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ARD-Chef: Online-Bereich wichtig für junge Zielgruppen

Aus Anlass der heute beginnenden Internationalen Funkausstellung in Berlin hat der ARD-Vorsitzende Fritz Raff, die Sorge geäußert, dass im Umfeld der IFA eine medienpolitische Diskussion mit dem Ziel stattfindet, die Aktivitäten von ARD und ZDF im Onlinebereich einzugrenzen. Die Consumer-Messe werde dazu benutzt, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so einzugrenzen, "dass er Probleme bekommt, nachwachsende Generationen mit seinen Inhalten noch zu erreichen".

Moderation: Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist der ARD-Vorsitzende und Intendant des Saarländischen Rundfunks Fritz Raff. Guten Morgen!

    Fritz Raff: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Raff, auf der IFAist alles zu sehen, was es gibt, technisch, und das, es geben wird. Auf welche technische Neuerung freuen Sie sich?

    Raff: Nun, ich freue mich zum Beispiel darauf, dass die ARD zunächst mal als Showcase ihre zukünftige ARD-Mediathek präsentieren wird und dass wir - ebenfalls in einem Showcase - HDTV-Angebote von Seiten der ARD anbieten können. Das, glaube ich, sind zwei wichtige Dinge.

    Heinemann: Showcase ist so modern, dass es dafür kein deutsches Wort gibt?

    Raff: Mir ist keines eingefallen. Es ist ein Schaufenster, wenn Sie so wollen, weil es nicht für alle zugänglich ist. Bei unserer ARD-Mediathek sieht es so aus, dass wir sie lediglich auf der Funkausstellung präsentieren, dort ist noch viel zu erarbeiten und dort gibt es auch noch Verfahren letztendlich zu beachten, die wir einhalten müssen, wenn wir mit diesem Angebot letztendlich an den Markt gehen.

    Heinemann: Gibt es Tendenzen, die Ihnen Sorge bereiten?

    Raff: Sorge bereitet mir im Moment die Tendenz, dass im Umfeld dieser IFA eine medienpolitische Diskussion mit dem Ziel stattfindet, die Aktivitäten von ARD und ZDF im Onlinebereich einzugrenzen. Da wird die IFA, die ja eigentlich Innovation verbreiten soll und Motivation verbreiten soll, neue Möglichkeiten zu nutzen, dazu benutzt, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ordnungsrechtlich so einzugrenzen, dass er Probleme bekommt, nachwachsende Generationen mit seinen Inhalten noch zu erreichen.

    Heinemann: Hat die ARD denn nicht schon genug Angebote im Fernsehen, im Hörfunkbereich? Überblicken Sie noch die ganzen Hörfunkprogramme?

    Raff: In der analogen Welt haben wir zweifelsohne genug Angebote, aber es gilt ja jetzt in der digitalen Welt die neuen Möglichkeiten zu nutzen, die Nutzergewohnheiten werden sich verändern, die Erwartungen der Nutzer an das, was wir anbieten, wird sich verändern. Wir werden nicht davon ausgehen können, dass wir unsere analogen Programme, sei es das Erste, die Dritten oder unsere Hörfunkwellen, nur eins zu eins anbieten können, sondern wir werden auch der digitalen Welt und ihren Erwartungen entsprechend, letztendlich Angebote so formatieren müssen, konfigurieren müssen, dass wir bestimmte Zielgruppen besser als in der Vergangenheit erreichen, und das gilt in dem Fall vor allem für die jüngeren Menschen.

    Heinemann: Gehört diese digitale Expansion zur Grundversorgung?

    Raff: Ich sehe darin keine Expansion, weil wir davon ausgehen, dass wir Inhalte, die wir ohnehin in unseren Häusern haben, verändert oder neu konfiguriert darstellen, neu zusammenpassen und letztendlich so anbieten, dass sie wieder für die Menschen interessant sind. Schauen Sie, es gelingt uns zum Beispiel im Hörfunk - wie übrigens auch bei Deutschlandradio, wenn ich es richtig sehe -, dass wir bestimmte Sendungen zum Podcasting zulassen und dass auch jüngere Leute plötzlich Feature im Hörfunk abrufen und dann eben zeit- und ortsouverän es anhören.

