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Arbeitsmarkt
DGB fordert "Modell der assistierten Ausbildung"

Nur noch 21,7 Prozent aller Betriebe bilde aus, sagte Matthias Anbuhl im DLF. Die Ausbildungsbeteiligung bei kleineren und mittleren Unternehmen müsse gestärkt werden. Hier könne das Modell der "assistierten" Ausbildung helfen, so der DGB-Abteilungsleiter für Bildungspolitik und Bildungsarbeit.

Matthias Anbuhl im Gespräch mit Kate Maleike | 10.06.2014
    Lehrling und Meister in der Werkstatt.
    Bei der vom DGB favorisierten "assistierten Ausbildung" soll Betrieben und Jugendlichen ein Dienstleister zur Seite stehen. (picture alliance / dpa/ Sebastian Kahnert)
    Kate Maleike: Rund 30.000 Lehrstellen in nahezu allen Branchen und Berufen, die sind momentan im Bundesgebiet noch unbesetzt – das meldet zumindest heute der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Und er spricht davon, dass die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt in diesem Jahr hervorragend seien. Gleichzeitig aber zeichnet sich ab, dass die Ausbildungsbereitschaft bei deutschen Unternehmen nachlässt. Im nationalen Bildungsbericht, der Ende der Woche veröffentlicht werden soll, wird der Ball nämlich an die Unternehmen zurückgespielt: Dort wo Fachkräfte fehlen, heißt es darin, werde zu wenig ausgebildet, und das seit Jahren. Wohin also steuert der deutsche Ausbildungsmarkt aktuell?
    Das möchte ich jetzt gern besprechen mit Matthias Anbuhl. Er ist Abteilungsleiter für Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim Deutschen Gewerkschaftsbund, DGB. Guten Tag, Herr Anbuhl!
    Matthias Anbuhl: Guten Tag, Frau Maleike!
    Maleike: Wohin steuert er denn für Sie, der momentane Ausbildungsmarkt in Deutschland?
    Anbuhl: Ich denke, dass der Ausbildungsmarkt zurzeit wirklich in einer handfesten Krise steckt. Das heißt, wir haben trotz robuster Konjunktur eine stark ansteigende Zahl von Jugendlichen, die ohne Ausbildungsplatz bleiben. Allein 2013 waren das 83.000 Jugendliche, die von der Bundesagentur für Arbeit als ausbildungsreif deklariert wurden, die aber eben keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Und das ist in der Tat ein großes Problem. Auf der anderen Seite, und das ist die paradoxe Situation, haben wir auch mehr Betriebe, die ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können. Das waren 2013 auch ungefähr 33.500, vor allen Dingen in den Bereichen Hotel, Gastronomie, bei den Köchen und im Lebensmittelhandwerk. Aber trotzdem muss man sagen, unter dem Strich, wenn man die Zahlen gegenüberstellt, 83.000 und 33.500 – es fehlen noch fast 50.000 Ausbildungsplätze in Deutschland. Insofern ist die Lage nicht komfortabel für die Jugendlichen.
    Maleike: Dieses "Mismatching", davon sprechen dann ja immer die Arbeitsmarktpolitiker, also dieses Nicht-Zueinanderfinden von Anbietern und Suchenden – wie ist das eigentlich zu erklären?
    Problembranchen müssen "ihre Qualität verbessern"
    Anbuhl: Nun, wir haben einen Ausbildungsmarkt, der eigentlich nach Regionen und nach Berufen sehr, sehr stark zersplittert ist. Das heißt, die Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, sind häufig nicht am richtigen Ort, und die Betriebe, die Schwierigkeiten haben, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen, sind in der Regel auch nicht die attraktivsten Ausbildungsberufe. Wenn man sich das einmal anschaut für 2013, ich hatte es anfangs erwähnt, dann sind es vor allen Dingen Hotel, Gastronomie, Köche, Lebensmittelhandwerk, die Schwierigkeiten haben, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Und wenn man dann mal in die Tiefe schaut und guckt, dass zum Beispiel bei den Kellnern fast jeder zweite Jugendliche seine Ausbildung abbricht, dass wir ein überdurchschnittlich hohe Misserfolgsquote bei Prüfungen in all diesen Berufen haben; dass bei den Umfragen unter Auszubildenden gerade in diesen Bereichen die Berufe sehr schlecht abschneiden, was die Qualität der Ausbildung, den rüden Umgangston, Beachtung von Jugendarbeitsschutz angeht, müssen wir sagen, dass wir es hier in diesem Bereich auch mit Problembranchen zu tun haben, die ihre Qualität verbessern müssen.
    Maleike: Und die offenbar ihre Hausaufgaben nicht machen. Denn dass die jungen Menschen nicht mehr Koch werden wollen oder Bäcker werden wollen oder ins Hotel- und Gaststättengewerbe wollen, das ist ja schon eine Diagnose, die wir länger haben. Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeber spricht auch davon, dass wir das sechste Jahr nun in Folge haben in diesem, wie Sie es nannten, Dilemma, eben unbesetzte Lehrstellen in großem Ausmaß. Was kann da aus Ihrer Sicht getan werden? Der Ausbildungspakt zwischen Wirtschaft und Bundesregierung hatte ja eigentlich gut geholfen.
