Ensminger: Aber wer wird denn dann der Klügere sein, der nachgibt?
Busch: Ich hoffe, dass beide klug genug sind. Ein Kompromiss heißt, dass beide Seiten meistens schmerzhafte Einschnitte machen müssen, sonst wäre es kein Kompromiss. Insoweit muss die IG-Metall weit von ihren Forderungen von 6,5 Prozent herunter. Wir haben zuletzt ein Angebot gemacht, das so hoch war wie der Abschluss in der Chemiebranche. Das war für uns wirklich ein Überschreiten der Schmerzgrenze.
Ensminger: Sie lagen kurz drunter, nicht?
Busch: Nein, wir lagen praktisch drauf. Wir hatten einen Monat Laufzeit; insofern ist das vergleichbar. Wir hatten eine höhere Einmalzahlung, als die Chemie vorgesehen hat, insofern ein absolut vergleichbares Angebot.
Ensminger: Nun sagten Sie gerade, es wird auf einen Kompromiss herauslaufen. Wie würde der denn nach Ihren Wünschen aussehen?
Busch: Dieser Kompromiss lässt sich jetzt natürlich noch nicht beschreiben; er ist immer das Ergebnis von Verhandlungen. Ein Kompromiss wird wahrscheinlich beiden Seiten wehtun. Wir müssen deutlich machen, dass die Belastungen, die wir mit unserem Angebot unseren Unternehmen im Prinzip schon zugemutet haben, eigentlich kaum überschreitbar sind. Wir laufen sonst Gefahr, dass unsere Mitglieder uns nicht folgen, und das wäre ein starker Schlag gegen den Flächentarifvertrag, den wir nun wirklich weiter entwickeln wollen, wie wir es ja begonnen haben mit den Zwischenvereinbarungen zu einem gemeinsamen Entgeltrahmentarifvertrag.
Ensminger: Nun sagen aber Tarifbeobachter, je länger ein Streik daure, desto teurer würde der Abschluss für die Arbeitgeber. Also warum nicht lieber schneller mit einem neuen Angebot kommen?
Busch: Nein, wir müssen kein neues Angebot machen, weil wir ein Angebot vorgelegt haben. Es kann ja nicht so sein, dass die einen fordern und die anderen laufend nachlegen. Da muss die IG-Metall deutlich Bewegung zeigen, um uns zu signalisieren, wo denn nun auch das für unsere Branche wirtschaftlich Vertretbare aus ihrer Sicht liegt, denn wir müssen ja eins registrieren: Wir hatten in den letzten zwölf Monaten einen Umsatzrückgang von neun Prozent, d.h. im Grunde genommen sind rein rechnerisch 250.000 Mitarbeiter bei uns nicht beschäftigt. Wir halten sie vor, und da können wir nicht die Unternehmen zusätzlich belasten.
Ensminger: Also müssen die Gewerkschaften zunächst auf Sie zugehen. Kommen wir zum Stichwort Flexistreik. Der macht den Arbeitskampf einerseits ein wenig unberechenbar, aber andrerseits ist der Streik im jeweiligen Betrieb dadurch von kürzerer Dauer. Produktionsausfälle können dann wieder aufgeholt werden. Alles gar nicht so schlimm für die Unternehmen?
Busch: Natürlich ist das schlimm, denn das, was ausfällt, kann nicht ohne Weiteres in allen Fällen aufgeholt werden. Der Verlust ist zunächst da, und vor allen Dingen müssen wir davon ausgehen, dass damit auch Störungen in die Zusammenarbeit hineingeraten. Insofern hat es direkte Auswirkungen, aber es hat auch - wie wir es beobachten - längerfristige Auswirkungen, weil unsere Mitglieder überhaupt nicht verstehen, dass bei den gemeinsamen Anstrengungen, die wir in den letzten Monaten unternommen haben - Altersversorgung, Entgeltrahmentarifvertrag - nun mehr nach alter Methode wieder reingeschlagen wird. Das könnte nachhaltig über psychologische Reaktionen bei unseren Mitgliedern zu entsprechend negativen Reaktionen führen.
