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Arbeitsmarkt in Griechenland
Junge Menschen haben es schwer

Geldsorgen und schlechte Jobaussichten – die Folgen der Schuldenkrise sind für junge Griechinnen und Griechen bis heute spürbar. Teilweise sind ganze Familien davon betroffen. Trotzdem gibt es immer wieder kleine Erfolgsgeschichten.

Von Panajotis Gavrilis | 07.05.2019
Eine Frau läuft in Thessaloniki an einen geschlossenen Geschäft vorbei.
Schlechte Jobchancen: Die Arbeitslosenquote unter den 25 bis 34-jährigen Griechen ist nach wie vor hoch (AFP / Sakis Mitrolidis)
Kyriaki Driva schließt die Tür zu ihrem Proberaum auf, eine kleine Souterrainwohnung im Haus ihrer Eltern. In anderen Räumen lassen ihre Eltern sie nicht üben, weil sie dann zu hören sei, sagt sie scherzhaft. Kyriaki ist 27 Jahre alt, hat Biologie auf Bachelor studiert und beschäftigt sich nebenbei seit sieben Jahren professionell mit Operngesang, sie ist Stipendiatin der angesehenen staatlichen Musikhochschule in Thessaloniki. Gemeinsam mit ihren Eltern lebt sie in Pefka, einem Vorort der zweitgrößten Stadt Griechenlands.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Griechenland und die EU – Eine komplizierte Beziehung.
Die Geschichte von Kyriaki Driva könnte für die einer ganzen Generation in Griechenland stehen. Junge Menschen, Mitte Zwanzig bis Mitte Dreißig, gut ausgebildet, studiert, die keine berufliche Perspektive haben, sich keine eigene Wohnung leisten können und deshalb bei ihren Eltern leben.
"Alle Leute in meinem Alter sind in den vergangenen zehn Jahren mit der Angst und der Unsicherheit aufgewachsen. Und damit, dass eine Krise kommt. Bis wir eigene Flügel bekommen haben und lernen konnten, eigene Wege zu gehen, waren die Flügel schon längst abgeschnitten."
Gut ausgebildet, aber keine Chance
Für die studierte Biologin gibt es in Griechenland keine Zukunft. In den Laboren und Universitäten gibt es kaum Jobs, die Arbeitslosenquote unter den 25 bis 34-Jährigen ist nach wie vor hoch – sie liegt bei rund 24 Prozent.
"Die Krise ist nicht vorbei. Und ich glaube, es kommt noch mehr auf uns zu. Du merkst es, wenn du das Geld zählst und siehst: das reicht nicht. Mittlerweile hat die Krise auch andere Ebenen erreicht. Sie ist tiefgreifender, betrifft die ganze Gesellschaft. Wir, alle in Griechenland, spüren das mittlerweile sehr intensiv."
Aus ihr spricht die Sehnsucht nach dem Selbstverständlichen: Finanziell auf eigenen Füßen zu stehen, raus aus dem Elternhaus, ein Privatleben führen.
Ihre Mutter Tania kann sie verstehen. Die 54-Jährige ist Rentnerin und Hausfrau. Sie bedauert, dass Griechenland ihrer Tochter keine Perspektive bietet. Ihr Sohn, Kyriakis Bruder, war in einer ähnlichen Situation und ist nach Kanada ausgewandert.
"Es sind verletzte Kinder. Verletzt. Sie fühlen sich so, als hätte Griechenland sie bestraft, sich an ihnen gerächt. Ich schicke meine Kinder weg – mit den besten Wünschen. Ich hoffe, dass meine Tochter ein Stipendium bekommt, weil wir sie nicht dauerhaft unterstützen können. Es ist ihr Traum und wir werden sie nicht ausbremsen."
Hoffen auf ein Stipendium für den Masterstudienplatz
Ihre Tochter, Kyriaki Driva, hat eine Zusage für einen Masterstudienplatz in Schweden bekommen. Ein Grund zur Freude, wären da nicht die finanziellen Probleme. Die Tochter versucht jetzt eines der wenigen und begehrten Stipendien zu bekommen.
Immerhin sagt die Familie stolz: Wir haben uns nie verschuldet. Aktuell leben sie von der Rente der Mutter und Gelegenheitsjobs. Etwa 1.600 Euro pro Monat für drei Personen. Das muss reichen für Essen, Transportkosten, persönliche Bedürfnisse, Gesundheitsversorgung. Viel zum Sparen bleibt nicht. Realität einer griechischen Familie im Jahr 2019. Und wie blicken sie auf Europa?
"Ich persönlich sehe nicht so viel Gutes an der EU. Reisefreiheit ja, aber wir können nicht verreisen. Wir können nicht einmal innerhalb Griechenlands verreisen, wie sollen wir Europa bereisen? Die ganze EU ist auf dem absteigenden Ast. Hier in Griechenland begann alles mit den Sparprogrammen. Warum haben sie das getan, wenn wir doch eine gemeinsame Union sind, die Frieden bringen soll? Aber Frieden heißt nicht nur, dass es keinen Krieg gibt. Frieden hat auch damit zu tun, wie viel jemand arbeitet, ob er seinen Job behält, ob er die nötigen Mittel hat, um seinen alltäglichen Bedürfnissen nachzukommen. Wenn ein junger Mensch einen Job findet, eine Familie gründen kann – auch das ist Frieden. Die Griechen wurden zerstört."
Alltag in der Schuldenkrise: Arbeiten ohne Gehalt
Der Vorort Pefka liegt knapp 20 Minuten vom Stadtzentrum Thessalonikis entfernt. Es ist grün, verhältnismäßig ruhig. Der Vater, Christos Drivas, war 25 Jahre lang Busfahrer. Als er während der Schuldenkrise fast fünf Monate kein Gehalt mehr bekam, kündigte er. Er suchte sein Glück im europäischen Ausland – in Schottland und dann in Deutschland.
"Das hat nicht geklappt. Ich wollte nach dem zweiten Tag wieder gehen. Andere haben acht Stunden gearbeitet und konnten dann nach Hause. Ich habe weniger verdient und musste 12 Stunden auf der Arbeit sein – mit vier Stunden unbezahlter Pause, legal. Warum sollte ich das akzeptieren? Ich habe denen gesagt: Vielen Dank, macht’s gut! So etwas gibt es auch in Griechenland."
Christos Drivas ist nicht sauer auf Deutschland oder die Menschen. Es gibt solche und solche – überall, sagt er. Er ist nach Deutschland, um mehr in der Tasche zu haben, aber die schlechten Arbeitsbedingungen und die höheren Lebenshaltungskosten, haben ihn zum Umkehren bewogen. Seine Erfahrungen zeigten ihm, in welchem Zustand Europa sich gerade befindet: in einem kritischen.
"Wir reden über ein Europa, das alle Möglichkeiten hat, den Leuten das Nötigste zu geben. Aber Menschen hungern hier, es gibt Lebensmitteltafeln, das ist eine Schande für Europa. Es ist doch selbstverständlich, dass jeder Mensch eine Mahlzeit zu Hause bekommt und nicht wie ein Hund vor der Fleischerei auf einen Knochen wartet."
Es ist Ende April dieses Jahres, als der 57-jährige Christos Drivas nach fast drei Jahren Arbeitslosigkeit eine Jobzusage erhält. Er soll wieder Busse fahren. Trotz Altersgrenze von 45 Jahren – sie wollen ihn. 40 Stunden, etwa 1.000 Euro netto im Monat. Das bedeute ihm sehr viel, sagt er stolz. Auch in Griechenland gibt es Erfolgsgeschichten, nur eben viel zu selten.