    Problembranchen zu tun haben, die ihre Qualität verbessern müssen
    Anbuhl: Na ja, ich glaube, dass der Ausbildungspakt eigentlich den wirklichen Herausforderungen auf dem Ausbildungsmarkt nicht gerecht wurde. Das hängt damit zusammen, dass man letzten Endes versucht hat, das ganze Thema über freiwillige Selbstverpflichtungen zu regeln. Aber es ist eben für ein Ausbildungsunternehmen nicht interessant, dass nun Herr Schweizer als DIHK-Präsident oder Herr Ingo Kramer als Arbeitgeberpräsident in Berlin eine Vereinbarung unterzeichnet, wo er sagt, wir wollen mehr Ausbildungsplätze. Sondern ein Unternehmen interessieren die ganz konkreten Ausbildungsbedingungen vor Ort. Und wir müssen auch feststellen, dass wir trotz Ausbildungspakt – das sagt und ja der Nationale Bildungsbericht und auch der Berufsbildungsbericht der Bundesregierung ein Rekord-Tief bei der Ausbildungsbeteiligung haben. Nur noch 21,7 Prozent aller Betriebe bilden aus, das heißt, nur noch jedes fünfte Unternehmen. Und da müssen wir schauen, wie wir vor allen Dingen Ausbildungsbeteiligung bei kleineren und mittleren Unternehmen stärken können, denn die sind uns vor allem als Ausbildungsbetriebe verloren gegangen?
    Maleike: Was schlagen Sie denn da vor?
    Anbuhl: Also wir als DGB würden gern ein Modell der assistierten Ausbildung flächendeckend umsetzen in Deutschland. Das ist so, dass bei der assistierten Ausbildung Betriebe und Jugendliche ein Dienstleister zur Seite gestellt bekommen. Dieser Dienstleister hilft den Betrieben zum Beispiel bei der Auswahl der Jugendlichen, aber auch bei der Umsetzung eines Ausbildungsplanes, bei der Gestaltung der Ausbildung wirklich im Betrieb. Er hilft allerdings auch den Jugendlichen bei der Vorbereitung auf die Ausbildung. Er organisiert Nachhilfe, wenn es möglich ist, und er bleibt bis zum Ende der Ausbildung dabei und vermittelt vielleicht auch in Konflikten zwischen Betrieb und Jugendlichen. Und diese Form der assistierten Ausbildung gibt es zum Beispiel im Modellprojekt "Carpo" in Baden-Württemberg, und dort ist man sehr erfolgreich bei der Integration von Hauptschülern und Altbewerbern in den Ausbildungsmarkt. Das heißt, hier schaffen Jugendliche wirklich einen Sprung in die betriebliche Ausbildung und schaffen auch in aller Regel den Ausbildungsabschluss.
    "Nachholbedarf in der Berufsbildung" bei Jugendlichen mit Behinderung
    Maleike: Herr Anbuhl, eine weitere Diagnose ist in den letzten Tagen für den Ausbildungsmarkt, den deutschen, auf den Markt gekommen. Die Bertelsmann-Stiftung hat analysiert, wie viele Jugendliche mit Behinderung denn eigentlich den Weg in den Lehrstellenmarkt finden, und hat eine erschreckende Lücke festgestellt: Nur wenige behinderte Jugendliche finden dieser Studie zufolge überhaupt den Weg zu einem regulären Arbeitsplatz. Von den jährlich rund 50.000 Schulabgängern, so heißt es darin, mit sonderpädagogischem Förderbedarf, bekommen lediglich 3.500 einen betrieblichen Ausbildungsplatz. Wenn Inklusion ernst gemeint ist, kann das eigentlich nicht das Verhältnis sein.
    Anbuhl: Nein, in der Tat. Da gibt es ganz viel Nachholbedarf in der Berufsbildung. Da hinken wir auch noch ein bisschen hinter den Entwicklungen in Schule und Kindergärten hinterher. Wir brauchen mehr Jugendliche mit Behinderung auch in einer betrieblichen Ausbildung, und ich denke, das ist auch möglich. Und ich glaube allerdings auch, dass die Betriebe hierfür zunächst mal mehr Unterstützung brauchen. Ich hatte vorhin das Konzept der assistierten Ausbildung genannt. Ich glaube, das kann man auch ausweiten auf junge Menschen mit Behinderung, das heißt, dass ein Betrieb, der einen jungen Menschen mit Behinderung nimmt, gleichzeitig ein Berufsbildungswerk als Partner kriegt, das sich in der Behindertenausbildung auskennt und genau gezielt für diesen Betrieb die Unterstützungen organisiert, die er braucht, und ihm auch hilft bei der Ausbildung, diese zu gestalten, auch verdichtet zu gestalten, dass sie zugeschnitten ist auf die Bedürfnisse des Jugendlichen. Was die Studie von Bertelsmann auch noch hervorbringt, ist ja auch, dass es eine große Unkenntnis gibt unter den Betrieben über die Möglichkeiten der finanziellen Förderung etwa bei der Gestaltung von Ausbildungsplätzen für schwerbehinderte Menschen, bei der Beschaffung von Sehhilfen, Gehstützen und ähnlichen Sachen. Und ich denke auch, dass wir da eine Beratung aus einer Hand brauchen, für Betriebe und für Jugendliche, weil zu verschiedene – sonst an diesem Thema viele verschiedene Rechtskreise arbeiten und viele verschiedene Stellen arbeiten. Und wir bräuchten eigentlich eine Jugendberufsagentur, in der Integrationsbüros, Bundesagentur für Arbeit und weitere Träger integriert werden und wo der Jugendliche und der Betrieb Beratung aus einer Hand bekommt.
    Maleike: Einschätzungen zum aktuellen deutschen Ausbildungsmarkt waren das von Matthias Anbuhl, dem Abteilungsleiter Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim Deutschen Gewerkschaftsbund DGB. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Anbuhl!
    Anbuhl: Vielen Dank, Frau Maleike!