Ensminger: Was glauben Sie denn, wie lange die Mitglieder das aushalten?
Busch: Das weiß ich nicht. Das hängt ja auch von der Strategie, von der Taktik des Streiks und natürlich auch von unseren Reaktionen ab. Ich glaube, es geht weniger darum einzuschätzen, wie lange man das aushält. Wichtig ist, dass wir baldmöglichst wieder an den Verhandlungstisch zurückkommen, und ich hoffe, dass es über Verhandlungen geht, sonst müssen wir gemeinsam einen Schlichter bemühen. Ich hoffe nicht, dass wir weit über Pfingsten hinaus den Arbeitskampf haben werden.
Ensminger: Fürchten Sie, dass es so lange gehen könnte?
Busch: Das ist ja nicht auszuschließen. Ich hoffe aber, wir kommen schneller zu Potte.
Ensminger: Sie haben bereits die Unzufriedenheit bei den Unternehmen angesprochen. Ihr Vorsitzender Kannegiesser hat erklärt, es habe bereits sogar Verbandsaustritte gegeben. Welche Konsequenzen hat das denn?
Busch: Verbandsaustritte haben zunächst die Konsequenz, dass immer weniger Unternehmen der Auffassung sind, dass der Flächentarif für sie vom Nutzen ist, so dass sich also die Landschaft zersplittert. Das Andere ist: Das wird auch weder die Arbeitgeberverbände stärken, noch wird es zugunsten der Gewerkschaften auslaufen, denn eine zersplitterte Landschaft auf der Gegenseite wird auch die Gewerkschaften nicht mächtiger machen.
Ensminger: Das heißt Sie drohen damit, dass eventuell die Auflösung des Flächentarifvertrags bevorsteht?
Busch: Nein, wir drohen nicht damit, sondern wir müssen auf mögliche Konsequenzen aufmerksam machen.
Ensminger: Und die könnten so aussehen?
Busch: Die könnten so aussehen.
Ensminger: Morgen will Gesamtmetall auf einer Sitzung in Düsseldorf über das Weitere beraten. Wird es da eventuell auch um Aussperrung gehen?
Busch: Nein, wir werden morgen über verschiedene andere Themen beraten, aber nicht über Aussperrung. Wir haben von vorne herein gesagt, dass wir offensive Aussperrungen ablehnen, und dabei bleiben wir auch. Wir werden - und da müssen wir nicht neu beschließen - unsere Unternehmen in ihrer Abwehr, und zwar dann, wenn sie bestreikt werden, unterstützen. Das ist Konsens, und dazu haben wir uns auch aufgestellt, so dass also die Unternehmen, die direkt betroffen sind, nicht unnötig und übermäßig belastet werden.
Ensminger: Das ist wahrscheinlich eine Lösung vor allem für den Mittelstand, oder?
Busch: Ja, für den Mittelstand natürlich, aber das ist auch eine Lösung für größere Unternehmen. Da sehen wir alle Unternehmen im selben Boot, und da werden wir auch nicht unterschiedlich behandeln.
Ensminger: Nun sollen die Streiks ja auch verstärkt auf diese mittelständischen Betriebe ausgedehnt werden. Die wird es stärker treffen als die Großen, oder?
Busch: Das hängt ganz von der Situation eines mittelständischen Unternehmens ab, aber tendenziell ist der Streik in einem mittelständischen Unternehmen sicherlich für die Belegschaft und für den Unternehmer, denn es sind ja meist Personenunternehmen, wesentlich belastender, weil das Verhältnis zwischen Unternehmer und Belegschaft in aller Regel wesentlich enger ist, so dass wir hier noch stärkere Reaktionen im Sinne von "wir wollen nicht mehr weiter, wir steigen aus dem Flächentarifvertrag aus" befürchten.
Ensminger: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio