Freitag, 29. März 2024

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Arbeitsleben und psychische Probleme
Welche Rolle der Job bei einer Depression spielt

Eine aktuelle Studie beleuchtet die Hintergründe für hohe Ausfallzeiten aufgrund psychologischer Erkrankungen. Kollegiale Depressionsbegleiter könnten als Ansprechpartner für Betroffene am Arbeitsplatz dienen, sagte Ulrich Hegerl, Stiftung Deutsche Depressionshilfe, im Dlf.

Ulrich Hegerl im Gespräch mit Stephanie Gebert | 09.11.2021
Manche Patienten wollten trotz Depression weiter arbeiten, so der Experte
Manche Patienten wollten trotz Depression weiter arbeiten, so der Experte (imago / Westend61 / Gustafsson)
Eine aktuelle Studie beleuchtet die Hintergründe der in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen Ausfallzeiten aufgrund psychologischer Erkrankungen. Eine Mehrheit der Beschäftigten vermeidet demnach, über das Thema am Arbeitsplatz zu sprechen.
"Wenn jemand eine Depression hatte, dann ist es zum Beispiel hilfreich, dass man Schichtdienste meidet, wenn der Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinanderkommt", sagte Professor Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe im Dlf. Das sei ein Beispiel, "wie man das Rückfallrisiko günstig durch Maßnahmen beeinflussen kann".
Grafik zeigt Silhouette eines Menschen, in dessen Gehirn ein Knoten sitzt
Psychisch krank - Informationen zum Thema Depression Rund fünf Millionen Erwachsene in Deutschland haben Depressionen. Sie sind nicht einfach schlecht drauf, sondern psychisch krank. Ratschläge wie "Reiß Dich zusammen" oder "Denke positiv" sind fehl am Platz.
Stephanie Gebert: Statistisch gesehen gibt es fast jedem Unternehmen depressiv erkrankte Mitarbeitende. Welche Verantwortung haben Arbeitgeber oder auch Kollegen, wenn es um den Umgang mit Erkrankten geht?
Ulrich Hegerl: Ich denke, man kann in Unternehmen schon viel tun – zum einen, um unnötiges Leid zu verhindern, aber auch Kosten. Denn wenn Menschen Depressionen haben und zur Arbeit kommen, sie können die Leistung nicht bringen, entstehen Kosten durch Präsentismus, aber natürlich werden Leute auch krankgeschrieben, das sind dann Kosten durch Absentismus. Und wenn die Unternehmen den Wissensstand und die Handlungskompetenz zum Thema Depressionen bei den Personalverantwortlichen zum Beispiel verbessern, dann können die den Menschen, die jetzt vielleicht weinend vor dem Laptop sitzen und nicht mehr in die Kantine mitgehen, die können sie dann ansprechen, die wissen, wie man so ein Gespräch führt – und damit beitragen, dass die rascher in professionelle Behandlung kommen. Das ist zum Beispiel etwas, was sehr wichtig ist. Sehr häufig sind die Erkrankten selber verunsichert, haben nicht die Energie, nicht die Hoffnung, sich Hilfe zu holen. Und wenn da jemand sie unterstützt und motiviert, kann das sehr hilfreich sein.

Gespräch mit betroffenen Kollegen suchen

Gebert: Sie sagen auch in dem Bericht, dass es um einen verständnisvollen Umgang damit geht, eine sachgerechte Reaktion von Seiten des Unternehmens. Was ist da richtig?
Hegerl: Wenn ich jetzt sehen würde, dass jemand sich verändert, die Leistung nicht bringt, sehr traurig wirkt, und ich bin ein Kollege oder vielleicht auch ein Vorgesetzter, dann würde ich ihn zu einem Gespräch in eine ruhige Ecke bitten und ihn fragen, wie es ihm so geht. Und wenn ich etwas Info habe, was Depression für Krankheitszeichen hat, dann kriege ich vielleicht nach einiger Zeit so ein Bauchgefühl, eine Diagnose muss ich ja nicht stellen, aber ein Bauchgefühl, ob vielleicht doch mehr vorliegt als nur ein Konflikt am Arbeitsplatz oder eine andere, vielleicht auch private Problematik. Und wenn ich dieses Gefühl habe, dann würde ich dem Menschen raten, sich in Behandlung zu begeben.
Und dazu muss ich wissen, wer ist denn eigentlich zuständig, man muss wissen, welche Ärzte und Psychotherapeuten zuständig sind. Das sind die Fachärzte, das sind die Psychiater, und dann gibt es die psychologischen Psychotherapeuten. Die sind nicht alle Psychologen, sondern nur Psychologen, die auch in der Psychiatrie gearbeitet haben, also Patienten gesehen haben. Die haben eine gute Ausbildung in Psychotherapie und können wie die Ärzte über die Kasse abrechnen, das heißt, der Patient muss nichts bezahlen. Und dann gibt es die Hausärzte. Und die meisten Menschen, die ambulant mit Depressionen behandelt werden, werden vom Hausarzt behandelt. Da kann man diesen Menschen dann raten, dahinzugehen, sich eine Diagnose stellen zu lassen und – wenn die Erkrankung vorliegt – sich behandeln zu lassen.

