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Arcandor war "kein hoffnungsloser Fall"

Die Gewerkschafterin Margret Mönig-Raane hat die mangelnde Unterstützung des angeschlagenen Arcandor-Konzerns durch den Staat kritisiert. Eine Staatsbürgschaft hätte dem Unternehmen aus der Krise geholfen. Die Beschäftigten seien enttäuscht, dass Opel geholfen wurde und ihnen nicht.

Margret Mönig-Raane im Gespräch mit Silvia Engels | 02.09.2009
    Silvia Engels: Für die rund 40.000 Mitarbeiter des Handelskonzerns Arcandor hat sich die Situation gestern noch einmal zugespitzt. Das Insolvenzverfahren wurde eröffnet, nun drohen Zerschlagung des Unternehmens und Arbeitsplatzverlust. Für zusätzlichen Unmut sorgte, dass der scheidende Chef Karl-Gerhard Eick rund 15 Millionen Euro für sechs Monate Arbeit mitnehmen darf. Am Telefon ist die stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Margret Mönig-Raane. Guten Morgen, Frau Mönig-Raane!

    Margret Mönig-Raane: Guten Morgen!

    Engels: Beginnen wir erst bei Herrn Eick. Sie haben selbst schon mit Blick auf die 15 Millionen von einem Würgereiz gesprochen, was sagen Sie denn nun zu dessen Vorschlag, ein Drittel des Geldes in einen Mitarbeiterfonds zu stecken, also doch den Beschäftigten zu lassen?

    Mönig-Raane: Also das finde ich eine vernünftige Geste, trotzdem bleibt die Tatsache, dass jemand ein halbes Jahr arbeitet, ein Unternehmen verlässt wegen Erfolglosigkeit – was gar nicht jetzt die Schuldfrage klärt, denn die liegt tiefer –, und dafür 15 Millionen zu bekommen, finde ich, da ist in der Vertragsgestaltung was nicht in Ordnung. Das hat der Anteilseigner gemacht, da hatten wir gar keinen Einfluss drauf, aber ich glaube, es ist wirklich an der Zeit, dass Managerverträge bestimmten Regeln unterworfen werden, dass so was nicht mehr möglich ist.

    Engels: Das heißt, Sie fordern weitere gesetzliche Regelungen. Nun hat man ja Managergehälter nun schon neu geregelt, aber hier müsste man noch direkter ins Vertragsrecht eingreifen?

    Mönig-Raane: Wie man es im Einzelnen macht, muss man sich anschauen, weil ich kann ja einem Dritten nicht verbieten, jemandem Geld zu geben, das ist ein bisschen schwierig. Aber ich möchte noch etwas sagen zum Thema Zerschlagung des Unternehmens. Da fühlen manchmal Karstädter sich angesprochen, jetzt nehmen die Karstadt auseinander. Das ist aber gar nicht gemeint, sondern es ist Arcandor gemeint. Das ist ja eine Finanzholding, wo ganz viele Gesellschaften zu gehören, und die wird nicht fortbestehen, das steht schon ziemlich sicher fest, denn es gibt insgesamt über 40 Insolvenzverfahren - Karstadt, Quelle/Primondo sind die größten, aber es gibt darüber hinaus noch eine Reihe anderer.

    Engels: Dann schauen wir auf die einzelnen Betriebe. Quelle gehört beispielsweise auch dazu, das Tourismusgeschäft Thomas Cook, was vergleichsweise gut läuft. Wie sehen Sie die Perspektiven für die Unternehmensteile? Welche Mitarbeiter haben gute Chancen, auch ihren Job zu behalten, sei es in einem anderen Träger, welche müssen mit Arbeitslosigkeit rechnen?

    Mönig-Raane: Klar wissen schon die Quelle/Primondo-Beschäftigten, dass 3700 ihren Arbeitsplatz verlieren. Wer es im Einzelnen ist, weiß man noch nicht in jedem Fall. Die Quelle-Technikcenter werden alle geschlossen, die Kolleginnen und Kollegen wissen, dass sie betroffen sind. Bei Thomas Cook ist es so: Die Aktien werden verkauft werden und damit werden hoffentlich nicht nur alle Schulden bezahlt, sondern darüber hinaus müsste auch noch was übrig bleiben, damit Quelle/Primondo und Karstadt für den Neustart noch mit zusätzlichem Geld ausgestattet werden. Bei Karstadt wissen wir es noch nicht. Da ist die Insolvenz eröffnet worden, und der Insolvenzverwalter hat ja schon berichtet, dass an materiellen Werten eigentlich nichts mehr da ist. Das heißt, der Wert von Karstadt besteht in dem guten Geschäftsbetrieb, überwiegend guten Geschäftsbetrieb, und da kommt es jetzt drauf an, genau diesen Wert zu erhalten. Das heißt, dass die Kunden treu bleiben, dass die Beschäftigten, die Führungskräfte sich um die Kunden, um den Verkauf richtig gut kümmern. Ich glaube, dann hat Karstadt in großen Teilen gute Chancen.

