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"Arbeitsplätze in Europa sichern"

Mit Blick auf den Weltfinanzgipfel in Washington hat Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ein gemeinsames europäisches Vorgehen angemahnt. In den vergangenen Wochen sei auf nationaler Ebene viel getan worden, um einen Weg aus der Krise zu finden, sagte Steinmeier. Diese Maßnahmen müssten jetzt durch einen europäischen Impuls ergänzt werden. Als Beispiele nannte Steinmeier Investitionen in die Infrastruktur wie etwa die Strom- oder Breitbandnetze.

Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Am Wochenende treffen sich Spitzenpolitiker aus mindestens 20 Industrie- und Schwellenländern in Washington zum Weltfinanzgipfel. Die Bundesregierung setzt auf eine Neuordnung der Finanzmärkte und auf eine strenge Regulierung von Handel, Händlern und Finanzprodukten. Die Bundeskanzlerin und der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Ottmar Issing, werden dazu heute ein entsprechendes Papier vorlegen. "Es darf keine blinden Flecken mehr geben, in deren Schutz sich Risiken unbeobachtet aufbauen", sagt Angela Merkel heute in der "Süddeutschen Zeitung". In die Tasten gegriffen und ebenfalls ein Papier vorgelegt hat unterdessen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der nicht nur Vizekanzler, sondern auch Kanzlerkandidat der SPD ist. "Europäischer Zukunftspakt für Arbeit" ist das Papier überschrieben. Neun Punkte hat Frank-Walter Steinmeier aufgelistet. Schwerpunkt: Beschäftigung. Und ich habe den Bundesaußenminister vor dieser Sendung gefragt, welche für ihn dabei die wichtigste Überlegung ist.

    Frank-Walter Steinmeier: Herr Heinemann, lassen Sie uns vielleicht zunächst mal sagen, wo wir eigentlich her kommen. Wir haben es mit einer Finanzkrise zu tun, einer Krise auf den internationalen Finanzmärkten, von der vor einem halben Jahr noch niemand ahnen konnte, mit welchem Schwergewicht sie sich auch auf die europäischen Volkswirtschaften niederschlägt. Ich denke, wir haben in den letzten Wochen viel getan, um diese Krise beherrschbar zu machen - auf der nationalen Ebene mit einem Rettungsschirm für die Banken, wohl gemerkt kein Rettungsschirm für Bänker oder einzelne Banken, sondern mit Maßnahmen, die das Kreditwesensystem in Deutschland erhalten, ein Kreditwesensystem, was wichtig ist für die gesamte deutsche Volkswirtschaft. Wir stehen jetzt wenige Stunden vor einem internationalen Weltfinanzgipfel, auf dem wir die Verkehrsregeln schaffen wollen, Verkehrsregeln, die uns fehlen, um zukünftigen Krisen vorzubeugen. Das ist notwendig. Wir brauchen jetzt einen europäischen Impuls, um Arbeitsplätze in Europa zu sichern.

    Heinemann: Herr Steinmeier, noch mal die Frage: Welche ist für Sie die wichtigste Überlegung Ihres Papiers?

    Steinmeier: Wir haben in dieser Woche im deutschen Bundeskabinett ein nationales Maßnahmenpaket beschlossen. Das ist richtig, das ist wichtig. Wir werden mit diesem nationalen Maßnahmenpaket Investitionen in der Größenordnung von etwa 40 bis 50 Milliarden Euro auslösen. Das ist notwendig für die deutsche Volkswirtschaft. Jetzt geht es darum, dass wir diese Maßnahmen ergänzen durch einen europäischen Impuls, und auch hier sage ich, nicht mit der Gießkanne durchs Land laufen, sondern auf das konzentrieren, was uns krisenfest macht für die nächste Zeit.

    Heinemann: Herr Steinmeier, Sie konzentrieren sich auf Zukunftsbranchen. Die Automobilindustrie haben Sie nicht aufgezählt in Ihrem Papier. Heißt das, dass Sie von den Kfz-Steuerschnäppchen, die den Käufern jetzt bald winken sollen, dass Sie davon nichts halten?

    Steinmeier: Darum geht es jetzt gar nicht. Das ist das nationale Paket. Jetzt konzentrieren wir uns im nächsten Schritt auf europäische Maßnahmen. Wir müssen dafür sorgen, dass die nationalen Maßnahme-Pakete auf der europäischen Ebene koordiniert werden und dass es zusätzliche europäische Impulse gibt. Deshalb sage ich, auf das konzentrieren, was europäische Wirtschaft modernisiert, und das ist zum Beispiel Investitionen in Infrastruktur wie Stromnetze, wie Breitbandnetze für die Entwicklung der Telekommunikationsinfrastruktur.

    Heinemann: Sie haben geschrieben, "alle europäischen Programme seien dahingehend zu überprüfen, wie kurzfristig Beschäftigungsmöglichkeiten erhalten beziehungsweise neu geschaffen werden können". Heißt das oder gibt es europäische Programme, die erkennbar nichts bringen?

