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ARD-Vorsitzender Tom Buhrow
"Rundfunkanstalten müssen Prioritäten setzen"

Auch mit einer Rundfunkbeitragserhöhung auf 18,36 Euro werde der Spardruck in der ARD und den Landesrundfunkanstalten nicht abnehmen, sagte der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow im Dlf. "Wir werden wahrscheinlich nicht darum herumkommen, auch im Programm Anpassungen vorzunehmen".

Tom Buhrow im Gespräch mit Christoph Sterz | 04.02.2020
Tom Buhrow sitzt auf dem Podium bei einer Veranstaltung der Internationalen Fachmesse für Kabel, Breitband und Satellit.
Seit Januar 2020 ist WDR-Intendant Tom Buhrow ARD-Vorsitzender. (picture alliance / Horst Galuschka)
Christoph Sterz: Tom Buhrow, Intendant des Westdeutschen Rundfunks, führt seit Anfang Januar die Geschäfte der ARD. Und die ARD, die ist ja ein großer Laden mit neun Landesrundfunkanstalten - vom Bayerischen Rundfunk im Süden bis zum Norddeutschen Rundfunk im Norden. Mit mehr als einem Dutzend Fernsehsender, über 60 Radiosender und vielen Onlineseiten und Apps. Und was das bedeutet, so einem großen Apparat vorzustehen, das bespreche ich jetzt mit Tom Buhrow, live zugeschaltet aus dem WDR Funkhaus in Köln. Guten Tag, Herr Buhrow!
Tom Buhrow: Guten Tag Herr Sterz.
Sterz: Ich hab ja die Größe der ARD schon erwähnt. Wie fällt denn da Ihre vorläufige Bilanz nach einem Monat aus? Lässt sich da überhaupt mit einer Stimme sprechen?
Buhrow: Absolut. Wir haben ja lange Zeit im Logo gehabt "Wir sind eins" und betonen jetzt auch "Wir sind deins" - wir gehören der Bevölkerung. Aber natürlich: es ist ein sehr heterogener, also vielfältiger, Laden. Wir sind kein Konzern, sondern wir sind ein freiwilliger Verbund von völlig unabhängigen Landesrundfunkanstalten. Und das ist aber auch unsere größte Stärke, weil wir eben überall präsent sind in den Regionen und mehr sind als nur Berichterstatter, sondern wir sind richtig Nachbarn für die Leute. Aber man muss sich in jedem einzelnen Punkt zusammenraufen, und keiner kann etwas erzwingen.
"Umweltsau": "Gefühle der Menschen nicht gleichgültig"
Sterz: Nun gab's ja kurz vor ihrem Amtsantritt diese Sache mit der "Umweltsau", also dieses Satire-Lied vom WDR, indem ja der hauseigene Kinderchor eine Oma als "Umweltsau" bezeichnet hat. Hat viel Kritik gegeben, Sie haben sich für das Lied entschuldigt und dann auch wiederum viel Kritik abbekommen, nach dem Motto: Satire ist nun mal Satire und muss dementsprechend auch einfach wehtun. Hat sie all das vorab schon im Amt beschädigt?
Buhrow: Ich glaube, es hat das unterstrichen, was ich als Anspruch auch für die ARD behaupte und mitbringe. Nämlich dass wir bei den Menschen sind, für die Menschen da sind und auch ihre Gefühle nicht einfach gleichgültig nehmen, sondern dass wir ihnen auch ein Signal geben, dass wir nicht nur senden und sie berieseln und schon gar nicht bevormunden wollen, sondern dass wir auch empfangen. Und das wir auch mal Kritik von ihnen empfangen und dann auch mal sorry sagen.
Sterz: Sie haben ja eben vom Zusammenraufen gesprochen, innerhalb der ARD. Da möchte ich gerne anhand der "Umweltsau" noch einmal eingehen drauf. Denn ich persönlich hab nichts gelesen in dieser Zeit von Solidaritätsbekundungen Ihnen gegenüber von irgendeinem Kollegen oder einer Kollegin aus anderen ARD-Intendanzen. Aber kann auch sein, dass ich da was verpasst hab.
Buhrow: Ja, das war ja auch zunächst mal - und auch eigentlich bis heute - ist es ja eine WDR-Angelegenheit gewesen und keine, die jetzt von Zulieferungen aus der ARD betroffen war. Es war eine WDR-Welle, ein WDR-Produkt, eine WDR-Programmentscheidungen gewesen und eine WDR-Intendantenentscheidung auf die Kritik daran zu reagieren. Und insofern gab es jetzt keinen Anlass, auch für irgendwelche Solidaritätsbekundungen.
Beitragserhöhung "kompliziert" und "erklärungsbedürftig"
Sterz: Aber wäre das nicht schön gewesen, da Rückendeckung zu bekommen?
Buhrow: Solidarität ist immer schön. Aber ich gehe davon aus, dass alle Anstalten und alle Senderchefs den Anspruch haben, dass sie nah bei den Menschen sind und sich nicht nur sozusagen an der Medien-Szene ausrichten mit dem, was sie tun und lassen.
Sterz: Wenn jetzt der WDR tatsächlich ein Nachbar ist, so wie sie das ja eben beschrieben haben, dann ist es natürlich auch hilfreich mit diesen anderen Nachbarinnen und Nachbarn ins Gespräch zu kommen. Also mit den Rundfunkbeitragszahlers und mit den Bürgerinnen und Bürgern. Jetzt schreibt die Süddeutsche Zeitung heute, dass sie zur unfallfreien Kommunikation Berater engagiert haben für zwei Jahre, und zwar laut Ausschreibung für insgesamt 580.000 Euro. Und dann kommt noch dazu, dass ihr eigenes Kommunikationsteam deutlich größer ist als das von ihrem Vorgänger im ARD Vorsitz. Ist da also bisher zu schlecht und zu wenig kommuniziert worden mit den Nachbarn.
Buhrow: Nein, überhaupt nicht. Und ich finde es auch nicht gut, wenn man die Vorsitze - das ist ja eine Verantwortung, die man auf Zeit hat - gegeneinander ausspielt oder gegeneinander in Stellung bringt. Jedes Jahr und jede Herausforderung ist unterschiedlich. Wir haben das Beitragsjahr, das heißt das, was sie bekommen als freier Mitarbeiter, das, was ihre festangestellten Kolleginnen und Kollegen bekommen, das, was für unsere Programme an Finanzen zur Verfügung gestellt wird, das wird alle vier Jahre entschieden. Das ist ein sehr komplizierter und auch sehr umstrittener Prozess. Und der ist genau in diesem Jahr. Und da wir seit der Umstellung auf das Beitragsmodell, also auf das Modell "Pro Haushalt wird bezahlt" überhaupt keine Erhöhung mehr hatten, sondern im Prinzip seit elf Jahren nur einmal abgesenkt hatten, den Beitrag, ist das etwas, was sehr, sehr erklärungsbedürftig ist bei den Menschen. Und da müssen wir eine besondere Kraftanstrengung machen.
Sterz: Bevor wir noch auf den Rundfunkbeitrag weiter zu sprechen kommen, würde ich gerne nochmal fragen: Würden Sie denn jetzt nach der "Umweltsau" da nochmal Geld obendrauf legen auf diesen Kommunikations-Topf?
Spardruck: Rundfunkanstalten sollen Prioritäten setzen
Buhrow: Wir haben uns für dieses schwierige Jahr so vorbereitet, dass wir, glaube ich, mit allen Eventualitäten gewappnet sind. Es geht darum, dass man Dinge erklärt. Und es geht auch darum, dass man den anderen Landesrundfunkanstalten hilft, dass auch die Kommunikation untereinander innerhalb der ARD so ist, dass jeder immer weiß, was los ist, egal um was für ein Themas gerade geht. Ich sehe da im Augenblick überhaupt keinen Anpassungsbedarf.
Sterz: Nun wird ja in den nächsten Wochen die Expertenkommission KEF bekannt geben, wie hoch der Rundfunkbeitrag demnächst sein soll für die nächsten vier Jahre. Und da ist die Rede von 18,36 Euro. Mal gucken, ob es dann auch so kommt. Das wäre eine Erhöhung. Sie sagen aber trotzdem: Naja, de facto, durch Rücklagen und so weiter, ist das nicht wirklich eine Erhöhung für uns. Wäre es an der Stelle nicht tatsächlich ratsam, als WDR-Intendant und ARD-Vorsitzender zu sagen: Wir machen jetzt tatsächlich eine große Reform und gucken uns die ARD einmal komplett an und suchen nach großen Sparmöglichkeiten?
Buhrow: Es wird wahrscheinlich überhaupt nicht anders gehen, als dass wir uns die ganze ARD angucken und dass jede Landesrundfunkanstalt auch noch - das wird übrigens Deutschlandfunk auch nicht erspart bleiben - auch noch nach innen guckt und für sich guckt, wie sie sich komplett neu aufstellt und wo sie Prioritäten setzt. Dieser Spagat zwischen 18,36 Euro ist doch erstmal eine Erhöhung, sagt man sich als Beitragszahler. Und trotzdem ist es eigentlich zu wenig. Wie passt das zusammen? Das erklärt gerade, warum es so wichtig ist, dass wir wirklich viel kommunizieren können und müssen dieses Jahr.
Wir hatten durch die Umstellung auf den wohnungsabhängigen Beitrag Mehreinnahmen, weil mehr Leute eingezahlt haben. Das war natürlich solidarisch, weil Leute, die vorher irgendwie durchs Netz geschlüpft waren, jetzt auf einmal mitbezahlt haben. Und dieses Geld, was mehr eingenommen wurde, diente dazu, dass elf Jahre lang der Beitrag stabil war und sogar einmal abgesenkt wurde. Nur jetzt ist alles, was an Mehreinnahmen da war, aufgebraucht. Das war übrigens komplett überwacht von Experten, von der Kommission, von Landesrechnungshöfen etc. Und das war auf Sperrkonten. Also, es war alles ein hochkontrollierter und überwachter Prozess. Und jetzt ist eine Anpassung nötig und insofern: Wir haben im Augenblick 18,35 Euro - alle öffentlich-rechtlichen Anstalten zusammengenommen. Und wenn jetzt 18,36 Euro die Empfehlung der KEF sein sollte, dann bedeutet das im Prinzip: wir müssen auch deutlich weitersparen. Entschuldigung, das ist ein bisschen länger gedauert. Aber das ist gerade ein Beispiel dafür, wie kompliziert es ist.
Gravierende Fehlbeträge bis 2024
Sterz: Und es ist ja so, dass die Öffentlich-Rechtlichen natürlich jetzt auch schon sparen und dass sie gegenüber der Medienpolitik schon seit einiger Zeit Sparvorschläge gemacht haben - wobei die Medienpolitik gesagt hat: das reicht nicht. Sie haben jetzt aber - das möchte ich noch gerne mal vertiefen, gesagt: Ja, wir müssen uns das noch mal angucken. Was bedeutet das denn also? Könnte es sein, dass dann ein paar Radio- und Fernsehsender abgeschafft werden oder vielleicht sogar ganze Landesrundfunkanstalten wie die kleinen? Radio Bremen, Saarländischer Rundfunk?
Buhrow: Bisher galt, - und das wird auch weiter gelten - dass wir das Programm versuchen, weitestgehend zu schonen. Sie haben es ja richtig gesagt: auch bisher wurde schon gespart in den einzelnen Landesrundfunkanstalten, und das wird auch weiter der Fall sein. Nur das, was uns jetzt bevorsteht an - ich nenne es jetzt mal "Unterdeckung", also an Fehlbeträgen in den nächsten vier Jahren bis 2024 - das ist so gravierend, dass mein Vorgänger im ARD-Vorsitz, Ulrich Wilhelm, schon gesagt hatte: wir werden dann wahrscheinlich nicht darum herumkommen, auch im Programm Anpassungen vorzunehmen. Was das für welche sind, das betrifft dann zum Teil jede einzelne Landesrundfunkanstalt. Hörfunk entscheidet sowieso jede Landesrundfunkanstalt für sich. Es wird nicht in der ARD entschieden. Wir können nur entscheiden über das gemeinsame Fernsehprogramm. Und da werden Sie Verständnis haben, Herr Sterz: Ich kann jetzt da keine Liste vorlegen. Weil das wird noch viele, viele, auch schmerzhafte, aber auch ernsthafte Diskussionen erfordern, um da zu Prioritäten zu kommen.
Sterz: Herr Buhrow, ganz kurz zum Schluss noch eine Frage, die die ARD und vor allem den MDR im Moment beschäftigt: Stichwort Semperopernball. Der wird trotz einer umstrittenen Preisverleihung am Freitag übertragen mit Übertragungskosten von über 500.000 Euro. Sollte man das wirklich so machen?
Buhrow: Also da gilt das, was Sie ganz am Anfang mal gefragt haben: Solidarität der Intendanten untereinander. Ich weiß, in welcher schwierigen Entscheidungssituation jetzt der Schwestersender Mitteldeutscher Rundfunk ist. Das ist im Grunde genommen eine sehr, sehr wichtige Veranstaltung für die Region und auch für das ganze Bundesland. Man kann sagen, es hat eine bundesweite Ausstrahlung. Alle damit verbundenen Entscheidungen sind zum Teil ja gar nicht in der Verantwortung der Sendeanstalt, die es überträgt, sondern das machen die Veranstalter. Wie reagiert man darauf? Sehr, sehr schwierig. Und ich bin da jetzt nicht gewillt da Ratschläge von der Seitenlinie aus zu erteilen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.