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"Arbeitsplätze bei Hochtief in Gefahr"

Nachdem die Börsenaufsicht BaFin grünes Licht gegeben hatte, hat die spanische Firma ACS ihr Angebot für Hochtief veröffentlicht. Für fünf Hochtief-Aktien bietet ACS den Aktionären acht eigene Aktien im Tausch. Der Hochtief-Betriebsratsvorsitzende Siegfried Müller sieht dadurch Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet.

Siegfried Müller im Gespräch mit Gerd Breker | 01.12.2010
    Gerd Breker: Deutschlands zweitgrößter Baukonzern steht vor dem Aus. Er wird spanisch und aller Voraussicht nach zerschlagen. Eine Übernahme, die die Deutschen als feindlich empfinden. Die deutsche Wertpapieraufsicht BaFin hatte gestern grünes Licht für das Kaufangebot des spanischen Baukonzerns ACS gegeben. Damit hat Hochtief kaum noch Chancen, die Übernahme zu verhindern. Die Madrider ACS-Gruppe ist schon heute mit einem Anteil von knapp 30 Prozent größter Aktionär bei dem deutschen Unternehmen. Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Hochtief-Betriebsratsvorsitzenden Siegfried Müller. Guten Tag, Herr Müller.

    Siegfried Müller: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Herr Müller, Sie empfinden diese Übernahme als feindlich. Wieso eigentlich?

    Müller: Wir sind im Grunde genommen von der Firma ACS angelogen worden. Der Betriebsrat – das können Sie sich vorstellen – hat natürlich in den vergangenen drei bis vier Jahren, nachdem uns bekannt war, dass die Spanier erst 25 Prozent übernommen haben, unter Absingen der Strophe, dass sie nicht weiter aufstocken wollen, und dann noch mal über vier Prozent dazugekauft haben, sind wir natürlich sehr vorsichtig gewesen und haben befürchtet, dass dies schon längst passiert, und wir haben immer wieder den Vorstand gefragt, wir haben aus dem Aufsichtsrat gehört, dass man dort auch in genau derselben Richtung denkt und die Spanier immer wieder gefragt hat, wollt ihr noch mehr aufstocken, habt ihr da noch mehr vor, und die haben uns immer wieder beteuert, dass sie es nicht tun wollen. Das, was jetzt im September passiert ist, haben wir alle gesehen und deswegen befinden wir uns jetzt in dieser Situation. Wir haben gerade schon einige Gründe gehört, weswegen wir glauben, dass das eine feindliche Übernahme ist. Die ACS ist hoch verschuldet, wir sind ein kerngesundes Unternehmen, was einigermaßen ungerupft über die Finanzkrise gekommen ist, und wir glauben einfach fest daran, dass ACS sich an uns bereichern will.

    Breker: Dass es so weit gekommen ist, Herr Müller, wer hat da versagt, die Geschäftsleitung, oder die Politik?

    Müller: Ich glaube, dass man das so ohne Weiteres nicht so sagen kann, dass man sagen kann, jemand hat versagt. Der Politik ist es sicherlich seit Langem bekannt, dass die Situation besteht. Ich weiß, dass 2001 die CDU die Eingabe gemacht hat, das Wertpapierübernahmegesetz zu ändern, und die SPD hat es damals abgeblockt. Jetzt ist es umgekehrt. Wir verstehen also die Welt nicht mehr, dass die Parteien sich so gegeneinander aufheben, dass einmal der eine es versucht und der andere abblockt. Wir glauben, dass das eigentlich in der Öffentlichkeit bekannt sein muss und auch den Politikern bekannt sein muss. Wir werden immer wieder bezichtigt, dass wir eine "Lex Hochtief" schaffen wollen; das ist überhaupt nicht der Fall, sondern wir sehen Gesamtdeutschland als Industriestandort bedroht und wir sehen auch den Kleinanleger bedroht, wenn bei einer Übernahme ein so derart unterirdisches Angebot gemacht werden kann, wie ACS das jetzt getan hat.

    Breker: Aber ist es nicht gerade, Herr Müller, der niedrige Aktienkurs, der Hochtief überhaupt zum Übernahmekandidaten gemacht hat?

    Müller: Die Hochtief hat immer wieder versucht, den Aktienkurs in die Höhe zu treiben. Dass es letztendlich nicht gelungen ist, ich bin der Betriebsratsvorsitzende, aber ich habe kein Wirtschaftsstudium, ich kann Ihnen da nicht mehr zu sagen.

    Breker: Die Politik, was hätte sie tun sollen, das Übernahmegesetz verschärfen?