    Engels: Wie steht denn die Gewerkschaft ver.di dem alten Angebot des Konkurrenten Metro gegenüber, zumindest einen Teil der Karstadt-Häuser zu übernehmen?

    Mönig-Raane: Da sage ich, das kommt auf die Bedingungen an. Wir sagen, wenn Kaufhof- und Karstadt-Häuser gemeinsam nach vorne geführt werden, könnte das einen Ausweg darstellen. Wir haben aber noch sehr, sehr viele Fragezeichen, was das bedeutet für die Beschäftigten von Kaufhof und für die Beschäftigten von Karstadt. Da gibt es noch keine konkreten Angebote, noch keine konkreten Verhandlungen. Lieber wäre uns – und zwar sowohl, glaube ich, den Beschäftigten von Kaufhof wie von Karstadt –, es würde ein Finanzinvestor gefunden oder ein Investor, der aus dem Ausland kommt und hier noch nicht am Markt ist, und mit dem gemeinsam dieses Unternehmen wieder flottzubringen.

    Engels: Wird es von den Beschäftigten der Arcandor-Gruppe als ungerecht empfunden, nach Ihren Eindrücken, dass der Staat Opel so stark unter die Arme greift, aber Arcandor nicht?

    Mönig-Raane: Eindeutig ja. Denn dass es am Ende politische Entscheidungen waren, die den Daumen nach unten gedreht haben, davon bin ich auch überzeugt. Denn in der Krise wird ja kein gesundes Unternehmen sozusagen über die Kante geschoben, weil es jetzt die Finanzkrise gibt, sondern die haben andere Reserven. Sondern in der Krise trifft es Unternehmen, die vorher schon Probleme haben, aber nicht hoffnungslose Fälle sind. Das geht natürlich nicht, dass man da noch Steuergeld hinterherschmeißt. Aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, Karstadt ist kein hoffnungsloser Fall und Arcandor war es zu dem Zeitpunkt auch nicht, es ist anders entschieden worden. Ja, ich finde es auch als ungerecht und die Beschäftigten auch.

    Engels: Das Argument dagegen heißt, dass Opel durch GM unverschuldet in Schieflage geriet und dagegen habe Arcandor schon vor der Wirtschaftskrise schlecht gewirtschaftet.

    Mönig-Raane: Also die Schuldfrage zu klären bei Opel und GM oder bei Arcandor, das ist ein heikles Thema. Ich weiß nicht, ob man da nicht Äpfel und Birnen miteinander verwechselt. Richtig ist, dass die Krise im Versandhandel und im Warenhaus weit zurückreicht. Also da sind Namen wie Urban und Deuss, den heute ganz viele nicht mehr kennen, durchaus zu nennen, denn Versäumnisse passieren nicht von einem Tag auf den nächsten, sondern das hat eine lange Anlaufzeit. Nur die Frage ist, gibt es eine Chance, aus so einer Krise wieder rauszukommen? Und die Staatsbürgschaft wäre eine solche gute Chance gewesen. Jetzt müssen wir den sehr viel härteren Weg gehen, mit vielen Tausend Arbeitsplätzen bei Quelle zum Beispiel und Primondo, und das, finde ich, hätte man sich ersparen können.

    Engels: Erst gestern wurde ja bei einem Treffen von SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier mit den Gewerkschaftsspitzen betont, dass die SPD die Interessen der Gewerkschaften und der Beschäftigten am ehesten unterstützt. Was fordern Sie also nun von der SPD in Sachen Arcandor?

    Mönig-Raane: Die SPD hat uns in Sachen Arcandor bis heute sehr, sehr gut unterstützt. Wir haben mit dem Arbeitsministerium von Minister Scholz eine gute Kooperation, sie helfen, wo sie können, im Rahmen dieser Möglichkeiten. Also insofern habe ich, was Karstadt, Quelle/Primondo angeht, keine neuen Forderungen, sondern will an dieser Stelle auch mal danke sagen.

    Engels: Frau Mönig-Raane, wagen Sie einen Ausblick, wie viele Mitarbeiter, nachdem die ganzen Teile von Arcandor verkauft worden sind, noch einen Job haben werden?

    Mönig-Raane: Nein, das kann ich ganz ernsthaft nicht, weil das wäre Kaffeesatzlesen, und da ganz viele Sorgen und Ängste meiner Kolleginnen und Kollegen daran hängen, fände ich es auch nicht richtig, wenn ich’s täte.

    Engels: Margret Mönig-Raane, die stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Wir sprachen über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen Arcandor. Vielen Dank für das Gespräch!