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Arnold: Verteidigungsminister handelt "grob fahrlässig"

Die jüngsten Äußerungen von Verteidigungsminister Franz Josef Jung und Innenminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) zur Terrorabwehr stoßen beim Koalitionspartner SPD auf Kritik. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, sagte im Deutschlandfunk, Jung verhalte sich grob fahrlässig, wenn er ankündige, ein entführtes Flugzeug notfalls abschießen zu lassen. Kritisch äußerte sich Arnold auch über Innenminister Schäuble und dessen Warnung vor einem nuklearen Anschlag.

Moderation: Elke Durak | 17.09.2007
    Elke Durak: Am Telefon ist Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Arnold, der Bundesverteidigungsminister will Terrorflugzeuge abschießen, auch wenn Zivilisten an Bord sind, also gegen ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Seine Begründung: ein Recht des übergesetzlichen Notstands. Ruft er zum Verfassungsbruch auf, noch dazu ihm Untergebene, denn die Offiziere würden ja letztlich belangt?

    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen Frau Durak.

    Ja, es ist nicht machbar was er sagt und ich finde es grob fahrlässig, dass er hier wild spekuliert. Das Verfassungsgericht sagt eindeutig, Artikel 1 unserer Verfassung, der Schutz der Menschenwürde, verbietet die Abwägung Menschenleben gegen Menschenleben. Und er bringt in der Tat auch die Piloten der Tornados, die sehr nachdenkliche Soldaten sind, in große Gewissenskonflikte. Diese Debatte ist nicht zulässig und sie ist auch falsch, weil es weder eine rechtliche Möglichkeit gibt - Artikel 1 unserer Verfassung ist eben unabänderlich -, und sie ist auch politisch falsch, weil er keinerlei parlamentarische Unterstützung für derartige Vorschläge hat.

    Durak: Der Bundesverteidigungsminister sagt das ja nicht ohne Grund. Vermutlich will er die SPD etwas unter Druck setzen, denn die Union sagt, es fehlt an einem echten Luftsicherheitsgesetz, weil Sie, die SPD, nicht wollen. Weshalb?

    Arnold: Diese Vermutung ist überhaupt nicht richtig. Wir sind ja bereit, dieses kleine Fenster, das das Verfassungsgericht geöffnet hat, auch rechtlich zu regeln, und das lautet: Dort wo die polizeilichen Mittel enden, in der Luft und auf See innerhalb der 12-Meilen-Zone, können wir uns sehr wohl vorstellen, dass die Bundeswehr dann auch mit militärischen Mitteln eingreifen darf. Aber es wird nicht zulässig sein können nach dem Urteil, dass zivile unschuldige Menschen von staatlichen Organen umgebracht werden. Aber wir sind bereit, dieses kleine Fenster zu regeln, und die Aufgabe des Verteidigungsministers und des Innenministers wäre, hier endlich mal einen sehr konkreten Gesetzesvorschlag zu machen, über den wir dann reden können. Aber stattdessen wird immer ins Ungenaue hinein neu spekuliert und eine unnötige Debatte immer wieder neu aufgeheizt.

    Durak: Das heißt würde Herr Jung einen solchen Gesetzesvorschlag noch in dieser Woche - da reden sie ja ohnehin über Afghanistan - vorlegen, könnte es sofort diskutiert werden?

    Arnold: Das kann selbstverständlich diskutiert werden und in meiner Fraktion sind wir übrigens nachdem der Innenminister und der Verteidigungsminister nichts Konkretes auf den Tisch legt in der Debatte eigentlich weiter. Wir können uns schon vorstellen, wie hier die notwendigen gesetzlichen Änderungen aussehen.

    Durak: Der Bundesinnenminister hat vor Terroranschlägen mit Nuklearwaffen gewarnt. Ob, sei nicht mehr die Frage, sondern wann. Das macht Angst finde ich, obwohl er gleichzeitig beruhigt und zu Gelassenheit aufruft. Worauf sollen wir uns nun einstellen, Herr Arnold?

    Arnold: Ich weiß nicht so richtig, wo der Innenminister mit dieser Debatte hin will. Ängste schüren ist der falsche Weg. Die Menschen in Sicherheit wiegen wäre ebenso falsch. Aber wenn er von nuklearen Anschlägen spricht, stellen die meisten Menschen sich ja vor, dass hier eine Atombombe gezündet wird, und das ist völlig absurd. Es gibt keinerlei Indikatoren, dass diese Risiken bestehen. Es gibt terroristische Risiken die lauten, es können herkömmliche Sprengstoffanschläge mit nuklearem Material vermischt werden, also eine so genannte schmutzige Bombe. Dies alles ist nicht völlig auszuschließen, aber hierüber zu spekulieren halte ich für nicht angesagt. Ich habe so langsam den Eindruck, dass der Verteidigungsminister und der Innenminister hier auch Bande gemeinsam spielen und möglicherweise ganz andere Ziele verfolgen, ...

    Durak: Welche denn?

    Arnold: ... weil sie ja wissen, was ist mit den Sozialdemokraten möglich, was ist aber auch mit den Sozialdemokraten nicht möglich im Deutschen Bundestag, und immer wieder Vorschläge auf den Tisch legen, die keine Realisierungschance haben. Die zeigen mir eigentlich, es geht eher um politische Strategie, statt um konkretes, dann tatsächlich die Menschen schützendes.

    Durak: Und wie schützen wir uns vor schmutzigen Bomben?

