Jasper Barenberg: Alles muss auf den Prüfstand. Mit Blick auf die sogenannten Hartz-IV-Reformen gilt diese Devise für die SPD schon länger. Spätestens seit der verlorenen Bundestagswahl hat der neue Parteichef Sigmar Gabriel die Parole ausgegeben "alles auf den Prüfstand". Diese Haltung machen sich inzwischen aber auch immer mehr Politiker aus CDU und FDP zueigen. Manche fordern Korrekturen, andere grundlegende Veränderungen.
Ist die Arbeitsmarktreform also so schlecht wie ihr Ruf? – Das hat mein Kollege Tobias Armbrüster Hilmar Schneider gefragt, den Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn.
Hilmar Schneider: Nein. Wir beobachten ja seit etwa 2006, dass die Arbeitslosigkeit unglaublich stark zurückgegangen ist. Das hat niemand für möglich gehalten und das hat sehr viel damit zu tun, dass die Frühverrentungsmöglichkeiten, die früher durch die Arbeitslosenversicherung gegeben waren, eingeschränkt worden sind und in dem Augenblick, wo das passiert ist, haben viele Arbeitgeber festgestellt, dass sie ihre älteren Arbeitnehmer doch noch ganz gut gebrauchen könnten.
Tobias Armbrüster: Das heißt, da konnte man sich darauf verlassen, dass man jahrelang noch 60 Prozent seines Einkommens bekommt, wenn man sich arbeitslos meldet?
Schneider: Genau, und dann mit einer kleinen Abfindung war das eine prima Angelegenheit. Jetzt müssten die Unternehmen aber all dieses selber finanzieren und in dem Augenblick wird ihnen das zu teuer.
Armbrüster: Aber Hartz IV hat doch auch Millionen von Familien in die Armut getrieben?
Schneider: Das stimmt in diesem Sinne nicht. Hartz IV hat dafür gesorgt, dass der Druck, der auf die Betroffenen ausgeübt wird, zugenommen hat und das ist natürlich eine Sache, die keinen Spaß macht. Das hat aber gleichzeitig dazu geführt, dass vielen damit klar gemacht worden ist, wir haben im Prinzip ja nur noch zwölf Monate Zeit, bis sie praktisch auf Sozialhilfeniveau angewiesen sind, und hat diesen Menschen klar gemacht, dass sie sich so schnell wie möglich einen neuen Job suchen müssen. Früher war es so, dass praktisch jeder zweite, der seinen Job verloren hat, in die Langzeitarbeitslosigkeit abgeglitten ist. Heute ist es nur noch jeder zehnte und das zeigt sehr deutlich, dass dieser Druck, so unangenehm wie er ist, auch dafür gesorgt hat, die Menschen davor zu bewahren, in die Langzeitarbeitslosigkeit abzudriften.
Armbrüster: Aber diese Statistik – Herr Schneider, entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche -, die wird ja häufig auch von Politikern benutzt, die sagen, wir haben genau mit Hartz IV die Arbeitslosigkeit so niedrig gehalten. Nun sind viele von diesen Leuten, die da jetzt nicht arbeitslos gemeldet sind, tatsächlich nur 1-Euro-Jober. Das heißt, die beziehen immer noch Hartz IV, aber eben noch einen kleinen Hinzuverdienst dazu, tauchen deshalb nicht mehr in der Statistik auf.
Schneider: Das stimmt so nicht. Wer 1-Euro-Jober ist, ist nach wie vor arbeitslos. Es ist auch nicht so, dass man sagen könnte, so wie das früher häufig der Fall war, dass man quasi die Arbeitsmarktpolitik dazu benutzt hat, um die Arbeitslosenstatistik zu schönen. Das ist nicht wirklich passiert. Die Zahl der 1-Euro-Jober ist seit 2006 etwa konstant geblieben.
