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"Armstrong hat dem Verband Geld gegeben"

Die Tour de France steht vor der Tür - und Lance Armstrong in den Pedalen. Obwohl der Texaner quasi des Dopings überführt wurde, fasst er dieses Jahr seinen achten Toursieg ins Auge. Pierre Ballester, früherer Radsportspezialist der französischen Sportzeitung L Équipe, erklärt, warum er wieder antritt.

Christoph Heinemann im Gespräch mit Pierre Ballester | 03.07.2009
    Pierre Ballester: Einmal wegen des sportlichen Einsatzes – jemand wie er, mit seinem Ego, kann seinen Ehrgeiz nur darauf richten, die Tour de France zum achten Mal zu gewinnen. Es gibt aber außerdem andere Gründe: Er möchte die Menschen für den Kampf gegen den Krebs sensibilisieren, oder besser gesagt: für seine Stiftung sensibilisieren, über die es einiges zu sagen gibt. Er könnte auf diese Weise den Status einer öffentlichen Persönlichkeit erwerben, eine Art Bruce Willis, der den Planeten vor dem Krebs rettet. Das wiederum würde seine politischen Ambitionen legitimieren. Er hat nie abgestritten, dass er sich 2014 für eine Kandidatur um den Posten des Gouverneurs von Texas interessiert.

    Heinemann: Was gibt es über seine Stiftung zu sagen?

    Ballester: Jenseits der Untersuchungen der rein sportlichen Seite und der Tatsachen des Dopings – es handelt sich hier nicht um Verdächtigungen, sondern um erdrückende Tatsachen: es gibt mehr als 20 Zeugenaussagen – gibt es die geschäftliche, und die besteht vor allem in seiner Krebs-Stiftung. Und die funktioniert nicht ganz einwandfrei: es gibt einen nicht-lukrativen Teil, wie bei allen Stiftungen, die diesen Namen verdienen, und seit dem letzten Sommer einen gewinnbringenden Teil. Das kann zu einem Durcheinander führen: die Zuwendungen eines großzügigen Spenders können direkt in Lance Armstrongs Tasche fließen und nicht in den nicht-lukrativen Teil.

    Heinemann: Herr Ballester, der internationale Radsportverband UCI und die Französische Antidoping-Agentur AFLD wollen die Dopingkontrollen diesmal gemeinsam durchführen. Wird die Tour 2009 die am besten kontrollierte werden?

    Ballester: Das wissen wir erst hinterher, darüber kann man nicht spekulieren. AFLD und UCI werden auf dem Papier zusammenarbeiten. Die AFLD hat ihre Fähigkeit bei der vergangenen Tour 2008 unter Beweis gestellt, als sie allein die Kontrollen, die Kontroll-Methoden und die Auswahl festgelegt hat. Ich bin nicht vollkommen davon überzeugt, dass der französischen AFLD die Kontrollen überlassen werden, dass sie die verdächtigen Proben heranziehen kann. Selbst wenn dies die am besten kontrollierte Tour wird, heißt das nicht, dass Doping nicht doch noch eine rosige Zukunft hat, wenn man sich die vielen Produkte anschaut, die noch nicht nachgewiesen werden können und die auf dem Markt sind: die vielen EPO-Produkte, da gibt es 70 bis 80 verschiedene, davon kann man vier oder fünf nachweisen. Und natürlich die Tendenz der letzten Jahre: der Rückgriff auf Eigenblut-Transfusionen.

    Heinemann: Welche Folgen hätte es, wenn die französische Antidoping-Agentur nicht eigenverantwortlich handeln könnte, wären die Kontrollen, die der internationale Radsportverband durchführt, weniger wirkungsvoll oder weniger verlässlich?

    Ballester: Was die wissenschaftliche Arbeit betrifft, sind sie vollkommen zuverlässig. Man kann die Effizienz, die Kompetenz und die Expertise der Anti-Doping-Kommission des Internationalen Radsportverbandes nicht in Frage stellen. Diese Leute sind hervorragend. Auf der Entscheidungsebene liegt das Problem, bei der Führung des Verbandes: Wollen sie kommunizieren und die Unterlagen weitergeben? Es gibt nicht den einheitlichen Willen, Doping zu bekämpfen. Das ist nicht die Priorität. Das Wichtigste ist das Business.

    Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, ein Gespräch mit dem französischen Radsportjournalisten Pierre Ballester. Lance Armstrong hat den Krebs besiegt. Darf er Medikamente nehmen, die durch die Doping-Regelungen verboten sind, profitiert er von einer Ausnahmeregelung?

    Ballester: Meines Wissens erholte er sich sehr schnell von seiner Krankheit. Vier Monaten nachdem in seinem Körper Metastasen entdeckt wurden, saß er im Januar 1997 auf dem Rad, um das Team Cofidis durch ein hartes Training zu führen. Wenn während der Chemotherapie und der Rekonvaleszenz EPO zum Einsatz kam, wäre das normal und gerechtfertigt. Aber zu diesem Verfahren gehört, dass es irgendwann endet. Die Krebserkrankung ist geheilt, also bedarf es keines Epos mehr. Die Krankheit hat ihm die Türen zu einer auf sehr hohem Niveau angesiedelten medizinisch-wissenschaftlichen Umgebung geöffnet. Und dadurch hatte er Zugang zu Praktiken, die vor zehn Jahren noch nicht bekannt waren.

    Heinemann: Doping-Praktiken?

    Ballester: Zu diesem Schluss kann man kommen. Er ist mit zwei Doping-Fällen konfrontiert worden. In einem ging es um Epo. Er hat auf hochentwickeltes Doping zurückgegriffen, das Doping der Reichen, das für einen Riss und einen Bruch in der Sporthierarchie sorgt.

    Heinemann: Herr Ballester, nach allem, was Sie gesagt haben: wieso darf Armstrong abermals an der Tour de France teilnehmen?

    Ballester: Das hat zunächst mit dem Internationalen Radsportverband UCI zu tun: Lance Armstrong wurde nicht wie alle anderen behandelt. Armstrong hat dem Verband Geld gegeben, wofür, weiß er selbst nicht. Der Verband hat in immer protegiert. Und er ist der Einzige – alle anderen sind gefallen. Dabei geht es um Macht, um Geld und Arrangements unter den Mächtigen. Das andere ist die ASO, die Organisation, die die Tour veranstaltet. Die hätte ihn wegen der Verletzung des Ansehens der Tour de France ablehnen können. Aber da zählten dann einmal mehr die Lobbyarbeit, die Kontakte, die mediale Aufmerksamkeit, die der Tour de France durch ihn zuteil wird, mit den Geschäften, die sich daraus ergeben können. Das hat dazu geführt, dass alle den roten Teppich ausgerollt haben. Die größten Opfer sind der Radsport, der zusätzlich sportliche Glaubwürdigkeit einbüßen wird, die Tour de France und generell: der Sport.

    Heinemann: Der französische Radsportjournalist Pierre Ballester.