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"Arbeitsmarktpolitik ist auch Bildungspolitik"

"Wir müssen sicherlich eine höhere Berufsbezogenheit bei allen Studiengängen herstellen." Vor allem sei es wichtig, Jugendliche für das Arbeitsleben und zum Lernen zu motivieren, so Anette Kramme, arbeitsmarktpoltische Sprecherin der SPD, zu den Ergebnissen der Europa-Studie der ILO.

Annette Kramme im Gespräch mit Christian Bremkamp |
    Tobias Armbrüster: Die Jugendarbeitslosigkeit ist in vielen Ländern in den vergangenen zwei Jahren dramatisch angestiegen. Hauptgrund dafür war die weltweite Wirtschaftskrise. Das ergibt sich aus aktuellen Zahlen der internationalen Arbeitsorganisation ILO. Deutschland hat sich allerdings gegen diesen Trend gestemmt; bei uns ist die Jugendarbeitslosigkeit in den letzten Jahren sogar etwas gesunken, so das Statistische Bundesamt in dieser Woche. – Mein Kollege Christian Bremkamp hat über diese Entwicklung mit Anette Kramme gesprochen. Sie ist die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Und er hat sie zunächst gefragt, ob sie diese Zahlen für Deutschland positiv sieht.

    Anette Kramme: Wir sind auch sehr dankbar für diese Entwicklung. Allerdings hat sie ihre Ursache ausschließlich in der demographischen Entwicklung. Dennoch haben wir Riesenprobleme auf dem Arbeitsmarkt für junge Menschen. Einerseits geht es darum, dass in der Vergangenheit viele junge Menschen keine Ausbildung absolviert haben. Das schafft Armut in allen Lebenslagen, zu allen Zeiten. Und das andere Problem ist, dass viele junge Menschen den Berufseinstieg nicht schaffen und in prekärer Beschäftigung landen.

    Christian Bremkamp: Also hätten wir in den letzten Tagen vielleicht weniger über die Rente mit 67 reden sollen, als vielmehr über Arbeit für Berufseinsteiger?

    Kramme: Beides sind Themen in der Bundesrepublik Deutschland. Aber wir müssen etwas für junge Menschen tun. Das heißt für mich beispielsweise, dass wir einen Rechtsanspruch schaffen müssen, damit junge Menschen Schulabschlüsse nachholen können, oder wir müssen auch einen Rechtsanspruch auf einen Ausbildungsplatz schaffen. Ich denke, das sind zwei ganz essenzielle Maßnahmen.

    Bremkamp: Warum wird das dann nicht getan? Die Zahlen liegen ja schon länger auf dem Tisch.

    Kramme: Olaf Scholz hat damit angefangen. Er hat immerhin einen Rechtsanspruch auf Nachholen eines Hauptschulabschlusses geschaffen. Darüber hinaus wurde ein sogenannter Ausbildungsbonus eingeführt. Das bedeutet für die Betriebe, dass sie mit vier- bis sechstausend Euro unterstützt werden. Ich denke, das sind zwei richtige Schritte in die richtige Richtung gewesen. Wir hatten im Wahlprogramm drin den Rechtsanspruch auf den Ausbildungsplatz; das würden wir gerne umsetzen, können wir aber im Moment logischerweise nicht.

    Bremkamp: Sie sprechen gerade einen Ausbildungsbonus für Unternehmen an. Wie wird der denn im Moment angenommen?

    Kramme: Das ist ein gewisses Problem. Wir hatten die Krisenjahre. Da könnten wir uns vorstellen, dass das weitaus besser läuft. Und zwar ist wohl die Handhabung recht schwierig. Das hängt damit zusammen, dass natürlich auf Stellen hin vermittelt wird und nicht auf einen Bonus hin vermittelt wird.

    Bremkamp: Viele Betroffene, viele junge Menschen werden ja auch in diversen Programmen untergebracht. Liegt die Quote in Wahrheit vielleicht doch höher als diese 11 Prozent?

    Kramme: Ja, natürlich. Das kommt auch hinzu.

    Bremkamp: Und? Welchen Schluss ziehen Sie daraus?

    Kramme: Diese Programme sind dennoch sehr wichtig, aber sie sind nicht die ausschließlichen Maßnahmen, die wir treffen müssen, sondern wir brauchen beispielsweise Dinge wie einen Rechtsanspruch auf einen Ausbildungsplatz und wir brauchen Maßnahmen zur Bekämpfung der prekären Beschäftigung.