    Heinemann: Herr Raff, bei Pro7 und Sat.1 sei die Entscheidung getroffen, beide Sender entwickelten sich zu einer Kommerzplattform, das schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung, nachdem die Investoren beschlossen, die Programme von anspruchsvollen Inhalten zu befreien. Sind die Heuschrecken auch auf dem Medienmarkt im Anflug?

    Raff: Ja, ich glaube schon, dass man sehen muss, dass das, was zum Teil im Medienbereich passiert, in eine Form von Kommerzialisierung einmündet, dass umgekehrt das, was inhaltliche Fragen angeht und was Anspruch angeht, eher das eine oder andere zurückgedrängt wird. Deshalb ist es ja auch völlig unlogisch, wenn es zum Teil jetzt eine Politikbereitschaft gibt, unseren öffentlich-rechtlichen Rundfunk ordnungsrechlich einzugrenzen, weil Verleger und auch kommerzielle Programmanbieter behaupten, wir würden den Markt kaputtmachen. Wir machen den Markt überhaupt nicht kaputt, denn das, was wir anbieten wollen, das wollen ja die Kommerziellen nur zum Teil anbieten, und zum Teil sind sie ja sogar bereit, die harten Informationsangebote eher einzuschränken. Deshalb: Wir sind jetzt wichtiger denn je!

    Heinemann: Wobei - wenn über Qualität des öffentlich-rechtlichen Fernsehens diskutiert wird - man manchmal auch etwas kritisch auf die Vorabendprogramme schaut, Sendungen wie "Brisant" bei der ARD oder "Hallo Deutschland" und "Leute heute" beim ZDF zeichnen sich ja doch durch einen voyeuristischen Zugang zur Wirklichkeit aus. Ist das der Tribut, den Sie der Quote zahlen müssen?

    Raff: Nun, es handelt sich ja hier um Werbeumfeldprogramm, da ist bestimmt ein gewisser Tribut an die Quote dabei, das räume ich offen ein, und da gibt es bestimmt auch hin und wieder grenzwertige Dinge, gerade Boulevard ist immer etwas, was Diskussionen hervorruft, boulevardeske Sendungen, da darf man keinen Zweifel haben. Auf der anderen Seite reden wir über einen kleinen Ausschnitt unseres Programmangebots. Wenn man das Erste, die Spartenkanäle wie Phoenix, Arte zum Beispiel betrachtet, den Kinderkanal, wenn man unsere dritten Programme sieht, dann haben Sie jeden Tag ein Rundum-Qualitätsangebot, das man einfach nicht wegreden kann und wo alle Theorien, es würde eine Konvergenz im Programmbereich geben mit den Kommerziellen, einfach falsch sind.

    Heinemann: Aber ist das eine Tendenz? Das heißt, werden sich Fernsehinformationssendungen mittelfristig viel stärker auf Inhalte nach dem Grundsatz "Nacktes und Zerhacktes" konzentrieren?

    Raff: Nein. Die Tendenz ist eindeutig gerade in der digitalen Welt: Seriosität, Qualität, Tiefgang. Ich glaube, das Oberflächliche wird nicht die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der digitalen Welt sein, das können andere noch besser als wir, wir müssen uns auf Qualitätsmarken besinnen. Auf der anderen Seite: Im heutigem klassischem Medienangebot für Funk und Fernsehen müssen wir unterschiedlichste Gebührenzahlergruppen bedienen und deshalb gibt es natürlich auch Sendungen, die dem einen gefallen und dem anderen gar nicht gefallen. Trotzdem gilt auch bei uns für Sendungen, die sich am Boulevard orientieren: Ein Qualitätsmaßstab muss auch dort eingehalten werden.

