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Arbeitsmarkt in Mexiko
Uber-Taxi statt Fließband

In Schwellenländern wie Mexiko arbeiten mehr als 30 Millionen Menschen ohne Vertrag, Sozialversicherung und meist auf eigene Rechnung. Das Taxi-Unternehmen Uber profitiert davon: Fleißige, ehrgeizige junge Männer sehen in dem boomenden Fahrdienstgeschäft eine Alternative.

Von Anne-Katrin Mellmann | 10.07.2019
In Ciudad Juárez an der Grenze zu den USA, einer der Hochburgen der Billiglohnfabriken, fährt Armando Hernández seit einigen Monaten für Uber.
In Ciudad Juárez an der Grenze zu den USA, einer der Hochburgen der Billiglohnfabriken, fährt Armando Hernández seit einigen Monaten für Uber. (ARD/Anne-Katrin Mellmann)
Edgar Moreno, ein freundlicher junger Uber-Fahrer, steckt den frisch geschorenen Kopf aus dem Autofenster und vergewissert sich, dass sein Fahrgast der ist, den die Smartphone-App anzeigt. Der 25-Jährige ist einer von etwa 250.000, die in Mexiko für den Fahrdienst arbeiten.
"Ich lasse es ruhig angehen und fahre nicht Tag und Nacht. Hauptsache: Meine Familie hat genug zum Leben und das hat sie jetzt. Mein Gewinn liegt bei etwa 100 Euro pro Woche. Außerdem bin ich mein eigener Chef. Ok, es gibt noch den Besitzer des Autos, aber mit dem verstehe ich mich gut. Die Miete, die ich ihm zahlen muss, hole ich meistens schon an drei Tagen rein."
Als Motorradbote keine 40 Euro pro Sechs-Tage-Woche
Die Miete ist höher als sein eigener Gewinn: Kranken- und sozialversichert ist Edgar Moreno nicht, trotzdem sei er zufriedener als bei seinen vorherigen insgesamt sieben Jobs. Als Motorradbote im Verkehrschaos der Millionenmetropole verdiente er nicht einmal 40 Euro pro Sechs-Tage-Woche. In einem Textilgeschäft war es etwas mehr, aber er musste je 14 Stunden arbeiten.
In einer Möbelfabrik, in der er für den Hungerlohn von 50 Euro pro Woche schuftete, atmete er die giftigen Dämpfe der Lacke ein, bekam keine Schutzbrille bei Arbeiten mit dem Laser und musste sich vom Chef anschreien lassen, wenn er sich über die Bedingungen beschwerte. Als ihm gekündigt wurde, erhielt er nur zehn Prozent der Abfindung, die ihm zustand. Die Justiz habe ihm nicht geholfen, so Edgar Moreno:
"Eigentlich hätten sie mir helfen müssen, aber hier gibt es zu viel Korruption. Hier gewinnt der, der Geld hat."
Fahrer müssen 20, 30 Prozent vom Verdienst abgeben
Viel Geld verdient der Fahrdienst Uber, der den herkömmlichen Taxis in Mexiko schon seit sechs Jahren Konkurrenz macht. Die Tarife für die Kunden wurden schon mehrfach gesenkt, für die Fahrer bleibt immer weniger übrig. Sie müssen Uber zwischen 20 und 30 Prozent vom Verdienst abgeben. Trotzdem ist diese Arbeit für Edgar Moreno und viele seiner Kollegen das kleinere Übel.
In Ciudad Juárez an der Grenze zu den USA, einer der Hochburgen der Billiglohnfabriken, der maquilas, fährt Armando Hernández seit einigen Monaten für Uber. In einer maquila hat der Vater von vier Kindern von Montag bis Samstag medizinische Geräte für US-Chirurgen in Kisten verpackt und damit etwa 50 Euro pro Woche verdient.
"Mein Selbstwertgefühl war am Boden, weil ich meiner Familie gar nichts bieten konnte und mein Verdienst nicht für die laufenden Kosten reichte. Jetzt geht es uns besser. Ich kann meinen Kindern Kleidung kaufen und – was früher gar nicht möglich war: Wir können jetzt kleine Ausflüge in den Schulferien machen."
Der Traum vom eigenen Auto
Als Fahrer für Uber ist der 45-Jährige zwar nicht mehr sozialversichert, aber er verdient das Dreifache. Das Auto, ein kleiner Seat, gehört einem Mann, der mehrere Wagen an Uber-Fahrer vermietet. Das ist der Traum der Einsteiger bei Fahrdienst-Apps: einmal ein eigenes Auto.
"Hoffentlich reicht das Geld bald für ein Auto. Ich spare schon kräftig. Wenn ich ein eigenes Auto habe, wird es mir und meiner Familie noch besser gehen."
Auf dem regulären Arbeitsmarkt wäre dieser Traum unerreichbar. Ein Armutszeugnis für das G20-Land Mexiko.