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"Armen Haushalten unter die Arme greifen"

Der Strompreisanstieg ist für einkommensschwache Haushalte "deutlich schwieriger zu verkraften als für die Allgemeinheit", sagt Karsten Neuhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Der Ökonom fordert für sie nicht nur Beratung, sondern auch finanzielle Unterstützung, etwa beim Ankauf energiesparender Kühlschränke.

Karsten Neuhoff im Gespräch mit Sina Fröhndrich |
    Sina Fröhndrich: Es sind keine guten Nachrichten für die deutschen Stromverbraucher, denn im nächsten Jahr steht für viele eine deutlich höhere Zahl auf ihrer Rechnung. 240 Energieversorger haben angekündigt, den Strompreis im Durchschnitt um zwölf Prozent zu erhöhen. Der Grund: Die Kosten für die Energiewende, die vor allem die privaten Haushalte tragen müssen. Die stromintensive Industrie ist davon weitgehend befreit.
    Wie könnte besser umverteilt werden? Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung untersucht. Zunächst die Frage an den Ökonom Karsten Neuhoff: Zwölf Prozent also mehr, das klingt viel. Aber welchen Anteil machen die Stromkosten bei den Ausgaben der privaten Haushalte eigentlich aus?

    Karsten Neuhoff: Wir haben uns erst mal angeschaut, wie sich die Strompreise in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben, um einfach mal festzustellen, welche Kosten entstehen für private Haushalte. Und da war zum Beispiel in den 80er-Jahren für private Haushalte ein Kostenposten von 2,3 Prozent ihrer Konsumausgaben, die sie für Strom verwenden mussten, und mit dem Anstieg, der jetzt nächstes Jahr ansteht, wird dieser Anteil auf 2,5 Prozent der Haushaltsausgaben steigen. Das heißt, im Durchschnitt sind die Kosten nicht viel höher, als sie noch vor 20, 30 Jahren waren. Allerdings ist es das spezifische Haushaltssegment, das sich für die sehr armen Haushalte die Situation ein wenig anders darstellt.

    Fröhndrich: Sie haben es schon angesprochen: gerade die einkommensschwächeren Haushalte müssen eher draufzahlen. Wie genau äußert sich das dann in den Zahlen?

    Neuhoff: Während bei dem durchschnittlichen Haushalt zweieinhalb Prozent der Konsumausgaben für Stromkosten verwendet werden, ist das bei den Armen 4,5 Prozent. Damit ist natürlich jeder Strompreisanstieg für dieses Haushaltssegment auch deutlich schwieriger zu verkraften als für die Allgemeinheit.

    Fröhndrich: Sie haben jetzt analysiert und Vorschläge gemacht, wie man genau darauf reagieren kann, wie auch besser umverteilt werden kann. Wie denn zum Beispiel?

    Neuhoff: Zunächst einmal werden ja viele arme Haushalte durch Sozialhilfe, durch BAFÖG oder auch durch Wohngeld bereits im Transfersystem gefördert. Das heißt, hier könnte man recht einfach und unbürokratisch die Fördersätze anheben, um zu kompensieren für diese ansteigenden Stromkosten. Das Zweite und vermutlich effektivste und auch nachhaltigste wäre, diese Haushalte bei der effizienteren Verwendung von Strom zu unterstützen. Wenn sie einen Anstieg von fünf bis zehn Prozent der Stromkosten haben und die Effizienz um 10 oder 15 Prozent steigern, dann fallen sogar die Kosten insgesamt für die Haushalte. Und hier gibt es einige Programme bereits, mit denen Haushalte beraten werden können: wie kann ich Strom besser einsetzen, wo sind die Stromräuber, wie kann ich vielleicht statt Standby ausschalten, wie kann ich meinen Kühlschrank so aufstellen, dass er möglichst wenig Strom verbraucht. Aber große Einsparungen sind oft mit Investitionsmaßnahmen verbunden, und hier wäre es hilfreich, dass gerade den armen Haushalten bei dem Ersatz von alten ineffizienten Kühlschränken geholfen werden könnte.

    Fröhndrich: Wie könnte das ablaufen, weil das ist ja genau das Problem? Neue Geräte anschaffen, ist kostenintensiv.

    Neuhoff: Rund die Hälfte der Kühlschränke in Deutschland sind mehr als fünf Jahre, ein Viertel sogar mehr als acht oder neun Jahre alt. Wenn man diese mit neuen Kühlschränken austauscht, dann kann man 40 bis 70 Euro pro Jahr sparen. Damit kann man den neuen Kühlschrank, wenn er so 300 Euro kostet, auch innerhalb von acht oder neun Jahren amortisieren. Aber natürlich ist das sehr viel schwieriger für einen armen Haushalt, der vielleicht das Geld nicht so zur Verfügung hat. Und hier hatten wir uns überlegt, dass man mit einer Unterstützung von vielleicht 150 Euro bei einem Kauf von diesen neuen Kühlschränken armen Haushalten unter die Arme greifen könnte, und dann lohnt sich dieser Austausch schon eher als nach drei Jahren und danach haben die Haushalte dann wirklich eine deutlich günstigere Energierechnung.

    Fröhndrich: Beratung und finanzielle Unterstützung sind das eine. Schauen wir noch mal auf den gesamteuropäischen Strommarkt, auf den Strommarkt der Europäischen Union. Energiekommissar Oettinger möchte insgesamt mehr Wettbewerb auf dem europäischen Strommarkt erreichen und erhofft sich dadurch auch günstigere Strompreise für die Verbraucher. Was halten Sie davon?

    Neuhoff: Insgesamt finde ich es sehr wichtig, dass wir auch unsere Energiewende europäisch denken. Ich glaube, wenn wir europaweit im Austausch stehen mit den verschiedenen Ländern, dann können wir flexibel die Wind- und Sonnensituation in verschiedenen Regionen ausnutzen. Und hier wurde ein erster Start gemacht mit dem dritten Energiemarkt-Paket, die Märkte, die Großhandelsmärkte besser zusammenzuschalten. Hier ist aber noch sehr viel Engagement gefordert und ich glaube, hier geht es insbesondere um eine bessere Gestaltung, Ausgestaltung des Marktes auf der Großhandelsseite: wie kann Engpass-Management, die Einnahmen davon verwendet werden, um für Konsumenten nachher die Kosten zu reduzieren, wie kann eine engere Zusammenarbeit der Netzbetreiber zwischen verschiedenen europäischen Ländern gefördert werden, um damit den Betrieb des Systems günstiger und effizienter zu gestalten.

    Fröhndrich: Soweit Karsten Neuhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, mit dem ich vor der Sendung gesprochen habe.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.