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"Arbeitsmarktpolitische Reformen brauchen Zeit"

Trotz des neuen Höchststandes von 5,2 Millionen Arbeitslosen mahnt Klaus Brandner, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zur Ruhe. Die eingeleiteten Reformen bedürften einer gewissen Zeit, bis sie Wirkung zeigten. Die Forderungen der Union nach Bürokratieabbau bezeichnete Brandner als Vorwand für den Abbau von Arbeitnehmerrechten.

Moderation: Hans-Peter Probst |
    Probst: Klaus Brandner ist arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und jetzt am Telefon. Herr Brandner, guten Tag.

    Brandner: Guten Tag.

    Probst: Über 5,2 Millionen Arbeitslose, auch wenn das mit Statistik zu tun hat: Es ist ein Höchststand, keine Wende in Sicht, wir haben es eben auch gehört. Ist das nicht eine Bankrotterklärung der Wirtschaftspolitik?

    Brandner: Ich finde nicht. Es ist so, dass wirklich offensive Reformen angegangen worden sind und diese Reformen natürlich Zeit brauchen, um zu wirken. Wir sind ja in einer Situation, in der eine Hektik verbreitet wird. Wenn man das vergleicht mit einem Industrieunternehmen, da wird eine Modellpolitik betrieben, zum Beispiel in der Autoindustrie, die nicht erfolgreich sein kann, wenn ein neues Modell laufend debattiert wird, bevor das neuste Modell noch gar nicht in den Verkehr gebracht worden ist.

    Probst: Aber Herr Brandner, wenn denn kein Umsteuern, so doch konsequentes Fortsetzen der Reformen oder sogar forcieren und nicht warten, ruhige Hand, bis 2006?

    Brandner: Ich stimme Ihnen völlig zu. Ein absolut konsequentes Umsetzen bedeutet auch, dass man das Vertrauen in die Reformen dadurch stärkt, indem man das konsequente Umsetzen vorlebt. Deshalb müssen auch gerade bei der Beschäftigung der Jugendlichen die vielen Maßnahmen, die der Gesetzgeber ermöglicht hat, jetzt Praxis werden. Die Arbeitsgemeinschaften funktionieren überwiegend noch nicht. In diesem Umbauprozess gibt es eine Lücke und diese muss schnellstens überwunden werden und dann werden wir auch erleben, dass genau die Arbeitsmarktpolitik Wachstumsimpulse mitschaffen wird, die zu mehr Beschäftigung führt.

    Probst: Es gab ja eine Reihe von Forderungen, Herr Brandner, und das war nicht nur Volker Kauder, den wir eben im O-Ton gehört haben, auch aus der Wissenschaft, die Arbeitskosten müssten weiter entlastet werden, Bürokratieabbau beispielsweise. Da lautet dann der Vorwurf, es wird nur drüber geredet und nichts getan.

    Brandner: Bürokratieabbau ist eine tolle Formel, auf die man sich ganz schnell verständigen kann, wenn es um tatsächlichen Bürokratieabbau geht. Die Opposition versteht unter Bürokratieabbau aber in der Regel nichts anderes als Rechtsabbau, also als Einschränkung der Arbeitnehmerrechte. Nun hat gerade die heute berufende Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts das moderne Arbeitsrecht in Deutschland gelobt, wie es flexibilisiert worden ist und wie auch die Gewerkschaften sich auf die neuen Herausforderungen sehr flexibel eingestellt haben. Insofern sollte man hierbei auch deutlich sagen, wer echten Bürokratieabbau will, also Verfahrensvereinfachungen will, der sollte zügig zupacken, dass das erledigt wird. Wer dahinter aber nur möchte, dass man die Schutzmechanismen, das, was uns in Deutschland stark gemacht hat, nämlich den sozialen Frieden zerstören will, dem sollten wir auch sagen: Nicht mit uns!

    Probst: Aber dass die Belastung der Arbeitskosten immer noch ein Problem ist, ist ja wohl unstrittig. Könnte man denn nicht etwas über die Arbeitslosenversicherung oder den Solidaritätszuschlag machen?