Was man kritisieren kann ist Folgendes: Diejenigen, die man eigentlich im Blick hatte, nämlich die Langzeitarbeitslosen, denen ist durch Hartz IV relativ wenig geholfen worden. Deren Zahl ist nicht so dramatisch gesunken, dass man von einem durchschlagenden Erfolg sprechen könnte. Da, wo Hartz IV gewirkt hat, hat es niemand erwartet. Das ist nämlich bei denjenigen, die noch eine Chance hatten zu reagieren. Das sind die, die neu in die Arbeitslosigkeit eingetreten sind. Bei denen hat quasi dieser Handlungsdruck, der für sie aufgebaut worden ist, dafür gesorgt, dass sie sich rechtzeitig nach einem neuen Job umgesehen haben.
Armbrüster: Heißt das, wir müssen jetzt gar nichts ändern an Hartz IV?
Schneider: Ich sehe in der Tat nicht so einen großen Handlungsdruck und das, was da jetzt in der politischen Diskussion ist, da kann ich nur dringend dazu raten, das noch mal zu überdenken. Das was beispielsweise jetzt im Zusammenhang mit dem Bürgergeld von der FDP aufs Tablett gebracht wird, ist bei Weitem nicht so toll, wie von den Erfindern behauptet wird. Da gibt es noch eine Reihe von Haken und Ösen. Das was die FDP sich da ausgedacht hat, führt zum Beispiel dazu, dass entgegen der eigentlichen Absicht jemand, der Vollzeit arbeitet, unter Umständen weniger in der Tasche hat, als wenn er in der gleichen Tätigkeit nur Teilzeit arbeitet. Das kann ja nicht wirklich gewollt sein.
Armbrüster: Aber die Idee ist doch eigentlich sehr charmant, dass man sozusagen eine Art Grundgehalt vereinbart, das vom Finanzamt ausgezahlt wird und in dem dann wirklich alle Sozialleistungen zusammengefasst sind. Wäre das nicht eine Lösung, um diesen ganzen Wust an Behörden auch überflüssig zu machen?
Schneider: Dass man mit organisatorischen Vereinfachungen was bewirken kann, das bestreite ich ja gar nicht. Es ist ja auch nicht alles schlecht an dieser Idee. Nur das, worum es im Kern geht, nämlich Erwerbsanreize zu schaffen, das funktioniert in diesem Fall in der Tat nur für Teilzeitarbeit, und das ist genau das Gegenteil von dem, was die Erfinder behaupten. Sie wollen ja, dass Vollzeitarbeit attraktiver wird, und genau das schaffen sie mit ihrem Entwurf nicht.
Armbrüster: Nun sind die Politiker auch bei Hartz IV zurzeit mit der Forderung dabei, man soll die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessern. Sehen Sie das genauso?
Schneider: Das klingt gut, aber funktioniert in der Praxis leider nicht so richtig, denn Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessern bedeutet ja, dass der Staat zu einfach entlohnten Tätigkeiten was dazugibt. Das Problem bei all diesen Vorschlägen, egal wie sie nun heißen, ist, dass sie diesen Zuschuss irgendwo auslaufen lassen müssen, und bedeutet zum anderen, dass er nur dann wirkt, wenn er auch hinreichend großzügig ist. Wenn sie jetzt einen großzügigen Kombilohn einführen, dann kommen sie nicht umhin, den dann auch mehr oder weniger deutlich irgendwann auslaufen zu lassen, und egal wie sie das gestalten, sie erzeugen immer einen gewaltigen Teilzeitanreiz, weil in der Einkommenszone, wo der Kombilohnanspruch ausläuft, kommt es immer regelmäßig dazu, dass sich die Reduktion der Arbeitszeit lohnt, weil man durch den höheren staatlichen Zuschuss quasi aufgefangen wird, und für die Betroffenen ist das dann eine gute Sache, aber für den Sozialstaat ist das ein Fiasko. Obwohl die Leute arbeiten könnten, arbeiten sie weniger und das, was sie weniger arbeiten, muss der Sozialstaat dann dazuzahlen. Das macht keinen Sinn.