    Steinmeier: Es gibt eine ganze Reihe von europäischen Investitionsvorhaben, Strukturprogramme, die wir jetzt daraufhin durchsehen müssen, welche können vor allen Dingen kurzfristig Beschäftigungsimpulse auslösen. Auf die sollten wir uns konzentrieren und darüber werden wir jetzt das europäische Gespräch beginnen.

    Heinemann: Herr Steinmeier, wer soll die Investitionen, die Sie fordern, bezahlen?

    Steinmeier: Die Maßnahmen, über die ich nachdenke, sind zum überwiegenden Teil bereits in den europäischen Budgets enthalten. Es geht jetzt darum, dass wir uns für die Maßnahmen entscheiden, die in dieser Krise bei drohender Rezession Arbeitsplätze erhalten und dafür sorgen, dass die Krise auf den Finanzmärkten sich nicht mit voller Wucht auch in der Realwirtschaft in den Betrieben und Unternehmen durchschlägt, dass es dort nicht zu Entlassungen in größerem Ausmaße kommt.

    Heinemann: Das heißt, Sie wollen Ihrem Stone-Kollegen, Bundesfinanzminister Steinbrück, nicht in die Kasse greifen?

    Steinmeier: Nein, darum geht es jetzt nicht. Wir haben auf der nationalen Ebene das beschlossen, was notwendig, und das beschlossen, was verantwortbar ist. In der gleichen Weise werden wir uns auch um europäische Politik bemühen.

    Heinemann: Herr Steinmeier, Punkt 6 Ihres Papiers wirbt für Fortschritte bei der europäischen Harmonisierung der Unternehmens- und Zinsbesteuerung, wovon die Briten bislang überhaupt nichts hielten. Steuerwettbewerb ist für die Angelsachsen - und nicht nur für die - eine Tugend und kein Laster.

    Steinmeier: Ich denke, wir befinden uns hier in einer Zeitenwende, in der viel neues Denken gefragt ist. Wir konnten uns auch vor sechs, acht Wochen noch nicht vorstellen, dass es bei vielen unserer Nachbarstaaten Bereitschaft gibt, über Verkehrsregeln auf den Finanzmärkten nachzudenken. In dieser Krise wird sich jetzt zeigen, dass Steuerdumping auch nicht hilft, dass kleinste Platzvorteile die europäische Wirtschaft und Arbeitsplätze in der europäischen Wirtschaft nicht sichern helfen. Deshalb hoffe ich, dass die Erfahrung dieser Krise auch dazu führt, dass man das Gespräch über Steuerharmonisierung neu beginnen kann in Europa.

    Heinemann: Haben Sie entsprechende Signale von der Insel gehört?

    Steinmeier: Noch nicht von der Insel, aber es gibt eine Reihe von europäischen Regierungen, von denen ich weiß, dass sie in dieselbe Richtung denken.

    Heinemann: Die Franzosen denken wieder nach über eine europäische Wirtschaftsregierung, die unter anderem der Europäischen Zentralbank Beine machen soll. Stichwort "Geldpolitik als Arbeitsmarktpolitik". Besteht nicht die Gefahr, Herr Steinmeier, dass Papiere wie Ihres Breschen in Dämme schlagen, die mühsam errichtet wurden?

    Steinmeier: Deshalb habe ich ausdrücklich in dem Papier gesagt, dass es nicht um die Errichtung einer europäischen Wirtschaftsregierung geht, und deshalb auch nicht eine europäische Wirtschaftsregierung auf den Weg gebracht werden kann und darf, die Befugnisse der Europäischen Zentralbank einschränkt. Ganz im Gegenteil! Was wir brauchen, dass die nationalen Politiken auf der europäischen Ebene besser abgestimmt werden, intensiver abgestimmt werden, und dagegen kann eigentlich niemand etwas haben.

    Heinemann: Gleichwohl werben Sie für einen intensiveren Dialog mit der EZB. Worüber wollen Sie denn sprechen mit denen?

    Steinmeier: Natürlich auch, um den Zusammenhang von Wirtschafts- und Finanzpolitik, aber nicht um die EZB zu korrigieren, sondern um ständigen Informationsaustausch zu halten, damit sich Finanzpolitiken und Wirtschaftspolitiken ergänzen.

    Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. - Sie sind, Herr Steinmeier, wie wir alle wissen, auch Kanzlerkandidat der SPD. Heute äußert sich die Bundeskanzlerin zur deutschen Position vor dem Weltfinanzgipfel. Davor legt jetzt der Vizekanzler ein Papier vor. Wollen Sie Ihrer Chefin die Butter vom Brot nehmen?