    Müller: Es darf ja in keiner Weise in Deutschland passieren, dass Firmen nicht mehr übernommen werden dürfen. Ein potenter Anbieter soll und kann auch weiterhin Firmen kaufen. Wir haben aber im Ausland – ich nenne mal Italien, ich nenne mal Großbritannien, Österreich – Hürden eingebaut, wo ab einem Besitz von 30 Prozent man nur noch in Zweiprozentschritten kaufen darf und dann immer wieder ein neues Angebot für die Kleinanleger auch machen muss. Wir befinden uns in Europa, ich glaube, Hochtief und viele Menschen in Deutschland sind längst in Europa angekommen und es ist völlig unverständlich, dass wir hier nicht auch gleiche Bedingungen haben. Wir fordern da einfach nur Gerechtigkeit von der Regierung und nicht mehr.

    Breker: Die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, hatte ja zu Beginn Hilfe in Aussicht gestellt. Bundeswirtschaftsminister Brüderle sah von Beginn an überhaupt keinen Handlungsbedarf. Sind Sie enttäuscht von der Politik?

    Müller: Ja, natürlich, und ich bin auch von der Argumentation, habe ich gerade schon mal angedeutet, von der Argumentationsweise enttäuscht. Wir stellen uns hin und sagen, wir wollen keine "Lex Hochtief", nur um am anderen Tag dann in der Presse von Herrn Brüderle zu hören, die Hochtief kann aber keine "Lex Hochtief" haben. Wir sagen, wir benötigen kein Geld, wir sind ein gesundes Unternehmen, und man vergleicht uns am Folgetag mit Holzmann oder mit Karstadt und sagt, wir haben schon mal Geld investiert und wir haben gesehen, was dabei herausgekommen ist. Das ist eine Argumentationsweise, die ich einfach nicht nachvollziehen kann.

    Breker: Nun könnte man ja sagen, Herr Müller, 30 Prozent hat ACS schon von Hochtief, was wäre denn so schlimm, wenn es mehr würden, wenn Hochtief ganz übernommen wird.

    Müller: Aus meiner Sicht wären Tür und Tor geöffnet, zum Beispiel in einer Jahreshauptversammlung den Aufsichtsrat auszuwechseln, vielleicht auf lange Sicht hin den Vorstand auszuwechseln und dann in die eigene Tasche sozusagen zu wirtschaften, die Hochtief peu à peu zu verkaufen, zu zerschlagen. Ich sehe Arbeitsplätze bedroht.

    Breker: Als die BaFin gestern grünes Licht gegeben hat für die Übernahme von ACS, hieß es bei vielen Beobachtern, nun sei Hochtief verloren, eine Übernahme sei nicht mehr abzuwenden. Was wird denn der Betriebsrat jetzt tun, wenn es zur Übernahme kommt?

    Müller: Noch ist es ja nicht zur Übernahme gekommen. Wir haben uns in dieser Hinsicht auch schon mal mit dem Vorstand kurzgeschlossen. Wir werden momentan keine weiteren Aktionen planen wie Demonstrationen. Das haben wir bisher gemacht und wir fanden auch recht erfolgreich. Nur hat es im Endeffekt nichts genützt, es waren tausend kleine Nadelstiche, aber es hat uns immer noch nichts genützt. Wir werden weiter versuchen, die Ruhe zu bewahren, die Menschen darauf vorzubereiten, wenn es denn passiert. Und wie gesagt: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Noch ist es nicht passiert. Ich glaube, es wäre gut gewesen, wenn die BaFin diesem Angebot nicht stattgegeben hätte, aber selbst wenn sie es nicht getan hätte – das musste ich dann auch im Verlauf der ganzen Angelegenheit lernen -, hätte ja ACS ein weiteres Angebot machen können und trotzdem weiter kaufen können. So ganz final ist die Entscheidung da auch nicht zu sehen.

    Breker: Am frühen Nachmittag soll das neue Übernahmeangebot vorgelegt werden. Haben Sie wirklich noch Hoffnung? Sie sagen, Hoffnung stirbt zuletzt.

    Müller: Ich sage, ja.

    Breker: Wie viele Arbeitsplätze sehen Sie in Gefahr?

    Müller: Man hat mich häufig nach dem Worst Case gefragt. Ein Worst Case wäre natürlich, dass alle Arbeitsplätze in Gefahr wären. Ich sage mal, als Worst Case könnte ich mir das auch vorstellen, dass die 11.000 deutschen Arbeitsplätze in Gefahr wären und bei einem Verkauf wir die vielen Kollegen im Ausland verlieren würden. Ob deren Arbeitsplätze dann gefährdet sind, das wage ich nicht zu sagen, aber unsere Arbeitsplätze hier in Deutschland sehe ich schon gefährdet.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Vorsitzende des Betriebsrates von Hochtief, Siegfried Müller. Herr Müller, danke für dieses Gespräch und alles Gute für die Zukunft.

    Müller: Gerne! Danke!