Barenberg: Hilmar Schneider vom Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn im Gespräch mit meinem Kollegen Tobias Armbrüster.
Ist die Arbeitsmarktreform also so schlecht wie ihr Ruf? – Das hat mein Kollege Tobias Armbrüster Hilmar Schneider gefragt, den Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn.
Hilmar Schneider: Nein. Wir beobachten ja seit etwa 2006, dass die Arbeitslosigkeit unglaublich stark zurückgegangen ist. Das hat niemand für möglich gehalten und das hat sehr viel damit zu tun, dass die Frühverrentungsmöglichkeiten, die früher durch die Arbeitslosenversicherung gegeben waren, eingeschränkt worden sind und in dem Augenblick, wo das passiert ist, haben viele Arbeitgeber festgestellt, dass sie ihre älteren Arbeitnehmer doch noch ganz gut gebrauchen könnten.
Tobias Armbrüster: Das heißt, da konnte man sich darauf verlassen, dass man jahrelang noch 60 Prozent seines Einkommens bekommt, wenn man sich arbeitslos meldet?
Schneider: Genau, und dann mit einer kleinen Abfindung war das eine prima Angelegenheit. Jetzt müssten die Unternehmen aber all dieses selber finanzieren und in dem Augenblick wird ihnen das zu teuer.
Armbrüster: Aber Hartz IV hat doch auch Millionen von Familien in die Armut getrieben?
Schneider: Das stimmt in diesem Sinne nicht. Hartz IV hat dafür gesorgt, dass der Druck, der auf die Betroffenen ausgeübt wird, zugenommen hat und das ist natürlich eine Sache, die keinen Spaß macht. Das hat aber gleichzeitig dazu geführt, dass vielen damit klar gemacht worden ist, wir haben im Prinzip ja nur noch zwölf Monate Zeit, bis sie praktisch auf Sozialhilfeniveau angewiesen sind, und hat diesen Menschen klar gemacht, dass sie sich so schnell wie möglich einen neuen Job suchen müssen. Früher war es so, dass praktisch jeder zweite, der seinen Job verloren hat, in die Langzeitarbeitslosigkeit abgeglitten ist. Heute ist es nur noch jeder zehnte und das zeigt sehr deutlich, dass dieser Druck, so unangenehm wie er ist, auch dafür gesorgt hat, die Menschen davor zu bewahren, in die Langzeitarbeitslosigkeit abzudriften.
Armbrüster: Aber diese Statistik – Herr Schneider, entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche -, die wird ja häufig auch von Politikern benutzt, die sagen, wir haben genau mit Hartz IV die Arbeitslosigkeit so niedrig gehalten. Nun sind viele von diesen Leuten, die da jetzt nicht arbeitslos gemeldet sind, tatsächlich nur 1-Euro-Jober. Das heißt, die beziehen immer noch Hartz IV, aber eben noch einen kleinen Hinzuverdienst dazu, tauchen deshalb nicht mehr in der Statistik auf.
Schneider: Das stimmt so nicht. Wer 1-Euro-Jober ist, ist nach wie vor arbeitslos. Es ist auch nicht so, dass man sagen könnte, so wie das früher häufig der Fall war, dass man quasi die Arbeitsmarktpolitik dazu benutzt hat, um die Arbeitslosenstatistik zu schönen. Das ist nicht wirklich passiert. Die Zahl der 1-Euro-Jober ist seit 2006 etwa konstant geblieben.
