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Arbeitsrechtler plädiert für Erhalt der Mitbestimmung

Informationen am Mittag vom 16.11.2004, 13.10 Uhr

Moderation: Hans-Peter Probst |
    Moderation: Hans-Peter Probst
    Interviewpartner: Professor Thomas Dieterich, ehemaliger Präsident des Bundesarbeitsgerichts


    Hans-Peter Probst: "Die einst für Leistung und Betriebsfrieden so hoch gelobte Mitbestimmung - ein Irrtum der Geschichte?" Der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie Rogowski hat mit dieser Bemerkung eine Diskussion losgetreten, die in diesen Tagen mit dem heutigen Arbeitgebertag und entsprechenden Beschlüssen der Arbeitgeber quasi kulminiert. Hinzu kommt, und ist im Zusammenhang zu sehen, eine Debatte über eine Verlängerung oder Neugestaltung von Arbeitszeiten. Grund genug für die Gewerkschaften, heute parallel zur Veranstaltung der Arbeitgeberverbände in Berlin zu einer Demonstration gegen Arbeitszeitverlängerung und den Abbau der Mitbestimmung aufzurufen. Und auch der Bundeskanzler als einer der prominenten Gastredner bei den Arbeitgebern hatte schon nach der Äußerungen des BDI-Präsidenten klar Position gegen einen Abbau der Mitbestimmung bezogen. Arbeitgeberpräsident Hundt hat sich inzwischen für eine differenzierte Betrachtung ausgesprochen. Alles also halb so wild? Am Telefon ist jetzt Professor Thomas Dieterich, ehemaliger Präsident des Bundesarbeitsgerichts. Guten Tag Herr Dieterich.

    Thomas Dieterich: Guten Tag.

    Probst: Beginnen wir mal mit der polemischen Bemerkung, die ich eingangs zitiert habe, "Irrtum der Geschichte", die Mitbestimmung von Herrn Rogowski. Manchmal braucht es ja etwas Polemik, um zum Kern der Sache vorzudringen. Hat sich aus Ihrer Sicht die Mitbestimmung im Zeitalter der Globalisierung überlebt oder kann man sagen, wie der Kanzler ja auch argumentiert hat, sie ist notwendiger denn je?

    Dieterich: Ich glaube das Letztere. Die Mitbestimmung ist eine Form, die Arbeitnehmer in die Verantwortung mit einzubeziehen und sie setzt einen Arbeitnehmertyp oder ein Menschenbild voraus, dass im globalisierten Wettbewerb für uns in Deutschland, die wir auf Qualitätswettbewerb angewiesen sind, ganz unverzichtbar ist. Ich glaube, wir müssen jetzt an der Mitbestimmung mehr festhalten denn je, auch um der Umstrukturierungsprozesse willen, die eigentlich nur zusammen mit den Arbeitnehmern zu bewältigen sind.

    Probst: Die Wirtschaftsseite argumentiert, und Herr Hundt hat das eben - wir haben es kurz gehört - noch mal auf der Veranstaltung angesprochen: Der Standort Deutschland müsse auch für internationale ausländische Unternehmen attraktiv sein. Dazu müsse die Mitbestimmung verändert, angepasst werden.

    Dieterich: Ich verstehe nicht, auf was er das stützen will. Ich habe vorliegen: Vor kurzem hat die Boston Consulting Group Deutschland als den attraktivsten Investitionsstandort in Europa bezeichnet. Ein Drittel aller mitbestimmten Unternehmen haben ausländische Muttergesellschaften und diejenigen großen deutschen Unternehmen, die im Ausland global operieren, wie Siemens, BASF, VW, Daimler Chrysler, loben die Mitbestimmung in den höchsten Tönen. Also es ist vielleicht ein Vermittlungsproblem, aber kein Standortproblem.

    Probst: Arbeitgeberpräsident Hundt hat ja die angekündigten Einschränkungen schon etwas relativiert und zu einer differenzierten Betrachtung aufgerufen, man solle da zwischen unternehmerischer Mitbestimmung und Mitbestimmung auf Betriebsebene im Aufsichtsrat unterscheiden. Geht das in der Praxis überhaupt?

    Dieterich: Die betriebliche und die Unternehmensmitbestimmung sind in Deutschland völlig unterschiedlich geregelt. Aber die betriebliche Mitbestimmung hat mit dem Aufsichtsrat nichts zu tun. Im Aufsichtsrat findet nur die Unternehmensmitbestimmung statt. Ich weiß also nicht genau, wo nun Hundt etwas differenziert reparieren will. Jedes Regelungssystem ist immer verbesserungsfähig, aber in dieser Allgemeinheit ist das für mich nicht erwiderungsfähig.