    Brandner: Die Arbeitskosten sind in Deutschland sehr hoch. Insbesondere bei der Frage der dienstleistungsorientierten Arbeit. In den Industriebetrieben sind die Arbeitskosten eben nicht hoch, das wäre ja eine Mär, wenn man das verbreiten würde. Aber da, wo zusätzliche Arbeitskräfte eher entstehen können, im industrienahen Dienstleistungsbereich und Dienstleistung überhaupt, sind sie zu hoch, deshalb sind die Reformen ja genau eingeleitet und müssen weitergeführt werden, konsequent weitergeführt werden, damit dort neue Beschäftigungspotentiale entstehen.

    Probst: Es soll gestern im Parteivorstand in Berlin Forderungen gegeben haben nach Investitionen oder Investitionsprogrammen, sogar besonders auf kommunaler Ebene. Volker Kauder hat da von Steuerreformen auch noch gesprochen, für den Mittelstand besonders in diesem Bereich etwas zu tun. Würde das aus Ihrer Sicht Sinn machen?

    Brandner: Man muss alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, die zusätzliche Investitionen hier in Deutschland bewerkstelligen können. Wir dürfen aber in dem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass durch die Steuerreform, die wir begangen haben in diesem Jahr, die Binnennachfrage um sieben Milliarden gestärkt wird und dass durch die Arbeitsmarktreform und durch die Gewerbesteuerreform Impulse für die Nachfrage bei den Kommunen gesetzt worden sind. Einer deutlich weiteren Verschuldung, um ein staatliches zusätzliches Programm aufzulegen, stehe ich sehr skeptisch gegenüber. Ich finde, wir müssen die Finanzierungsmöglichkeiten des Mittelstands und der Kommunen noch einmal versuchen, zu verbessern. Inwiefern dabei die Kreditanstalt für Wiederaufbau gute Dienste leisten kann, dem muss man nachgehen. Insofern finde ich es wichtig, dass die Orientierung richtig ist, dass durch Investitionen auf der kommunalen Ebene Beschäftigungschancen entstehen, aber nicht durch zusätzliche Schulden.

    Probst: Wenn Sie sagen, Binnennachfrage wird durch die Steuerreform gestärkt, aber da hat ja auch gerade das letzte Quartal dann gezeigt, wo das Bruttoinlandsprodukt eingebrochen ist, die Leute geben das Geld eben nicht aus, sondern sparen.

    Brandner: Deshalb ist es ja auch so fatal, wenn man weiter verunsichert. Deshalb muss ja die Kraft in die Umsetzung der Reformen gesteckt werden. Und in der Bereitschaft, diese Reformen systematisch weiter zu entwickeln, muss deutlich werden, dass es nicht um eine ruhige Hand geht, dass es keine Atempause in dem Reformprozess gibt, aber dass es nicht sein kann, dass wir jeden Tag mit neuen Vorschläge und neuen Generalreformen die Menschen verunsichern in diesem Land, sondern sie müssen auch Gelegenheit bekommen, dass das, was wir verändert haben, sich tatsächlich auch in der Praxis entwickeln kann.

    Probst: Nun haben die Wirtschaftsweisen ihre Wirtschaftswachstumsprognose für das laufende Jahr reduziert, nur noch ein Prozent Wachstum. Das ist ja nach der landläufigen Meinung und Experteneinschätzungen dann so niedrig, dass man die Hoffnung auf neue Arbeitsplätze über wirtschaftliches Wachstum wohl vergessen kann.

    Brandner: Das ist zu wenig, das eine Prozent, was jetzt prognostiziert wird. Ich baue auch darauf, dass es mehr werden kann. Das ist ja eine Aussage durch den Einbruch im 4. Quartal 2004. Die Steuerreform wirkt aber erst im 1. Quartal 2005. So dass wir auch davon ausgehen können, dass diese Impulse am Arbeitsmarkt und auch bei der wirtschaftlichen Entwicklung sich noch nicht zeigen. Insofern rate ich doch, dass man diese positiven Effekte auch deutlich herausstellt, um das Vertrauen in den Veränderungsprozess in Deutschland wieder zu stärken.

    Probst: Klaus Brandner war das, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.