Was man kritisieren kann ist Folgendes: Diejenigen, die man eigentlich im Blick hatte, nämlich die Langzeitarbeitslosen, denen ist durch Hartz IV relativ wenig geholfen worden. Deren Zahl ist nicht so dramatisch gesunken, dass man von einem durchschlagenden Erfolg sprechen könnte. Da, wo Hartz IV gewirkt hat, hat es niemand erwartet. Das ist nämlich bei denjenigen, die noch eine Chance hatten zu reagieren. Das sind die, die neu in die Arbeitslosigkeit eingetreten sind. Bei denen hat quasi dieser Handlungsdruck, der für sie aufgebaut worden ist, dafür gesorgt, dass sie sich rechtzeitig nach einem neuen Job umgesehen haben.
Armbrüster: Heißt das, wir müssen jetzt gar nichts ändern an Hartz IV?
Schneider: Ich sehe in der Tat nicht so einen großen Handlungsdruck und das, was da jetzt in der politischen Diskussion ist, da kann ich nur dringend dazu raten, das noch mal zu überdenken. Das was beispielsweise jetzt im Zusammenhang mit dem Bürgergeld von der FDP aufs Tablett gebracht wird, ist bei Weitem nicht so toll, wie von den Erfindern behauptet wird. Da gibt es noch eine Reihe von Haken und Ösen. Das was die FDP sich da ausgedacht hat, führt zum Beispiel dazu, dass entgegen der eigentlichen Absicht jemand, der Vollzeit arbeitet, unter Umständen weniger in der Tasche hat, als wenn er in der gleichen Tätigkeit nur Teilzeit arbeitet. Das kann ja nicht wirklich gewollt sein.
Armbrüster: Aber die Idee ist doch eigentlich sehr charmant, dass man sozusagen eine Art Grundgehalt vereinbart, das vom Finanzamt ausgezahlt wird und in dem dann wirklich alle Sozialleistungen zusammengefasst sind. Wäre das nicht eine Lösung, um diesen ganzen Wust an Behörden auch überflüssig zu machen?
Schneider: Dass man mit organisatorischen Vereinfachungen was bewirken kann, das bestreite ich ja gar nicht. Es ist ja auch nicht alles schlecht an dieser Idee. Nur das, worum es im Kern geht, nämlich Erwerbsanreize zu schaffen, das funktioniert in diesem Fall in der Tat nur für Teilzeitarbeit, und das ist genau das Gegenteil von dem, was die Erfinder behaupten. Sie wollen ja, dass Vollzeitarbeit attraktiver wird, und genau das schaffen sie mit ihrem Entwurf nicht.
Armbrüster: Nun sind die Politiker auch bei Hartz IV zurzeit mit der Forderung dabei, man soll die Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessern. Sehen Sie das genauso?
Schneider: Das klingt gut, aber funktioniert in der Praxis leider nicht so richtig, denn Hinzuverdienstmöglichkeiten verbessern bedeutet ja, dass der Staat zu einfach entlohnten Tätigkeiten was dazugibt. Das Problem bei all diesen Vorschlägen, egal wie sie nun heißen, ist, dass sie diesen Zuschuss irgendwo auslaufen lassen müssen, und bedeutet zum anderen, dass er nur dann wirkt, wenn er auch hinreichend großzügig ist. Wenn sie jetzt einen großzügigen Kombilohn einführen, dann kommen sie nicht umhin, den dann auch mehr oder weniger deutlich irgendwann auslaufen zu lassen, und egal wie sie das gestalten, sie erzeugen immer einen gewaltigen Teilzeitanreiz, weil in der Einkommenszone, wo der Kombilohnanspruch ausläuft, kommt es immer regelmäßig dazu, dass sich die Reduktion der Arbeitszeit lohnt, weil man durch den höheren staatlichen Zuschuss quasi aufgefangen wird, und für die Betroffenen ist das dann eine gute Sache, aber für den Sozialstaat ist das ein Fiasko. Obwohl die Leute arbeiten könnten, arbeiten sie weniger und das, was sie weniger arbeiten, muss der Sozialstaat dann dazuzahlen. Das macht keinen Sinn.
Barenberg: Hilmar Schneider vom Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn im Gespräch mit meinem Kollegen Tobias Armbrüster.