    Arnold: Ich denke die letzten Anschlagsversuche haben gezeigt, wie wir uns letztendlich schützen: über eine sehr, sehr gute und verbesserte Zusammenarbeit aller Sicherheitsorgane, auch über die nationalen Grenzen hinweg. Das ist der beste Schutz. Absoluten Schutz vor Selbstmordattentätern wird es nicht geben. Das zeigen leider die erschreckenden Beispiele in vielen Teilen der Welt.

    Durak: In dieser Woche liest der Bundestag, also die Abgeordneten. Sie beschäftigen sich in erster und zweiter Lesung mit den Afghanistan-Mandaten ISAF und Tornados. Mitte Oktober kommt es dann zum Schwur, dritte Lesung. Im November dann wird es um das OEF-Mandat gehen, also für die von den USA geführte Anti-Terror-Operation Enduring Freedom. Die SPD-Führung ist für die Fortsetzung von OEF, nicht aber wohl die ganze Basis, insbesondere die Linken nicht. Bei den Grünen - das haben wir am Wochenende erlebt - sind Vorstand und Fraktionsführung grandios gescheitert an der Basis und gleich an allen Mandatsverlängerungen. Erwartet die SPD-Führung auf ihrem Parteitag Ende Oktober Ähnliches, was OEF betrifft?

    Arnold: Ich denke die Debatte um OEF wird in unserer Partei nicht einfach werden. Hier gibt es sehr, sehr kritische Fragen, weil es eben ein Anti-Terror-Mandat ist, das ausschließlich von den amerikanischen Partnern geführt wird und wir auch keinen großen Einblick in die Aufgaben bei OEF haben. Hier gibt es weitere kritische Fragen. Die werden ausdiskutiert und ich stelle mir schon vor, dass uns die Bundesregierung auch Brücken baut, diese Sorgen aufnimmt und Vorschläge macht, wie auf einer mittleren Zeitschiene OEF verändert beziehungsweise in Teilen auch auslaufen kann, oder wie Teile von OEF, vor allen Dingen diese Ausbildungskomponente zukünftig vom NATO-eindeutig mandatierten UNO-Mandat ISAF übernommen werden können. Ich denke die Bundesregierung sollte unsere Sorgen ernst nehmen. Dann sehe ich aber auch eine Chance, dass wir gemeinsam auch OEF mandatieren.

    Bei ISAF und bei den Tornados ist es ganz eindeutig. Die Sozialdemokraten sehen, dass man hier mehr tun muss statt weniger in Afghanistan, um dort voranzukommen.

    Durak: Sie sprechen aber schon über die Bundesregierung, zu der die SPD gehört?

    Arnold: Natürlich spreche ich über diese Bundesregierung und deshalb sind wir ja auch mit der Regierung über die Fragen von OEF seit Wochen in einem sehr ernsthaften Diskussionsprozess.

    Durak: Ich verstehe nur irgendwie nicht diese Trennung zwischen SPD-Fraktion und Regierung. Aber gut! - Ein anderes Thema noch, ein wichtiges Thema finde ich: Der Bundespräsident hat letzte Woche das Bundeswehrführungspersonal aufgefordert, also Offiziere, sie sollten sich mehr und drängender an der öffentlichen außen- und sicherheitspolitischen Debatte beteiligen. Offiziere sollten mit anderen Führungspersönlichkeiten in den Dialog treten. Das entspricht doch ganz der Vorstellung vom Staatsbürger in Uniform oder?

    Arnold: Wenn der Bundespräsident meint, dass die Soldaten als Staatsbürger sich engagieren und an den gesellschaftlichen Debatten teilnehmen, sich auch auf lokaler Ebene organisieren, dann hat er völlig Recht. Wenn der Bundespräsident allerdings damit meint, es gibt eine militärische Elite, die eine geschlossene Position vertritt und quasi mit der Autorität der Uniform öffentliche Debatten mitbestimmt, dann wäre das sicherlich der falsche Ansatz.

    Durak: Weshalb?

    Arnold: Es ist deshalb der falsche Ansatz, weil er unterstellt es gibt eine gemeinsame Position der Führung, etwa der Führungsakademie der Bundeswehr, also der zukünftigen Führung der Truppe in diesen Fragen. Und die Bundeswehr ist auch deshalb stark und die Prinzipien der inneren Führung sind deshalb fest verankert, weil sie das gesamte gesellschaftliche Feld widerspiegeln. Sehr unterschiedliche politische Grundeinstellungen haben eben auch die Soldaten. Dies ist gewünscht und richtig.

    Durak: Haben Sie Angst vor einer einheitlichen Meinung der Bundeswehrführung?

    Arnold: Nein, davor hätte ich überhaupt keine Angst. Ich weiß aber in vielen Gesprächen mit den Soldaten, dass hier sehr, sehr unterschiedliche Bewertungen formuliert werden. Das finde ich gut und die Soldaten sollen sich auch beteiligen. Aber noch einmal: als Staatsbürger und nicht als Soldat, der qua Amt hier Positionen vertritt.

    Durak: Aber qua Erfahrung?

    Arnold: Ja natürlich wird jeder Staatsbürger, der in der gesellschaftlichen Debatte involviert ist, immer vor seinen persönlichen und vor seinen beruflichen Hintergründen diskutieren. Das ist aber eine Selbstverständlichkeit.

    Durak: Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Arnold, danke fürs Gespräch!

    Arnold: Danke auch. Schönen Tag!

    Durak: Auf Wiederhören!