    Bremkamp: Nun könnte man auch vermuten, dass viele jüngere Menschen einfach eine falsche Ausbildung machen, studieren Fächer, die auf dem Arbeitsmarkt nicht gefragt sind. Ist da nicht auch was dran?

    Kramme: Das ist sicherlich auch eine der Ursachen, und zwar müsste sicherlich bei verschiedenen Studiengängen nachgesteuert werden. Das ist allerdings keine Bundesangelegenheit. Und jeder junge Mensch sollte sich sehr genau überlegen, was er nun tatsächlich studiert und ob das verwertbar ist auf dem Arbeitsmarkt oder nicht. Aber wir müssen sicherlich eine höhere Berufsbezogenheit bei allen Studiengängen herstellen.

    Bremkamp: Dann wäre vielleicht auch das Thema Fachkräftemangel vom Tisch?

    Kramme: Fachkräftemangel betrifft einerseits Akademiker und betrifft natürlich andererseits auch Fachkräfte. Da sind differenzierte Maßnahmen zu treffen. Wir brauchen einerseits eine Nachqualifizierung von vielen Arbeitnehmern. Das ergibt sich beispielsweise daraus, wenn man sich den Kreis der SGB-II-Bezieher anschaut. 53 Prozent haben dort keinen Berufsabschluss, 23 Prozent nicht einmal einen Schulabschluss. Also Nachqualifizierung im Sinne von Nachholen von Berufsabschlüssen, Anpassungsqualifizierung, das ist die eine Sache und die andere Sache ist, dass wir Menschen motivieren vor allen Dingen in Studiengängen, wo wir sie dringend benötigen, dass sie diese Studienfächer auch aufgreifen. Ich kann mir beispielsweise sehr gut vorstellen, dass ein junger Mensch, der einen technischen Ausbildungsberuf gelernt hat, zu einem späteren Zeitpunkt auch einen technischen Studiengang, einen naturwissenschaftlichen Studiengang studiert. Aber dazu müssen beispielsweise auch die Bafög-Bedingungen geändert werden und die Universitäten müssen generell geöffnet werden.

    Bremkamp: Sie haben gerade eben Maßnahmen angesprochen. Maßnahmen kosten in der Regel Geld. Hat der Staat dieses Geld?

    Kramme: Arbeitsmarktpolitik ist nie eine billige Sache gewesen, aber Arbeitsmarktpolitik ist auch Bildungspolitik. Die Kanzlerin hat großartig getönt, dass sie im Bereich der Bildungspolitik nicht sparen wird, sondern im Gegenteil dort mehr Geld einsetzen wird. Aber man darf die normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an dieser Stelle nicht vergessen und Arbeitsmarktpolitik stellt sicher, dass ganz normale Menschen sich qualifizieren können.

    Bremkamp: Bleiben wir mal in der heutigen Zeit. Welchen Tipp würden Sie einem jungen Menschen denn geben, der jetzt davor steht, entweder Ausbildung oder Studium?

    Kramme: Das muss jeder Jugendliche für sich selbst entscheiden. Meine persönliche Auffassung ist, die individuelle Motivation ist das wichtigste. Wenn man motiviert ist, hat man auch gute Chancen, erfolgreich zu sein, und wenn man erfolgreich ist, hat man fast in jedem Beruf natürlich eine Chance. Aber wie gesagt, das ist natürlich sehr schwierig, wenn sehr viele Menschen ausbildungsferne Studiengänge, also arbeitsmarktferne Studiengänge studieren. Das ist sehr schwierig, auch wenn wir sicherlich auch in diesem Bereich gewisse Bedarfe haben.

    Bremkamp: Welche Prognose wagen Sie für die Zukunft? Schaffen wir es in Deutschland, weit unter diese elf Prozent Jugendarbeitslosigkeit zu kommen?

    Kramme: Da bin ich an sich der festen Überzeugung. Das müssen wir auch hinkriegen. Wir haben ein enges Zeitfenster, bis ein Fachkräftemangel auftreten wird, und deshalb müssen wir alle Maßnahmen ergreifen, um dahingehend zu agieren. Wir haben an sich eine großartige Chance in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben die großartige Chance, durch die demographische Entwicklung die Arbeitslosigkeit weit herunterzuschrauben. Allerdings müssen wir Menschen haben, die die vorhandenen Jobs auch tatsächlich ausfüllen können.

    Armbrüster: So weit Anette Kramme, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, im Gespräch mit meinem Kollegen Christian Bremkamp.