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Ármin Langer
Ein Jude in Neukölln

Ármin Langer war Rabbinerstudent. Dann bezeichnete er den Zentralrat der Juden als "rassistisch". Nun ist er kein Rabbinerstudent mehr. In seinem Buch: "Ein Jude in Neukölln - Mein Weg zum Miteinander der Religionen" erzählt er davon. Außerdem kritisiert er darin jene, von denen er meint, sie würden den Islam pauschal kritisieren.

Von Johannes Nichelmann | 19.09.2016
    Ármin Langer ist auf einer Straße in Neukölln zu sehen
    Der jüdische Ungar Armin Langer im Berliner Bezirk Neukölln - zu Beginn eines Flashmobs gegen antisemitische Hetze. (picture alliance / dpa / Foto: Wolfgang Kumm )
    Ármin Langer, 26 Jahre alt, sitzt in einem Café in seinem Berliner Kiez, in Neukölln. Im letzten Jahr warf er öffentlich dem Präsidenten des Zentralrates der Juden, Joseph Schuster, Rassismus vor. Schuster war im November vergangenen Jahres in der Zeitung "Die Welt" gefragt worden, ob er die Integration muslimischer Einwanderer für gelungen halte. Schuster antwortete: "Wenn ich mir die Orte in Europa anschaue, in denen es die größten Probleme gibt, könnte man zu dem Schluss kommen, hier handele es sich nicht um ein religiöses Problem, sondern um ein ethnisches." Der damals 25-jährige Rabbinerstudent Ármin Langer kommentierte dies in der "Tageszeitung" mit den Worten: "Mein Vorschlag wäre, dass sich der Zentralrat der Juden zum Zentralrat der rassistischen Juden umbenennt". Vom Vorwurf zum Rauswurf: Langer musste im Anschluss seine Ausbildung zum Rabbiner beenden. Zumindest vorerst.
    "Ich bewerte diesen Ausdruck übrigens weiterhin als rassistisch. Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Antisemitismus, was auch immer, ist keine Frage von Ethnie, es ist eine Frage von soziokulturellen Umständen, Erziehung, was auch immer. Aber nicht von Ethnie. Aber es war ein Fehler, ihn, beziehungsweise den Zentralrat der Juden an sich als rassistische Vereinigung zu bezeichnen, nur wegen dieses einen unglücklich formulierten Ausdrucks."
    Der Kommentar in der Berliner "Tageszeitung" war nicht der erste Text von Ármin Langer, der innerhalb der Jüdischen Gemeinde für Diskussionen sorgte. Ein Jahr zuvor veröffentlichte er im Tagesspiegel einen Kommentar mit der Überschrift "Muslime sind die neuen Juden". Darin forderte er, Juden sollten sich solidarisieren mit Muslimen, da sie in Deutschland benachteiligt seien.
    "Wir übernehmen auch ganz viele Diskurse von dem Mainstream - unter anderem auch Rassismus - und ich finde das persönlich auch ganz problematisch. Wenn es eine Gruppe in unserer Gesellschaft gibt, die es wissen sollte, wie es sich anfühlt, Ziel von Rassisten zu sein, dann sind wir es."
    Muslime - die neuen Juden?
    In dieser Woche erscheint im Aufbau-Verlag Ármin Langers erstes Buch "Ein Jude in Neukölln". Der Titel soll ein Zeichen setzen gegen die No-Go-Area-Rhetorik von Politikern und Medienmachern. Obschon in Neukölln viele Muslime wohnten, könne man sich hier sehr wohl als Jude oder als Frau oder als Homosexueller unbehelligt bewegen – sagt der Autor. Dennoch: Die Kritik an seinen Thesen habe er sich zu Herzen genommen. So hat er darauf verzichtet, seinem knapp 300 Seiten starken Buch den Titel zu geben: "Muslime sind die neuen Juden"
    "In Deutschland habe ich gelernt, etwas tiefer zu stapeln. In meinem Herkunftsland Ungarn, wo alle sowieso schon zerstritten sind, würde dieses Buch vielleicht in der provokanteren Variante erscheinen. Aber auch ich habe gelernt, mich hier in Deutschland den Gepflogenheiten anzupassen."
    Ármin Langer weiß, wie Provokation funktioniert. Die Redakteurin der "Jüdischen Allgemeinen", Ayala Goldmann, warf ihm Ende 2015 vor, sich mit seinen damals 25 Jahren zu wichtig zu nehmen. Sie zweifelte an seinem politischen Instinkt.
    "Ich abonniere die 'Jüdische Allgemeine'. Das heißt: Ich bekomme jede Woche diese Zeitung, und ich bekomme auch so ungefähr mit, was für ein Narrativ das 'jüdische Establishment' in Deutschland treibt - und mein Eindruck ist, dass dieses Narrativ nicht der Gegenwart entspricht. Das ist sehr stark von der Vergangenheit geprägt. Und ich glaube, daran sollten wir echt arbeiten."
    Keine natürliche Feindschaft zwischen Juden und Muslimen
    Langer ist aufgewachsen in Ungarn, er ist nicht religiös erzogen und hat in Budapest Philosophie studiert. In seinem Buch arbeitet sich der Student an allem ab, was ihn stört in der Debatte um Integration, Antisemitismus und Islam. So kritisiert er den ehemaligen SPD-Bürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky für dessen scharfe Rhetorik oder sagt über den Psychologen und Buchautor Ahmad Mansour, er nerve, weil er alle Fehler und Probleme der Welt nur bei Muslimen sehe.
    "Die Debatten, die Ahmad Mansour in der Öffentlichkeit führt, sollte er meiner Meinung nach nicht in der Öffentlichkeit führen, sondern eben in den muslimischen Communitys; und man soll eben nicht nur über Antisemitismus unter Muslimen reden oder nur über Frauenfeindlichkeit unter Muslimen, sondern man soll über Frauenfeindlichkeit im Allgemeinen reden. Das ist ja kein muslimisches Phänomen - oder Antisemitismus ist kein muslimisches Phänomen. Es gibt Antisemitismus unter Muslimen, aber auch unter Nicht-Muslimen."
    Einen starken Fokus richtet Ármin Langer in seinem Buch auf die Arbeit in der von ihm mitbegründeten Salaam-Schalom Initiative. Sie soll Muslime und Juden näher zusammenbringen. Und deutlich machen, dass es zwischen den Anhängern der beiden Weltreligionen keine natürliche Feindschaft gebe.
    Das einfach zu lesende und gut geschriebene Buch "Ein Jude in Neukölln" wirkt stellenweise wie eine Abrechnung mit allen, die in der Vergangenheit nicht an Ármin Langer geglaubt haben. Der Publizist ist klug, ambitioniert und selbstbewusst – seine ehemalige Ausbildungsstätte nennt das "fehlendes Fingerspitzengefühl". Der Rauswurf aus dem Abraham-Geiger-Kolleg hat ihm zu noch größerer Aufmerksamkeit verholfen. Richtig genießen kann er das momentan aber nicht.
    "Ich bin eigentlich nach Deutschland gekommen, aus Ungarn, um hier eine Ausbildung zum Rabbiner zu absolvieren. Jetzt werde ich das wahrscheinlich anderswo fortsetzen müssen, obwohl ich Berlin nicht verlassen will und auch Deutschland nicht verlassen will. Also, es ist für mich total unangenehm. Ja."