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Koenigs kritisiert Merkels sanften Umgang mit China

Die Bundeskanzlerin reist heute mit einer Wirtschaftsdelegation nach China. Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Tom Koenigs (Bündnis90/Die Grünen), mahnt Merkel zum offenen Umgang mit dem Wirtschaftspartner, auch und gerade was die Menschenrechte angeht.

Das Gespräch führte Bettina Klein |
    O-Ton Angela Merkel: "Wir dürfen nicht schweigen, wenn es um Menschenrechte geht. Aber ich sage auch ganz deutlich aus meinem Leben und ich glaube, das weiß jeder hier im Raum: Es ist nicht so einfach, dies im täglichen Umgang jeden Tag auch treffsicher zu entscheiden."

    Bettina Klein: Es ist nicht einfach, immer treffsicher zu entscheiden, so Angela Merkel vor vier Jahren allgemein zur Frage der Menschenrechte. Heute beginnt sie mit einer Delegation ihren Besuch in China, und wie ihre Menschenrechtspolitik konkret mit Blick auf dieses Land zu bewerten ist, darüber möchte ich jetzt sprechen mit Tom Koenigs, Bundestagsabgeordneter von den Bündnis-Grünen und Vorsitzender vom Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Morgen!

    Tom Koenigs: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Herr Koenigs, die Kanzlerin setze auf China als einen starken Partner, sie suche geradezu politisch die Nähe zu Peking, so ist dieser Tage allerorts zu lesen. Hat sie die Menschenrechtslage im Land noch ausreichend im Blick?

    Koenigs: Ich fürchte, nein, denn in der Vorbereitung dieses Besuches haben die Menschenrechte kaum eine Rolle gespielt. Die chinesische Seite ist härter geworden, gerade in den letzten Monaten, und man muss schon sehr deutlich klar machen, dass es im deutschen Interesse ist, sich für die Menschenrechte einzusetzen, und dass es da auch einen Widerspruch, eine Diskrepanz zur chinesischen Politik gibt.

    Klein: Was vernachlässigt sie genau Ihrer Meinung nach?

    Koenigs: Ich glaube, sie ist zu sehr auf die Wirtschaft fixiert, zu sehr auf das sanfte und gute Zusammenspiel im Wirtschaftlichen und zu wenig eindeutig im Protest, den ja die Menschenrechtsgruppen in Deutschland sehr deutlich vortragen, und zwar Protest gegen Maßnahmen, die sich in der letzten Zeit verschärft haben, zum Beispiel gegenüber der Meinungsfreiheit von Künstlern. Ich würde mir wünschen, dass die Kanzlerin auch sehr deutlich sagt, dass sie zum Beispiel mit dem gefangenen Nobelpreisträger Liu Xiaobo reden will, dass sie denen auch Angebote macht, dass Leute hierher reisen können, dass sie auch deutlich sagt, wo die Gemeinsamkeit endet. Das ist bisher nicht in der Weise gewesen und da gibt es noch was nachzuarbeiten.

    Klein: Menschenrechts- und Wirtschaftspolitik unter einen Hut zu bekommen mit Staaten wie China, das ist natürlich immer eine Gratwanderung und die haben auch die Vorgängerregierungen bewältigen müssen.

    Koenigs: Das ist zweifellos richtig, aber verbal wird ja immer gesagt, wir haben eine menschenrechtsgeleitete und interessengeleitete Außenpolitik, der Einsatz für die Menschenrechte liegt im Interesse Deutschlands, so der Außenminister vor dem Menschenrechtsrat in Genf. Da sitzen die Chinesen auch dabei. Das muss man wiederholen, daraus muss man Konsequenzen ziehen und muss auch deutliche Wünsche anmelden. Man muss nicht nur sagen, wir wollen wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern wir wollen auch da Zusammenarbeit und einen Menschenrechtsdialog, der eben nicht nur Formeln sind oder sprechen vor tauben Ohren.

    Klein: Merkel übt sich, so könnte man es ja auch formulieren, in der stillen Diplomatie, auch dafür gibt es ja Beispiele, und wie die Geschichte lehrt, kann diese gesichtswahrende Variante mitunter mehr bewirken als das öffentliche Anprangern. Weshalb ist diese Art von Pragmatismus falsch Ihrer Meinung nach?

    Koenigs: Ich glaube, da erreicht man im Augenblick sehr wenig mit. Wenn man mit einer Delegation mit vielen Ministern sehr pompös nach China reist, muss man an dem Punkt auch eindeutig sein. Es gibt starke Widersprüche zwischen der deutschen und der chinesischen Menschenrechtspolitik, übrigens auch, was zum Beispiel so eine Frage wie Syrien betrifft, und das nicht deutlich und öffentlich zu sagen, ist meines Erachtens auch ein Missachten dessen, was die Chinesen ja sehr wichtig nehmen, nämlich dass man klar und eindeutig ist. Die Chinesen sind sehr öffentlich mit ihrer Politik.

    Klein: Sie haben das Stichwort Syrien angesprochen. Das Kalkül der Kanzlerin oder insgesamt der Bundesregierung ist ja offenbar, gerade China als weltpolitischen Faktor, ohne den vieles nicht mehr geht, einzubinden, siehe eben Iran oder Syrien. Daran hat sich die Weltgemeinschaft bisher die Zähne ausgebissen. Ist es eventuell klug, einmal diese Strategie zu versuchen, wenn diese Art der Ausgrenzung bisher nichts gebracht hat?

    Koenigs: Ich glaube, es ist richtig, in Syrien sehr intensiv auch über die Einzelheiten zu reden, denn China hat anders als Russland ja die Widerstandsgruppen, die freie syrische Armee und die anderen syrischen Gruppen, empfangen und ist vielleicht da zu einer mäßigeren Gangart bereit, eher bereit als Russland. Das muss man ansprechen. Man muss aber gleichzeitig auch deutlich sagen, wo die Grenzen der Übereinstimmung liegen, und man muss auch eine öffentliche Politik machen. Das machen die Chinesen auch und das ist auch keine Beleidigung, wenn man das macht.

    Klein: Vor einigen Jahren noch, Herr Koenigs, gerade in Zeiten der Großen Koalition, hat sich die Kanzlerin nach Ansicht von Beobachtern schon als Kanzlerin der Menschenrechte profilieren wollen, auch zum Missfallen anderer in der Regierung. Sie hat zum Beispiel 2007 den Dalai Lama empfangen im Kanzleramt, sehr zum Missfallen Pekings, ist 2008 nicht zu den Olympischen Spielen gereist. Woran machen Sie fest, dass diese Politik die messbar größeren Erfolge erzielt hat?

    Koenigs: Vielleicht geht es gar nicht darum, dass man sofort und messbare Erfolge hat, sondern es geht auch darum, den zahlreichen Menschenrechtsgruppen in China eine Unterstützung zu geben, indem man sagt, das, was eure Regierung da mit euch macht, ist nicht ein stillschweigender Konsens der Weltgemeinschaft, sondern isoliert China. China wird langfristig als großer Player in der internationalen Politik auch an diesem Punkt Rücksicht nehmen müssen, auch an diesem Punkt sich hinterfragen lassen. Das heißt allerdings auch, dass man den Chinesen erlaubt, auch unsere Verhältnisse zu diskutieren. Das muss sehr deutlich auf Gegenseitigkeit beruhen.

    Klein: Europa und insbesondere Deutschland gelten als starke Partner Chinas, dieser Wirtschaftsmacht. Wenn wir uns dauernd fragen, was wir tun können, angesichts der weltweit immer stärkeren Bedeutungen von Staaten wie China im Vergleich zu Europa, wenn wir von der stärkeren Hinwendung der USA zum pazifischen Raum sprechen, erscheint es dann vielleicht gerade geboten, sich eben doch stärker zu engagieren und eben die Betonung mehr darauf zu legen? Ist das Realpolitik möglicherweise?

    Koenigs: Ich glaube nicht, dass das eine Realpolitik ist, die dem entspricht, was wir immer sagen, nämlich eine wertegeleitete Außenpolitik, und es steht, glaube ich, Deutschland und Europa gut an, dass sie die historisch erkämpften Werte auch nach außen hinträgt, und die universelle Erklärung der Menschenrechte ist auch ein Wert, den China immer teilt und auf den sich China auch immer beruft. Und da nun deutlich zu sein, öffentlich zu sein und zu versuchen zu überzeugen, das ist meines Erachtens die Aufgabe eines Partners, der das in Freundschaft und in Frieden voranbringt, und das erwarte ich von der Kanzlerin. In den letzten Jahren war es da stiller als am Anfang ihrer Kanzlerschaft.

    Klein: Herr Koenigs, abschließend: Sind Sie in Ihrer Eigenschaft als Vertreter des Menschenrechtsausschusses gehört worden vor der Reise?

    Koenigs: Nein! Der Menschenrechtsausschuss ist nicht gehört worden und man hat auch in der Öffentlichkeit wenig über die wertegeleitete Reise der Kanzlerin gehört. Ich hoffe, das wird jetzt auf der Reise selbst noch anders.

    Klein: Im Deutschlandfunk heute Morgen Tom Koenigs, der Vorsitzende vom Menschenrechtsausschuss im Deutschen Bundestag, zur heute beginnenden China-Reise der Kanzlerin. Herr Koenigs, danke für das Gespräch!

    Koenigs: Danke Ihnen!

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