    Heinemann: ARD und ZDF sind sich nicht in allem grün. Das ZDF hat eine Programmreform angekündigt, mit der man jüngere Zielgruppen ansprechen möchte, die ARD sprach in diesem Zusammenhang von einem "unfreundlichen Akt". Wieso?

    Raff: Der unfreundliche Akt bezieht sich nicht darauf, dass das ZDF jüngere Gruppen ansprechen möchte. Da sagen wir nur: Macht das gut, da sind wir beide gleichermaßen auf dem Weg. Unsere Kritik richtet sich darauf, dass das ZDF am Mittwoch ein fiktionales und Unterhaltungsangebot gegen den Fernsehfilmplatz der ARD setzt, das, meinten wir, sei nicht die richtige Alternative. Wir haben ja umgekehrt, als wir einen Sendeplatz für Herrn Plasberg im Ersten gesucht haben, unter anderem auch einmal darüber diskutiert, unser Fernsehspiel auf den Montag zu setzen, haben das aber gelassen, weil der Montag ein klassischer Fernsehspieltag für das ZDF ist. Ein unfreundlicher Akt wäre es dann, wenn es nicht ohne eine vorherige Diskussion mit uns stattfinden würde, es wird aber noch eine solche Diskussion geben und wir müssen mal abwarten, welches Ergebnis dann letztendlich herauskommt.

    Heinemann: Sie haben eben schon von Onlineangebot gesprochen, aber wie versucht die ARD inhaltlich, ein jüngeres Publikum zu binden?

    Raff: Sie wird es nur dann schaffen, wenn sie die digitalen Ausspielungswege auch nutzt, Programmformate anzubieten, die jüngere Gruppen ansprechen. Da bedarf es noch großer, kreativer Leistungen und inhaltlicher Gestaltungen. Im Hörfunk gelingt es uns ja zum Teil sehr gut, mit unseren Jugendwellen, dort gelingt es uns auch in den die Jugendwellen begleitenden Onlineangeboten. Aber es gibt Bereiche - kann man ja ganz offen sagen, zum Beispiel wie im Fernsehen -, wo wir uns noch neuer Programme besinnen müssen, um junge Zielgruppen besser als bisher zu erreichen. Vor allem müssen wir im Auge behalten, wir dürfen ja dabei diejenigen, die wir schon haben, nicht vergraulen.

    Heinemann: Was stellen Sie sich da vor, bei neuen Programm?

    Raff: Nun, wir werden vor allem eines versuchen, unsere Informationen so zu gestalten, dass sie auch für junge Leute attraktiv und interessant sind. Das geht zunächst einmal über die Zugriffsmöglichkeit, die Tagesschau hat mehr junge Zuschauerinnen und Zuschauer als gemeinhin eben geglaubt wird. Wir haben dort schon einen ganz guten Anteil, aber wir müssen es natürlich auch noch schaffen, dass unsere politischen Magazinsendungen, dass also die harte Information und die Dokumentationen Themen aufgreifen, die gerade für die nachwachsenden Generationen von Interesse sind.

    Heinemann: Herr Raff, wird die Zukunft so aussehen: Die technisch versierten Mediennutzer werden ihre eigenen Programmdirektoren sein, sich die Programme im Internet selber zusammenstellen, und die öffentlich-rechtlichen Programme sind für den doofen Rest?

    Raff: Das glaube ich deshalb nicht, weil die technisch Versierten und die auch bildungsmäßig an guten Sendungen Interessierten sehr stark bei uns verankert sind und deshalb auch Wert darauf legen, dass sie unsere Programme über alle Ausführwege empfangen können. Diese Teilung der Gesellschaft sehe ich nicht. Die Immobilen sind natürlich zum Teil bei uns, aber die sind ja auch sehr stark bei den privaten Angeboten. Das ist nicht die Trennlinie. Die Trennlinie verläuft eher an inhaltlichen Angeboten.