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ARD-Korrespondentin beklagt Chinas Umgang mit Journalisten

In einem offenen Brief haben sich deutsche Chinakorrespondenten an Kanzlerin Merkel gewandt und sich über zunehmende Behinderungen ihrer Arbeit beschwert. Offiziell heiße es zwar, es habe sich nichts geändert, doch Hörfunkkorrespondentin Ruth Kirchner spricht von teils gewalttätigem und brutalem Verhalten der Sicherheitsbehörden.

Das Gespräch führte Stefan Koldehoff | 28.08.2012
    Stefan Koldehoff: Wenn die Bundeskanzlerin am Donnerstag in Peking eintrifft, dann wird es – das ist keine Überraschung – in erster Linie um die Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern und um die Euro-Krise gehen. China hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Wirtschaftspartner Deutschlands entwickelt. Deutsche Journalisten fordern nun aber in einem offenen Brief an Angela Merkel, dass auch ein anderes Thema auf die Agenda kommen müsse – wieder einmal, muss man leider sagen: die Pressefreiheit nämlich. Zu diesen Journalisten gehört die ARD-Hörfunkkorrespondentin in Peking, Ruth Kirchner, und sie habe ich vor der Sendung nach dem Hintergrund dieser Aktion gefragt.

    Ruth Kirchner: Wir hier in Peking, in China haben seit geraumer Zeit den Eindruck, dass es eine Verschärfung des Verhaltens der Sicherheitsbehörden gegenüber den ausländischen Journalisten gibt. Angefangen hat das eigentlich im Frühjahr 2011 mit dem Arabischen Frühling, worauf die chinesischen Behörden extrem nervös reagiert haben und man hier sehr große Angst hatte, dass ähnliche Demonstrationen wie im Nahen Osten eben auch in China stattfinden könnten. Seitdem haben wir den Eindruck, dass die Freiheiten, die man den ausländischen Journalisten im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 gegeben hatte, eigentlich ein Stück wieder zurückgenommen worden sind. Es ist ja so, dass vor 2008 es hieß, wir brauchen nur die vorherige Einwilligung unseres Interviewpartners, wenn wir mit jemandem sprechen wollen. Das war für uns eine deutliche Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen. Man brauchte eben nicht mehr die Einwilligung der Behörden vor einem Interview. Und man hat den Eindruck, das wird jetzt schrittweise, aber eben auch sehr willkürlich zurückgenommen.

    Koldehoff: Wird so etwas in irgendeiner offiziellen Form kommuniziert? Bekommen Sie neue Regeln mitgeteilt? Oder merken Sie es einfach "nur" in der täglichen Praxis?

    Kirchner: Wir merken es tatsächlich nur in der täglichen Praxis und man wird immer wieder selbst davon überrascht. Wir fragen immer wieder nach: Gibt es denn neue Regeln, gibt es bestimmte Orte, wo wir es erst beantragen müssen, wenn wir dort Leute befragen wollen, selbst wenn wir Leute auf der Straße befragen wollen, oder wenn Fernsehteams dort filmen wollen. Aber es heißt immer nein, es habe sich an den Regeln von 2007/2008 überhaupt nichts geändert. Aber in der Praxis sieht das eben ganz anders aus. Was für die Fernsehkollegen natürlich noch viel schlimmer ist, ist, dass es auch immer wieder dazu führt, dass die Teams behindert werden, dass sie nicht filmen können, dass es teilweise auch recht gewalttätig und brutal zugeht. Einige von diesen Sicherheitskräften in Zivil insbesondere sind extrem aggressiv. Da sind auch Kollegen schon körperlich bedrängt, geschlagen worden und unsere chinesischen Mitarbeiter geraten auch immer wieder ins Visier.

    Koldehoff: Sie haben sich jetzt mit einer ganzen Reihe von Kollegen im Vorfeld des Merkel-Besuches schriftlich an die Bundeskanzlerin gewandt, in einem offenen Brief, und gefordert, dass sich da was ändern müsse. Warum dieser doch recht spektakuläre Schritt? Weil Proteste vor Ort nichts bringen?

    Kirchner: Wir haben über den Klub der Auslandspresse – das ist sozusagen unsere Selbstorganisation hier in China – seit Jahren versucht, gegenüber den chinesischen Behörden immer wieder anzumahnen, dass die Arbeitsbedingungen für ausländische Journalisten hier in China nicht den internationalen Standards entsprechen, und es hat sich eben tatsächlich nichts geändert, sondern wir haben eher den Eindruck, die Freiheiten werden nach und nach zurückgenommen. Daher haben wir uns entschlossen, an die Kanzlerin zu schreiben – zunächst einmal wir deutschen Journalisten hier in Peking -, weil wir den Eindruck haben, dass das auf höherer Ebene angesprochen werden muss, dass es nichts bringt, dass wir Journalisten hier vielleicht in der Pressekonferenz des Außenministeriums das wieder ansprechen, oder mit unseren Gesprächspartnern im Außenministerium, die aber nicht hoch genug angesiedelt sind, um tatsächlich etwas ändern zu können.

    Koldehoff: Welche Reaktionen gibt es in Peking, aber auch in Berlin?

    Kirchner: Das chinesische Außenministerium hat sich heute auf Anfrage von uns in einer ganz kurzen schriftlichen Stellungnahme geäußert. Dort heißt es aber nur ganz allgemein, man heiße ausländische Journalisten willkommen, man wahre ihre Rechte und ihre Interessen und helfe ihnen bei der Arbeit, und gleichzeitig müssten sich die Journalisten natürlich an die chinesischen Gesetze halten. Auf Einzelfälle und auf die Details unseres Schreibens ist das chinesische Außenministerium überhaupt nicht eingegangen. Aus Berlin haben wir erfahren, dass die Kanzlerin tatsächlich unsere Sorgen diese Woche zur Sprache bringen will. In welcher Form sie das tut, das muss man natürlich abwarten.

    Koldehoff: Die ARD-Korrespondentin in Peking, Ruth Kirchner, über die Erwartungen der deutschen Journalisten an den bevorstehenden Besuch der Bundeskanzlerin.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.