gesamtwirtschaftliche Entwicklung, Wachstum und Beschäftigung zu diskutieren. Dazu gehört eben nicht nur die Frage der Löhne. Dazu gehört mindestens gleichgewichtig die Frage der Gewinnentwicklung und Gewinnverwendung, der Investitionen und Investitionsquoten und Investitionsziele und eine damit verbundene Diskussion. Man kann also nicht nur einen jeweils gewollten, im eigenen Interesse gewollten Baustein herausnehmen, sondern man muß dann schon über das gesamte Gebäude diskutieren.

    Müller: IG-Metall-Chef Klaus Zwickel war das. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Bonn!