    Probst: Wenn Herr Hundt sagt, die Mitbestimmung wolle man auf der Betriebsebene jedenfalls sogar im Kern noch stärken, um damit eine neue Balance zwischen tarifvertraglicher Regelung und betrieblicher Gestaltungsmöglichkeit schaffen. Das klingt ja gut, aber ist das konkret genug oder ist das etwas Nebelkerze?

    Dieterich: Für den Kundigen ist das sehr konkret und sehr alarmierend. Das bedeutet nämlich, die betriebliche Mitbestimmung soll zu Lasten der Tarifautonomie gestärkt werden. Die betrieblichen Vertretungsorgane, der Betriebsrat, soll Dinge regeln können, die bisher den Tarifvertragsparteien vorbehalten blieben. Also diese Form von Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung hat eine ganz andere Stoßrichtung. Die Stoßrichtung nämlich gegen die Gewerkschaften, gegen die Tarifautonomie, gegen die Regelung auf tariflicher Ebene.

    Probst: Auf der anderen Seite haben wir das ja zum Teil auch schon, beispielsweise wenn es um Flexibilisierung von Arbeitszeiten geht, um Überstundenkonten et cetera und wie die eingesetzt werden.

    Dieterich: Ja, die Betriebsräte operieren schon jetzt sehr stark mit der tariflichen Ebene zusammen. Es ist ja in Deutschland so geworden, dass betrieblichen Protagonisten keine Gegenfront gegen die Gewerkschaften bilden, im Gegenteil in der Regel organisiert sind. Die Besonderheit, das raffinierte Konzept, das jetzt zur Diskussion gestellt wird ist, dass das letzte Wort nicht mehr auf der Tarifebene liegt. Wenn Sie sich die Sanierungskonzepte bei Opel und Karstadt vorstellen, dass da die Gewerkschaften gar nicht mehr beteiligt werden, dass nur noch mit den Betriebsräten ausgehandelt wird…

    Probst: Aber in der Praxis ist es ja auch so, gerade bei diesen Fällen, die Sie angesprochen haben, um bei den aktuellen Krisenfällen zu bleiben, da ziehen die Gewerkschaften ja im Grunde voll mit, wie wir gesehen haben.

    Dieterich: Das ist genau der Einwand gegen dieses ganze Konzept. Die Gewerkschaften haben sich in diesem Umstrukturierungsprozess keineswegs als Bremser erwiesen und operieren sehr eng mit den Betriebsräten zusammen. Das ist ein eingespieltes Verfahren, das sich bewährt hat. Da sollte man nicht an den Schrauben drehen.

    Probst: In diesem Zusammenhang, ich habe es eingangs auch kurz angesprochen, muss man wahrscheinlich auch das Thema Kündigungsschutz sehen. Er ist ja bereits gelockert und, wie man jetzt hören kann, vor dem CSU-Parteitag will die Partei weitere Einschränkungen. Sind die Regelungen tatsächlich ein Hemmnis für Einstellungen oder Beschäftigungen, wie immer behauptet wird?

    Dieterich: Nein, jedenfalls sind sie im Gesamtvergleich kein Arbeitsmarktbremsklotz. Sie sind eine Verschiebung, sie hindern Arbeitgeber, kurzfristig, kurzatmige Personalwirtschaft wie Konzepte zu praktizieren, sie verzögern die Zyklen, die sich im Rhythmus der unternehmerischen Entscheidungen ergeben können, aber sie sind nicht im Ergebnis ein Faktor, der die Arbeitslosenquote beeinflussen könnte.

    Probst: Also summa summarisch: Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist trotz der Sonderregelungen auch unter dem Aspekt soziale Marktwirtschaft besser, als er immer hingestellt wird?

    Dieterich: Er ist viel besser, er ist im Augenblick ausgesprochen gut. Trotzdem verstehe ich natürlich Unternehmer, die immer auf der Lauer sind und aufpassen müssen, dass sich da nichts verschlechtert. Also der sorgenvolle Blick in die Zukunft ist völlig legitim. Aber im Augenblick sind die in der Diskussion befindlichen Konzepte sachlich nicht begründet.

    Probst: Soweit das Gespräch mit Professor Thoma Dieterich. Vielen Dank nach Kassel Herr Dieterich.

    Dieterich: Bitte sehr.