    Steinmeier: Nein. Das sind ja zwei unterschiedliche Dinge. Wir haben uns doch in den letzten Wochen intensiv gemeinsam bemüht, das was notwendig ist für den Weltfinanzgipfel auch auf den Weg zu bringen, hier auf der nationalen Ebene und auch auf der europäischen Ebene. Ich denke, wir gehen gut ausgerüstet mit gemeinsamen europäischen Vorschlägen jetzt zu diesem Weltfinanzgipfel. Ich denke einen Schritt weiter. Wenn die Annahmen des Sachverständigenrates richtig sind, dann wird die Krise auf den Finanzmärkten tiefe Spuren in den nationalen Volkswirtschaften in Europa hinterlassen. Wir müssen uns wappnen dafür und deshalb sage ich, jetzt an den nächsten Schritt denken, jetzt suchen, welche Möglichkeiten Europa haben wird, um Beschäftigung, um Arbeitsplätze zu halten. Darum geht es mir und ich denke, das sehen auch viele ganz genauso.

    Heinemann: Herr Steinmeier, haben Sie Ihr Papier mit der Bundeskanzlerin abgesprochen?

    Steinmeier: Dies ist zunächst mein Papier. Es wird jetzt auch innerhalb der Bundesregierung natürlich diskutiert werden und gleichzeitig gehe ich davon aus, dass wir auch eine Diskussion in Europa damit auslösen. Das ist aber auch so gewollt.

    Heinemann: Ist das die richtige Vorgehensweise?

    Steinmeier: Ich gehe davon aus, dass jeder akzeptiert, dass es Vorschläge eines Ministers geben muss, die dann in die Diskussion gehen. Ich nehme ja niemand in die Mitverantwortung, erwarte aber eine offene Diskussion darüber.

    Heinemann: Ist dies das Papier des Ministers oder des Kanzlerkandidaten?

    Steinmeier: Das ist ein Papier des Ministers und wir sollten das jetzt auch nicht so aufgeregt diskutieren, als sei dies das erste Papier eines Ministers, das öffentlich diskutiert wird.

    Heinemann: Gleichwohl, wenn Kanzlerin und Vizekanzler getrennt zum gleichen Thema sich äußern, wird man in den kommenden zehneinhalb Monaten das schon genau analysieren und genau hinhören. Damit muss ein Kanzlerkandidat leben.

    Steinmeier: Ich kann mit vielem leben. Ich kann auch mit öffentlicher Diskussion leben. Aber noch mal: Wir sind, glaube ich, gut gerüstet mit nationalen Entscheidungen zur Bewältigung der Finanzmarktkrise. Wir gehen gut vorbereitet auf den Weltfinanzgipfel. Ich denke jetzt einen Schritt weiter, über Arbeitsplätze und Arbeit in Europa. Das muss sein und ich glaube, das erwarten die Bürgerinnen und Bürger bei uns in Deutschland auch von einer Regierung.

    Heinemann: In Washington wird Deutschland aber nur einen Plan auf den Tisch legen?

    Steinmeier: Ganz selbstverständlich! Noch mal: Dieses ist ein Weltfinanzgipfel. Für den haben wir gemeinsame Vorschläge. Wir beginnen jetzt eine Diskussion für die Zukunft, nämlich für die Sicherung von Arbeitsplätzen, für die Generierung von Wachstum in Europa. Das ist eine notwendige Diskussion, die wir nicht deshalb unterlassen dürfen, weil jetzt am kommenden Wochenende ein Weltfinanzgipfel stattfindet.

    Heinemann: Gleichwohl, Herr Steinmeier, Vielstimmigkeit macht ja hellhörig. Rund um die Kfz-Steuer, also diese Frist für die Steuerbefreiung, glich die Koalition einem Chor, in dem Dur, Moll und alle Kirchentonarten munter durcheinander gesungen wurden. Müssen wir uns das jetzt bis zur Bundestagswahl anhören?

    Steinmeier: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Menschen in Deutschland das genauso sehen wie Sie. Ich glaube, die Menschen spüren, dass wir hier in einer Krise sind, die vor wenigen Wochen noch niemand erwartet hat, und dass die Politik eigentlich gut reagiert hat, um die unmittelbare Krise auch zu managen, Gefahren zu beseitigen, mindestens einzudämmen. Und die Öffentlichkeit ahnt doch, dass wir in dieser besonderen Situation uns tastend nach vorne bewegen, viele Vorschläge prüfen müssen, damit rechnen müssen, dass Vorschläge, die auf den Tisch gebracht werden, auch kritisiert werden. Dem müssen wir uns aussetzen. Trotzdem: Es bleibt notwendig, dass wir handeln. Das haben wir getan und das haben wir nach den Diskussionen über einige Tage, einige wenige Tage hinweg auch durch geschlossene Verabschiedung im Kabinett und gestern in den Fraktionen gezeigt.

    Heinemann: Wie viele Dirigenten leiten die Große Koalition?

    Steinmeier: Das ist keine Frage der Dirigenten. Es ist auch nicht die erste Koalition in Deutschland. Insofern müssen wir diese Tatsache gar nicht so aufgeregt betrachten. Das sind Abstimmungsvorgänge innerhalb einer Koalition, die zu Ergebnissen führen, und das ist doch das, worauf es ankommt.

    Heinemann: Das Gespräch mit Bundesaußenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.