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Arthur Koestler: "Der Sklavenkrieg"
Das Gesetz des Umwegs

2016 stieß ein Literaturwissenschaftler im Archiv des KGB auf ein Typoskript. Es war die Urfassung des Romans "Der Sklavenkrieg" von Arthur Koestler. Der Roman spielt im Spartakus der Antike - und diskutiert die Bedingung eines revolutionären Aufstands.

Von Hans von Trotha | 07.12.2021
Der Schriftsteller in seinem Büro während er sich eine Zigarette anzündet und das Cover zu seinem Roman "Der Sklavenkrieg".
Arthur Koestler damals, sein Roman "Der Sklavenkrieg" heute (imago images/KHARBINE-TAPABOR / Elsinor Verlag)
Spartakus – wer denkt da nicht an Kirk Douglas in Stanley Kubricks legendärem Film von 1960. Der basierte auf einem Roman von Howard Fast, einer von rund einem Dutzend literarischen Bearbeitungen eines historisch verbürgten Sklaven-Aufstands im alten Rom. Spartakus, so der Name des Anführers, wurde im 20. Jahrhundert zum Patron gesellschaftlicher Bewegungen, die sich in der Tradition des Aufbegehrens Entrechteter gegen Herrschende sahen. So nannte sich die Kommunistische Partei Deutschlands während des Ersten Weltkriegs Spartakusbund.  Das war es, was den deutsch-ungarischen Schriftsteller Arthur Koestler Mitte der Dreißiger Jahre auf die Spur von Spartakus brachte: die Geschichte eines Aufständischen und das Phänomen des Aufstands, sprich: der Revolution. Das war 1935 so aktuell wie 1916.

Prominenter Renegat

Arthur Koestler wusste, was er da auf den antiken Sklavenaufstand projizierte: Gilt er doch als einer der prominentesten Renegaten des Kommunismus, von dem er sich unter dem Eindruck der Stalinistischen Säuberungen 1938 abwandte.

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„Die Zeiten werden immer bedrohlicher, fünf Jahre sind vergangen seit des großen Diktatoren Sulla Tod, seither ist die Welt wieder aus den Fugen. Sulla, das war ein Mann, der hatte es verstanden, Ordnung zu halten, die Plebs mit eiserner Faust niederzupressen. Ein ganzes Jahrhundert der revolutionären Wirren war ihm vorausgegangen: die Gracchen mit ihren verrückten Reformplänen, die schrecklichen Sklavenaufstände in Sizilien, der Terror des Pöbels unter Marius und Cinna, die die Sklaven Roms bewaffnet hatten und gegen die Adelspartei losließen. Hart am Abgrund stand damals die zivilisierte Welt. Sklaven, stinkend-stures Gesindel, besitzloses Proletariat, drohten die Macht an sich zu reißen, gaben vor, die Herren von morgen zu sein.“

Revolution und Verdauung

Koestlers "Der Sklavenkrieg" ist ein historischer Roman mit allem, was dazugehört: einer spielerischen Annäherung an eine zeitlos antikisierende Sprache, dem Streuen sinnlich-alltäglicher Details zur Grundierung des historischen Kolorits:
"Die Leute tragen keine Fesseln, verfluchte neumodische Laxheit, und die Aufseher schlendern weit hinter dem Trupp.“
Die Dialoge sind verpackte Diskurse über die brennenden Fragen der Gegenwart, der zitierten antiken ebenso wie der erlebten eigenen – seien es ökonomische Exkurse, historische, historiografische oder auch philosophische, nicht immer ganz ernst gemeint:
„Seit längerer Zeit bereits beschäftige ihn der Gedanke, dem er, sobald er Zeit dazu fände, auch in einer kleinen Schrift Ausdruck geben möchte: dass nämlich alle aufrührerische Gesinnung und aller revolutionärer Fanatismus letzten Endes auf eine ungeregelte Verdauung, genauer gesprochen, auf chronische Konstipation zurückzuführen seien.“
Das ist natürlich nicht Arthur Koestlers Analyse. Er erkennt tiefere Gründe für die Notwendigkeit des Aufstands – aber auch dafür, dass der immer wieder scheitert. Es ist ein wiederkehrendes Motiv, das Angebot einer Erklärung, ein Muster, das auch "Sonnenfinsternis" und den 1943 erschienenen Roman "Ein Mann springt in die Tiefe" organisiert.

Das Gesetz des Umwegs

Es ist sozusagen der Markenkern von Arthur Koestlers Renegatentum und seiner soziologisch-literarischen Analyse des Kommunismus als Bewegung und des Aufstands als zum Scheitern verurteiltem Prinzip.
„Das Gesetz des Umwegs“ - so ist das zweite Buch von "Der Sklavenkrieg" überschrieben.
„Gott hat die ganze Welt in fünf Tagen erschaffen, er hat sich zu sehr beeilt damit. Sehr vieles ist ihm in der Eile falsch geraten, und als er am sechsten Tag beim Menschen hielt, war er müde und wütend und hat ihm vielerlei Flüche auferlegt. Aber der schlimmste aller Flüche ist, dass er den bösen Weg gehen muss um des Guten willen; und dass er Umwege machen und krumme Wege gehen muss um des gerade Zieles willen. … Das Gesetz des Umwegs … Keiner kann sich ihm entziehn. Jeden, der ein Ziel hat, zwingt es in seine trübe Bahn.“
Auch "Der Sklavenkrieg" erschien zunächst auf Englisch, 1948 in einer Rückübersetzung auf Deutsch. 2016 konnte ein Typoskript im Moskauer Archiv des KGB als Originalfassung des Romans identifiziert werden, den wir nun also erstmals in der Form lesen können, in der der Autor ihn entworfen hat.

Ein doppelt historischer Roman

Es ist ein doppelt historischer Roman: eine Parabel im antiken Gewand, doch auch der moderne, zeitgenössische Kern, der jedem historischen Roman innewohnt, was die Spannung des Genres ausmacht, ist selbst historisch. Es ist der Blick eines Renegaten auf den Kommunismus Mitte der Dreißigerjahr, eine zerstobene Hoffnung, die sich aber nicht ganz der Hoffnungslosigkeit überlassen will – so wie die vielen im Verlauf des Romans auf grausame, jeweils detailliert ausgeführte Weise Gekreuzigten:
"Das Wissen, dass immer Einer da sein wird, der das Wort aufnimmt und das Kreuz besteigt, bis schließlich der Letzte es vollendet.“
So lautet der letzte Satz vor dem Epilog. Arthur Koestler hat nie so recht in den literarischen Kanon gefunden, weder in den englischen noch in den deutschen. Für ein Verständnis seines Gesamtwerks, seines literarischen Projekts, seiner Durcharbeitung des Phänomens Revolution ist Der Sklavenkrieg ein unverzichtbarer Baustein. Die doppelt historische Brechung ist für uns Heutige gewöhnungsbedürftig – aber auch nicht ohne Reiz.
Arthur Koestler: "Der Sklavenkrieg"
Elsinor Verlag, Coesfeld
329 Seiten, 29 Euroe