Samstag, 11. Mai 2024

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Arrangements mit Posaune, Akkordeon, Schlagzeug und Klavier

Der Autor Michael Batz, früher im Leitungsteam der Kampnagelfabrik, der Musiker Markus Voigt und die Regisseurin Franziska Steiof haben sich den Hafen als Thema ausgesucht und den Strukturwandel dieses Mikrokosmos thematisiert.

Von Michael Laages | 25.01.2013
    Bei "Tante Jasmine" sind alle zu Hause, irgendwie - Smit Stülken, der Schauermann, der einst Stück für Stück die Schiffe entlud (und sich dabei gleich vier verschiedene Typen tödlichen Hustens erwarb) und Muschel, der sich ein Leben ohne die gute alte Sackkarre (mit der er die angelandete Ware berufslebenslang über die Kais transportierte) noch überhaupt nicht vorstellen kann. Greta, die Arbeiterin, die sich in der Fischfabrik den Rücken kaputt gekrümmt hat und die schöne junge Frau, die im abgewrackten Kino arbeitet und hin- und hergerissen ist zwischen den ungleichen Brüdern Rick, dem Containerstrategen mit der Zukunftsvision und Cord, der mit dem Stückgutschuppen wie vor 100 Jahren zu überleben hofft. Einer schließlich wurde wie Mose im Schilfkahn am Wasser gefunden, ist aufgewachsen in Jasmines Kneipe und lebt jetzt da.

    "Kannsema" ist das Faktotum getauft worden: "Kannsema dies machen, kannsema das machen ... " - dafür ist er da. Und obwohl er nicht singen kann, möchte er so gern in den Chor der Hafenarbeiter.

    Schließlich kriegt die urige Type tatsächlich die ersehnte Hafenarbeiterjacke, und in den Chor darf er auch - wenn auch nur zum Kaffee kochen. Muschel kann sich Greta erklären und übernimmt mit ihr Jasmines Laden, jetzt "Chez Greta"; Smit Stülken segelt zur Insel Tumor (nein, nicht Timor - Tumor) und hustet sich zu Tode. Die Schöne aus dem Kino flieht nach Lappland vor den streitenden Brüdern, und der Traditionalist steckt den eigenen Schuppen in Brand ... in diesen ebenso finster-fatalen wie leicht von Hoffnung aufgehellten Miniaturen erzählen Michael Batz und Franziska Steiof vor allem vom Strukturwandel der Hafenwirtschaft, die mittlerweile fast ausschließlich auf Container setzt und dafür nicht nur die Elbe immer weiter vertiefen will, sondern die Mehrzahl der Fachkräfte von früher gar nicht mehr braucht. Vor geraumer Zeit gingen ja die verbliebenen Hafenarbeiter auf die Straße und kämpften um den Erhalt der Arbeitsplätze - auf ziemlich verlorenem Posten, wie es schien. Längst dominieren die monströsen Containerterminals den Hafen, und weite Gebiete des alten Terrains haben sich in hochpreisige Wohnzonen verwandelt, neue Kneipen- und Unterhaltungsmeilen inklusive. "Chez Greta" eben - die Elbphilharmonie (falls sie denn irgendwann tatsächlich mal fertig und eröffnet werden sollte) wird in diesem neuen Hafen liegen.

    Gut: All das ist Politik, Abteilung Soziales und Raumordnung, aber wird denn auch Theater draus? In Hamburg diesmal ja - weil Steiof und Batz die kleinen privaten Geschichten von Alltag und Überleben, Wandel und Untergang ganz unaufwendig als Beispiel nehmen fürs Große und Grobe und Ganze. Manchmal treibt's das Autorenduo zwar leicht aus der Kurve (wenn für den moderneren der Schuppenchefs auch noch eine Minifabel aufgeplustert wird, die von toten "Boatpeople" und über Bord gegangenen Matrosen handelt) - aber Markus Voigt und die drei Musiker holen die Story immer zurück ans Hafenbecken. Für die Arrangements mit Posaune, Akkordeon, Schlagzeug und Klavier hat der Komponist gut und genau zugehört zum Beispiel bei Tom Waits - und das Ensemble um Kannsema und Konsorten findet auch jenseits der Musik den durchweg starken Ton zwischen Sentimentalität und Tanzboden, Schmerz und Spaß.

    Hamburgs Schauspielhaus hatte es nicht leicht in den zurückliegenden sieben Jahren - und jenseits der näheren Nachbarschaft wird es seit geraumer Zeit nachgerade ignoriert. Das ist sehr ungerecht - mit dieser "Hafenballade" jedenfalls zeigt sich das Theater kurz vor Intendanz- und Richtungswechsel noch einmal von der sympathischsten Seite.