Ursache Arbeit?

Gebert: Jetzt haben Sie schon am Anfang gesagt, dass es wichtig ist, ein Wissen darüber zu haben, die verschiedenen Symptome auch erkennen zu können. Ich fand ja erstaunlich, dass Sie auch in Ihrer Befragung festgestellt haben, wie viele Fehlinformationen sich hartnäckig halten über die Depression, etwa wenn es um die Ursachen geht.
Hegerl: Ja, die meisten Menschen glauben, dass Depressionen vor allem eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände ist – und das ist verständlich. Aber Depressionen sind viel eigenständigere Erkrankungen. Und die meisten Menschen in der Arbeit, die eine Depression kriegen, werden nicht wegen der Arbeit depressiv, die waren oft auch schon bevor sie gearbeitet haben in der Depression. Und viele erkranken dann oft auch erneut, wenn sie vielleicht Rentner sind, denn das Entscheidende ist die Veranlagung. Und wenn man das Pech hat und so eine Veranlagung mitbekommen hat, dann rutscht man immer wieder in diesen ganz speziellen Zustand Depression, selbst wenn es einem, von außen betrachtet, eigentlich relativ gut geht. Das zu verstehen, ist nicht einfach, denn wenn ich jetzt in eine Depression rutsche, dann schaut die Depression sozusagen rum, was gibt es Negatives in meinem Leben – und die findet immer etwas, bei jedem von uns. Und wenn man arbeitet, ist das halt oft die Arbeit – und dieses Problem wird dann vergrößert und ins Zentrum gerückt. Dann meint man, das ist die Ursache. Das zu verstehen, ist sehr schwer.
Gebert: Sie haben auch gesagt, dass es wichtig ist, dann die richtige Beratung sozusagen zu finden, den richtigen Facharzt zu finden. Interessant ist auch die Idee von der Peer-Beratung innerhalb eines Unternehmens zum Beispiel. Was steckt da dahinter?
Hegerl: Jede Erkrankung ist Privatsache, man muss auch die Depression nicht mit den Kollegen und den Vorgesetzten teilen, das muss man sich gut überlegen, ob man das tun möchte. Wenn ein gutes Vertrauensverhältnis besteht, ist es manchmal besser das zu tun. Und viele berichten auch, dass sie da ganz positive Reaktionen bekommen haben und dass es auch eine Erleichterung war, nicht mehr diese Fassade aufrecht erhalten zu müssen. Ein Weg, der diesen Schritt erleichtert, ist tatsächlich diese Peer-Beratung, wo wir kollegiale Depressionsbegleiter geschult haben. Diese sind Ansprechpartner, niederschwellige Ansprechpartner für Menschen, die das Gefühl haben, vielleicht haben sie eine Depression. Das ist etwas, das sehr gut läuft, am Anfang hatten wir gedacht, da meldet sich keiner, der als Peer-Berater zur Verfügung steht, aber da haben sich sehr gute, fürsorgliche Menschen gemeldet, die nun als Peers fungieren.

"Depressionen sind ziemlich eigenständige Erkrankungen"

Gebert: Was kann denn ein Unternehmen auch präventiv tun, um depressiven Erkrankungen vorzubeugen?
Hegerl: Die Vorstellung, dass man, indem man zum Beispiel Stress abbaut, von vorneherein Depressionen verhindert, da würde ich ein bisschen ein Fragezeichen dahinter machen. Da wird oft mehr versprochen, als tatsächlich möglich ist. Denn wie ich eingangs gesagt habe, Depressionen sind ziemlich eigenständige Erkrankungen. Dass ein ungünstiges Klima am Arbeitsplatz unsere Lebensqualität verhagelt, das ist ja völlig klar, aber deswegen wird man auch nicht depressiv erkranken. Aber wenn jemand eine Depression hatte, dann ist es zum Beispiel hilfreich, dass man Schichtdienste meidet, wenn der Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinanderkommt. Das ist ein Beispiel, wie man das Rückfallrisiko günstig durch Maßnahmen beeinflussen kann. Aber manchmal kann es auch hilfreich sein, dass man, wenn die Depression nicht so schwer ist, das Arbeitspensum runterfährt und der Mensch so im Arbeitsrhythmus bleiben kann. Manchmal geht das, die Arbeitsverhältnisse erlauben das. Und manche Patienten sind da dankbar für, weil sie dann nicht grübelnd zu Hause im Bett liegen, sondern ein gewisses Geländer haben durch die Arbeit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.