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Arbeitsmarkt
Billiglöhne im Bundestag

Selbst wer für den Staat arbeitet, ist vor Billiglöhnen nicht sicher. Die Bundestagsverwaltung beschäftigt viele Service- und Gastronomiemitarbeiter über Subunternehmen. Ändern können das nur die Abgeordneten.

Von Mark Diening |
    Blick auf den Plenarsaal des Bundestags aus der Vogelperspektive
    Wer im Bundestag für Ordnung und Sauberkeit sorgt, wird oft schlecht bezahlt. (dpa / picture-alliance / Michael Kappeler)
    Volker B. heißt nicht Volker B. Noch nicht mal, ob Volker B. ein Mann oder eine Frau ist, wird hier verraten. Der Mensch hinter dem Pseudonym Volker B. hat Angst, sonst seinen Job zu verlieren. Volker B. putzt im Deutschen Bundestag: Er wischt die Flure, reinigt das Mobiliar in den Sitzungssälen und saugt in den Büros der Abgeordneten. Angestellt ist Volker B. bei einer externen Firma. Seit einem Beschluss des Haushaltsausschusses aus dem Februar 1995 muss die Bundestagsverwaltung möglichst viele Dienstleistungen nach außen vergeben. Um Geld zu sparen. Überwacht werden diese Arbeiten dann vom sogenannten Zentralen Dienst, einer Art Oberaufpasser der Bundestagsverwaltung. Volker B. fürchtet dessen Macht, erzählt er uns. Darum haben wir seine Aussage nachsprechen lassen:
    "Der Zentrale Dienst kontrolliert uns. Die nehmen die Arbeiten ab. Da gibt´s auch richtig Schikane. Da heißt es zum Beispiel: 'Die Idioten machen alles!' Die nutzen halt ihre Position aus. Die sitzen von Anfang an da und sagen: 'Ok, passt auf: Wenn ihr das nicht so macht, wie wir wollen, kriegt ihr keine Unterschrift von uns.' Und wir sind ja darauf angewiesen, die Unterschriften zu kriegen."
    Dabei hat Volker B. sogar noch Glück: Er ist Mitglied in der für Reinigungskräfte zuständigen Gewerkschaft IG Bau - und für seine Branche existiert ein Tarifvertrag, der ihm neun Euro pro Stunde garantiert. Doch längst nicht bei allen 59 externen Dienstleitern, die laut eines internen Schreibens der Bundestagsverwaltung vom Januar 2013 für das Hohe Haus tätig sind, sind die Arbeitsbedingungen oder Stundenlöhne tarifvertraglich abgesichert. In dem besagten Papier vom Januar heißt es dazu unter anderem wörtlich:
    "Der Berücksichtigung sozialer Kriterien im Rahmen von Ausschreibungen sind enge Grenzen gesetzt."
    Auch, weil die Verwaltung europaweit ausschreiben muss – und daher grob gesagt keine Standards fordern darf, die in anderen Ländern nicht gelten. Die Folgen bekommen die Mitarbeiter zu spüren, die in externen Firmen im Auftrag des Bundestags putzen, Catering und Kantine betreiben, Pförtner stellen oder sogar im sensiblen IT-Bereich tätig sind. Konkret heißt es in dem Papier der Verwaltung zum Thema Mindestlöhne:
    "Existiert in der jeweiligen Branche kein allgemein verbindlicher Tarifvertrag, so kann die Bundestagsverwaltung eine Auftragsvergabe nicht von der Zahlung eines Mindestlohns abhängig machen."
    Mindestlohn als Hoffnungsschimmer
    Manche Abgeordnete von SPD und Linke denken allerdings laut darüber nach, ein Vergabegesetz auf Bundesebene zu erlassen, in dem genau solche sozialen Standards festgelegt sind. Das wird zwar europarechtlich schwierig. Utopisch scheint es aber nicht: Mehrere Landesparlamente, wie etwa in Berlin, Bremen oder Thüringen haben solche sogenannten Tariftreue-Regelungen für öffentliche Aufträge bereits beschlossen. Und auch die Gewerkschaften fordern ein Umdenken. Daniel Kopp von der IG Bau redet Klartext:
    "Es müsste schlicht und ergreifend sichergestellt sein, dass nur tariftreue Unternehmen Aufträge der Bundestagsverwaltung bekommen. Somit hätten die Beschäftigten einen Rechtsanspruch auf die geltenden Tarifverträge. Das ist im Moment leider nicht der Fall."
    Ändern kann das aber nicht die Bundestagsverwaltung, sondern nur der Gesetzgeber, sprich die Abgeordneten. Daher sehen die Gewerkschaften grundsätzlich auch die Tatsache, dass der flächendeckende Mindestlohn im Vertrag zwischen Union und SPD überhaupt Thema ist, als positives Signal. Aber auch nicht mehr: 8,50 Euro habe der Deutsche Gewerkschaftsbund bereits vor fünf Jahren gefordert, jetzt solle er in vier Jahren kommen, sagt Peter Hinze, ebenfalls von der IG Bau, und die Verärgerung ist ihm anzuhören. Hinze ist derzeit viel unterwegs, um seine Meinung kundzutun und daher nur telefonisch erreichbar.
    "Es ist nach meiner Auffassung ein Fiasko. Zwar Problemerkennung, aber keine Problemlösung. Ein Beispiel: Wir gehen in die Kaufhalle und Sie möchten Waschpulver kaufen. Es ist keins da – und da kann man nicht sagen, ob das Waschpulver gut oder schlecht ist, weil: Es ist einfach nicht da. Wir haben jetzt ein Produkt. Und da muss man sagen: Das Produkt sieht so aus, als wenn es schlecht wird. Und wenn ich 2017 höre. Was ist das denn? Da wird mir schlecht."
    Nicht ganz so drastisch formuliert es auch Sebastian Riesner von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten. Aber auch er bleibt hinsichtlich der Koalitionsvereinbarung skeptisch.
    "Bisher sehen wir nur Koalitionsvertragformulierungen, die ganz viel Interpretation an vielen Stellen zulassen. Entscheidend wird am Ende sein: Wer sitzt im Arbeitsministerium. Wer macht das Gesetz, und wie sieht das Gesetz im Einzelnen aus?"
    Einer von denen, die über dieses Gesetz abstimmen müssen, wenn die Große Koalition tatsächlich kommt, ist der SPD-Abgeordnete Steffen Lemme. Für ihn stellt die Vereinbarung mit der Union einen guten Anfang dar. Es sei mehr, als er von CDU und CSU erwartet habe. Und davon, so sagt Lemme, würden dann auch Beschäftigte im Bundestag profitieren, etwa der Wachdienst oder Küchen- und Servicepersonal.
    "Ich muss sagen, dass ich sehr, sehr froh bin, dass es jetzt diesen Kompromiss gibt. Und selbst die Beschäftigungsverhältnisse im Deutschen Bundestag werden eine Aufwertung erfahren, weil nichts mehr unter diesen 8,50 Euro verhandelt werden kann. Darüber geht immer. Wenn der politische Wille dazu besteht."
    Ginge es nach Lemmes Wille, würden die Parlamentarier übrigens auch darüber beraten, alle derzeit gut 2.500 outgesourcten Arbeitsplätze beim Bundestag wieder als feste Stellen in die Verwaltung zurückzuholen. Das würde jährlich etwa 30 Millionen Euro zusätzlich kosten. Noch ist das nur eine Vision. Wie einst die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns.