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Arentz begrüßt Lockerung des Kündigungsschutzes

Lange: Wir wissen noch nicht, welche Überraschungen der Bundeskanzler heute aus seiner rhetorischen Wundertüte holt, wenn er im Bundestag seine Offensivrede hält. Nur in einem Punkt ist seit gestern klar, wohin nach dem Willen der SPD-Führung die Reise gehen soll: zum Kündigungsschutz in Kleinbetrieben. Diese Kleinbetriebe sollen nach dem Willen von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement künftig unbegrenzt Leute mit befristeten Arbeitsverträgen einstellen können, die dann nicht unter das Kündigungsschutzgesetz fallen. Die Kriterien für eine Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen sollen so verändert werden, dass nicht automatisch die jüngeren Beschäftigten gehen müssen. Die Gewerkschaften haben ob dieser Änderungen schon vernehmlich mit den Zähnen geknirscht. Aber wie sieht das der Arbeitnehmerflügel der Union? Am Telefon ist Hermann-Josef Arentz, der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse. Morgen, Herr Arentz.

    Arentz: Morgen, Herr Lange.

    Lange: Nicht so hoch hängen, meinte letztens Wirtschaftsminister Clement, das sei mehr eine symbolische Geschichte, um psychologisch etwas zu bewegen. Sehen Sie das auch so?

    Arentz: Ich glaube schon, dass sich der Kündigungsschutz mittlerweile zu einem Einstellungshindernis verdichtet hat. Gerade bei vielen Kleinbetrieben, und insofern ist es vernünftig, darüber nachzudenken, wie man die Hürde absenken kann, die heute vor der Einstellung neuer Mitarbeiter steht. Wenn es richtig ist, dass das größte soziale Problem in Deutschland die Arbeitslosigkeit von in Wahrheit weit über 6 Millionen Menschen ist, dann müssen wir alles nur Mögliche probieren, mehr Leute in Arbeit zu kriegen, und insofern sage ich, das darf nicht von vornherein alles Tabu sein.

    Lange: Also würde für Sie diese Lockerung des Kündigungsschutzes in Ordnung gehen?

    Arentz: Ich finde, man muss das zumindest ernsthaft erwägen und darüber reden. Ich sehe schon, dass es Befürchtungen geben wird, dass zum Beispiel Betriebe nur noch fünf Leute fest einstellen und dann jede Menge zusätzlich nur noch befristet, aber in der heutigen Situation fände ich es völlig falsch, dazu einfach nur Nein zu sagen. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass man in der Tat darüber nachdenken muss, die so genannte Sozialauswahl flexibler zu gestalten, denn es hilft auch älteren Arbeitnehmern nicht, wenn sie eine Einstellung suchen, dass sie sozusagen kaum mehr kündbar sind, während jüngere Leistungsträger in den Unternehmen schneller gekündigt werden können. Aber es wird ein dritter Punkt hinzukommen müssen - ich bin gespannt, ob Schröder das auch vortragen wird -, nämlich ein Optionsmodell, das zwischen klassischem Kündigungsschutz und einer im vornherein vereinbarten, gesetzlich abgesicherten Abfindungsregelung zu wählen ist. Denn was heute das eigentliche Problem des Kündigungsschutzes ausmacht, ist ja nicht, dass er etwa tatsächlich vor Kündigungen schützt, wie der Name sagt - sonst hätten wir ja nicht so viele Arbeitslose, die gekündigt worden sind -, sondern er garantiert in vielen Fällen wenigstens eine halbwegs vernünftige Abfindung und es ist ein gewisses Willkürverbot da. Diese Abfindungen müssen oft vor den Arbeitsgerichten erstritten werden, und da muss zunächst um Wiedereinstellung geklagt werden, selbst wenn man gar nicht wieder eingestellt werden will, um am Ende eine Abfindung zu bekommen. Das ist ein fürchterlich zeitaufwendiges und bürokratisches Verfahren. Die Arbeitsgerichte sind total überlastet. Die Leute warten teilweise jahrelang auf die Rechtssprechung, und dies alles kann man durch ein Optionsmodell sehr viel einfacher haben.

    Lange: Gut, das ist das Thema Kündigungsschutz. Da scheint sich was zu bewegen. Was erwarten und was befürchten Sie sonst von dieser Reformrede? Sie haben in den letzten Tagen schon vorbeugend vor Sozialabbau gewarnt.

    Arentz: Das bezog sich auf die Ankündigung, dass das Arbeitslosengeld generell nur noch 12 Monate gezahlt werden soll. Das halte ich mit Blick auf ältere Arbeitslose nicht für vertretbar, jedenfalls nicht bei einer Arbeitsmarktsituation, die so ist, wie sie heute ist. Stellen Sie sich einen 57-jährigen Bauarbeiter vor, dem gekündigt worden ist. Der hat nie mehr im Leben eine Chance, eine Anstellung zu finden, mit der Folge, dass er, wenn dieses Modell durchkäme, nach 12 Monaten aus dem Arbeitslosengeld in die Sozialhilfe rutschen würde, denn Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sollen ja zusammengelegt werden, was im übrigen vernünftig und richtig ist. Der wäre dann mit 58 in der Sozialhilfe und müsste dann erst einmal sein ganzes Erspartes verbrauchen, bevor er Unterstützung bekäme und ginge dann zwangsweise mit 60 in die Rente, aber mit 18 Prozent Abschlag auf die Rente, weil er ja vorzeitig in Rente gehen würde. Das darf nicht am Ende eines Arbeitslebens stehen, wenn sich Leute ein Leben lang bemüht haben und gespart haben. Deswegen habe ich gesagt, mit Hinblick auf diese Gruppe, dass es, wo es um Massenentlassungen geht, wo es vielleicht auch um Unternehmenspleiten geht, zutiefst unsozial wäre, und da werden wir auch Widerstand leisten.

    Lange: Aber wenn Sie nun vor Sozialabbau in diesem Sektor warnen, dann muss diese Warnung ja wohl auch an das eigene Lager gehen. Edmund Stoiber, der bayerische Ministerpräsident, will noch ganz anders hinlangen.

    Arentz: Nein, der will überhaupt nicht ganz anders hinlangen, sondern der hat jetzt auch geäußert, er könne sich eine solche 12-Monats-Regelung vorstellen, wobei, wenn ich es richtig sehe, allerdings die überwiegende Mehrheit in der Union - zumindest in der CDU - nicht dieser Auffassung ist. Angela Merkel hat noch vor ein oder zwei Tagen deutlich gemacht, dass eine pauschale Absenkung des Arbeitslosengeldes auf 12 Monate ohne Berücksichtigung des Lebensalters mit uns nicht zu machen ist.

    Lange: Nun gibt es da offenbar Differenzen. Die Bild-Zeitung zitiert heute ein ungenanntes Präsidiumsmitglied Ihrer Partei mit den Worten: Stoiber ist außer Kontrolle. Sie selbst werden mit den Worten zitiert: Die Gegensätze, die Stoiber bisher zu den gemeinsamen Positionen der Union aufbaut, sind nicht sehr hilfreich. Was ist da los in der Union?

    Arentz: Also, zu meinem Zitat ist nichts hinzuzufügen und anonyme Zitate kommentiere ich nicht.

    Lange: Aber offenbar hat sich Stoiber heute in die Bundestagsdebatte eingeschrieben, ohne das vorher mit seinen Parteifreunden abzusprechen.

    Arentz: Das kann ich nicht beurteilen.

    Lange: Das heißt, es hat keinen Streit gegeben oder Sie haben ihn nicht mitbekommen?

    Arentz: Ob da miteinander diskutiert worden ist zwischen denen, die heute über die Frage reden, ob Stoiber redet oder nicht, kann ich Ihnen nicht sagen. Nur, es ist wahrscheinlich, und im übrigen halte ich es auch nicht für verwunderlich, wenn die Parteivorsitzende und Fraktionsvorsitzende der Union zuerst redet und der CSU-Vorsitzende in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident ein ständiges Rederecht im Bundestag als Zweiter hatte.

    Lange: Aber in der Sache. Das, was Stoiber vorstellen will. Es ist die Rede von einem 32-Punkte-Programm. Deckt sich das mit dem, was die Union bisher vertreten hat oder weicht er davon gravierend ab?

    Arentz: Da ich dieses 32-Punkte-Programm nicht kenne, kann ich Ihnen das nicht in jedem einzelnen Punkt sagen. Aber bei der Frage des Kündigungsschutzes, da gibt es schon Unterschiede, denn wir haben ja in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam beschlossen, dass wir nichts an den sogenannten Schwellenwerten ändern wollen, sondern dass wir durch ein Optionsmodell für Betriebe aller denkbaren Größenordnungen den Kündigungsschutz in der Substanz erhalten, aber seinen abschreckenden Charakter für Neueinstellungen beseitigen wollen. Das halte ich auch für vernünftig und daran sollten wir uns auch halten.

    Lange: In den Informationen am Morgen war das Hermann-Josef Arentz. Er ist der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio