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Arbeitgeberpräsident: Umstrukturierung bei DaimlerChrysler legitim

Engels: Mitgehört hat Martin Kannegiesser. Er ist der Präsident von Gesamtmetall, also der Arbeitgeberseite. Guten Morgen Herr Kannegiesser.

Moderation: Silvia Engels |
    Kannegiesser: Guten Morgen Frau Engels.

    Engels: Sind Sie denn glücklich über das Auftreten von Daimler-Chrysler gerade?

    Kannegiesser: Über Konflikte muss man grundsätzlich nie glücklich sein, aber es ist natürlich völlig legitim, auch für ein großes und im Grundsatz starkes Unternehmen, sich zu versuchen an wirtschaftliche Verhältnisse anzupassen, sich an veränderte Wettbewerbssituationen anzupassen und dabei eben auch die Vereinbarung, die wir vor einigen Monaten in Pforzheim unterschrieben haben, heranzuziehen, die ja nicht im Falle eines Sanierungsvertrages, sondern in Fällen von betrieblichen Umstrukturierungen, wozu Investitionen, Einführung neuer Programme und ähnliches gehören, mit den Betriebsparteien und dann den Tarifparteien darüber zu sprechen haben, wie man sich an veränderte Situationen anpassen kann. Diese Möglichkeit muss auch einem so großen Unternehmen zustehen.

    Engels: Aber die Gestaltungsmöglichkeiten - so argumentieren die Gewerkschaften; wir haben es gerade gehört - waren eigentlich für bedrohte Betriebe gedacht, nicht unbedingt für so profitable?

    Kannegiesser: Nein, wir haben hier etwas Neues versucht, gemeinsam zu schaffen, nämlich vor dem Hintergrund unserer wirtschaftlichen Probleme und der Arbeitslosigkeit ein Instrument zu schaffen, um den Betrieben rechtzeitig, also nicht erst wenn eine Sanierungsproblematik eingetreten ist, Umstrukturierungsprozesse zu erleichtern und zu ermöglichen, nämlich wenn größere Innovationen und Investitionen anstehen, wenn Arbeitsplätze gesichert werden sollen. Dieser neue Tarifvertrag liegt also zwischen den herkömmlichen Sanierungstarifverträgen, wenn sozusagen schon der Insolvenzverwalter ums Haus kreist, und Beschäftigungssicherungsverträgen. Er will die Sachverhalte dazwischen, die Anpassungsprozesse, in denen heute eben die Metall- und Elektroindustrie steht, helfen zu erleichtern und zu ermöglichen, mehr Betriebsnähe zu bekommen und die Betriebsparteien und die Tarifparteien dabei zusammenzuführen. Das ist der Sinn dieses Vertrages und in jedem Einzelfall ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Wenn ja, dann steht das jedem Unternehmen zu, diesen Prozess einzuleiten und mit den Betriebsparteien zunächst zu beraten.

    Engels: Sie haben Herrn Hofmann gehört. Er sagt, wenn sich Mercedes, wenn sich Daimler mit dieser Strategie der Härte durchsetzt, sei schon der Flächentarifvertrag in dieser Form gefährdet. Sehen Sie das auch so?

    Kannegiesser: Ich meine der Flächentarifvertrag wird seine Gültigkeit für die meisten Unternehmen, zumindest für die meisten Beschäftigten noch auf viele Jahre behalten. Wenn das nicht so wäre, dann hätten ja viele Firmen ihn schon verlassen können. Keiner wird gezwungen, sich ihm zu unterwerfen. Der behält also seine Gültigkeit. In jedem Falle bleibt er für die meisten der Maßstab, die Meßlatte. Wir werden natürlich in Zukunft eine größere Vielfalt von Regelungsmechanismen sehen und es wird bunter werden. In jedem Falle ermöglicht der Flächentarifvertrag, dass wir zu mehr Betriebsnähe zwar kommen müssen - und Pforzheim ist der Versuch, mehr Betriebsnähe zu Stande zu bringen -, dies aber trotzdem zu verbinden mit einer gesellschaftspolitischen Gesamtverpflichtung. Die ist da und aus der darf sich natürlich auch kein Unternehmen lösen, sondern wir wollen versuchen, einen Weg, eine Verbindung mit der Betriebsnähe herzustellen.

    Engels: Das klingt aber ein wenig danach, dass sich künftig wohl nur kleine Mittelständler an den Flächentarifvertrag gebunden fühlen, weil die großen Firmen ihn eh nicht brauchen und ihre Interessen separat durchsetzen können.

    Kannegiesser: Nein, das würde ich nicht so sehen. Das ist ich will nicht sagen umgekehrt, aber bei kleinen und mittleren Unternehmen, die selbstverständlich nicht das glaubwürdige Drohpotenzial des Ausweichens haben, dass sie dann gleich auswandern, findet dann, wenn keine Anpassungsprozesse stattfinden, eben ein stilles Sterben und ein Rückgehen, ein Zurückbleiben im Wachstum, ein langsames Zurückgehen, was dann immer schneller wird, von Arbeitsplätzen statt. Dies ist in einem mittelständischen Betrieb auch den Belegschaften natürlich wesentlich schneller klar. In einem mittelständischen Betrieb steht jeder Arbeitnehmer viel dichter an der Front, bekommt die Schlaglöcher auf dem Weg viel schneller mit als in einem großen Konzern, wo immer der Arbeitnehmer sagt, aber unser Konzern arbeitet doch profitabel. Die mittelfristigen Gefährdungen werden für den einzelnen Arbeitnehmer in einem Großunternehmen natürlich viel schwerer erkennbar. Da werden dann gewaltige Gewinnzahlen, die ja auch für einen Mittelständler absolut eindrucksvoll klingen, zum Maßstab genommen und es wird nicht gesehen, dass einzelne Produkte und Sortimente auch in einem Großunternehmen natürlich gefährdet sind. Wir brauchen uns ja nur auf unseren Straßen in diesen Monaten umzusehen. Dann sehen wir, dass wir zwar mit den Mercedes-Automobilen ein hervorragendes Produkt haben. Das ist für die deutsche Wirtschaft ein Pfund, mit dem wir weltweit wuchern. Das darf man nicht beschädigen; das muss aus den Schlagzeilen heraus. Aber der Wettbewerb kommt näher. Das Thema Preisleistungsverhältnis ist bei einigen Teilen des Sortimentes auch solcher im Prinzip sehr erfolgreichen Unternehmen in Gefahr und da muss man rechtzeitig reagieren und sollte da auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, sondern es gibt ja Alternativen. Die müssen die Betriebsparteien mit Hilfe der Tarifparteien untersuchen. Das ist ja auch auf dem Wege bei Daimler-Chrysler. Man ist sich ja auch schon ein Stück entgegen gekommen. Es sollte eigentlich mit dem Teufel zugehen, wenn man in einem so erfolgreichen Unternehmen nicht letztendlich einen für beide Seiten vernünftigen und fairen Weg findet, der auch für solche neuen Produkte in gefährdeten Segmenten begehbar wird.

    Engels: Martin Kannegiesser, Präsident von Gesamtmetall, zum Konflikt bei Daimler-Chrysler. Ich bedanke mich für das Gespräch!