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Arthur Schnitzler
Satire über junge Literaten und einen gescheiterten Dichter

Die Novelle "Später Ruhm" von Arthur Schnitzler wird als Sensationsfund angekündigt. Sie ist aber keine Neuentdeckung, Schnitzlers Sohn war sie bekannt und auch im Nachlassregister ist der Text aufgeführt. "Später Ruhm" handelt über junge Literaten, und über einen alten gescheiterten Dichter.

Von Eva Pfister | 14.07.2014
    Der 1931 verstorbene österreichische Schriftsteller und Arzt in einer zeitgenössischen Aufnahme.
    Der 1931 verstorbene österreichische Schriftsteller und Arzt in einer zeitgenössischen Aufnahme. (picture-alliance / dpa)
    Arthur Schnitzler war 32 Jahre alt, als er seine "Geschichte von einem greisen Dichter" schrieb. Mit erstaunlicher Einfühlung versetzte er sich in den betagten Eduard Saxberger, der plötzlich mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Eine Gruppe junger Literaten mit dem sprechenden Namen "Begeisterung" hat in einem Antiquariat seinen einzigen gedruckten Gedichtband entdeckt und den alten Meister an ihren Tisch im Kaffeehaus gebeten. Da sitzt er nun und sieht in junge Gesichter, aus denen ihm Bewunderung entgegenleuchtet. Er soll für einen Vortragsabend sogar ein neues Werk beizusteuern. Aber so viel vermag der Jungbrunnen dann doch nicht: Saxberger gelingt es nicht mehr, ein Gedicht zu schreiben.
    Schnitzlers Novelle "Später Ruhm" ist eine Satire über junge Literaten und ein sensibles Psychogramm, das ein junger Autor, der an der Schwelle zum Erfolg stand, über einen alten, gescheiterten Dichter schrieb. Was mag ihn dazu bewogen haben? War es der Tod seines Vaters, der in jene Zeit fiel? Oder verarbeitete Schnitzler hier seine Alpträume von der Möglichkeit des eigenen Scheiterns?
    Träume waren für Arthur Schnitzler ein wichtiger Schlüssel zur Selbsterkenntnis, schon bevor er Sigmund Freuds "Traumdeutung" las. Interessanterweise bleibt Eduard Saxberger gerade beim Thema Traum stecken, als er versucht, ein neues Gedicht zu schreiben.
    "Die Jugend... sie kam, sie beugte ihr Knie... da ist der alte Mann erwacht... aus dem Traume ist er erwacht... ich habe geträumt... ich habe mein Leben geträumt... Ja, das war gut, von da aus musste es weitergeführt werden: dass er sein Leben eigentlich geträumt hätte. Aber wie nun weiter? ... Immer wieder dieselben Worte ... geträumtes Leben, geträumtes Leben. Und davon konnte er nicht weg. Es war, als hielte ihn jemand auf diesen paar Silben fest, wie man einen auf einen Sessel niederdrückt."
    Der alte Herr wird Meister genannt
    Da gibt der alte Herr auf und schüttelt die ärgerlichen Gedanken ab. Saxberger, von den jungen Literaten gerne Meister genannt, erinnert vom Namen her nicht zufällig an eine Gestalt in einer von Schnitzlers Lieblingsopern. In Richard Wagners "Meistersinger" gibt Meister Sachs einem jungen Ritter, von dessen Talent er überzeugt ist, den Rat, aus dem Traum sein Lied zu schöpfen. Denn: "Das grad ist Dichters Werk, dass er sein Träumen deut und merk".
    Im Unterschied zu Hans Sachs ist Saxberger kein Meister. Nicht nur, dass er vor seinen eigenen Träumen zurückschreckt und sich damit von einer Inspirationsquelle abschneidet, er ist auch nicht daran interessiert, junge Talente zu fördern. Dass die Jungliteraten, die ihn so ausgiebig feiern, von ihm Anerkennung und auch tatkräftige Unterstützung erhoffen, merkt er nicht.
    Biografische Parallelen
    Arthur Schnitzler gehörte in jener Zeit zur Literatengruppe "Jung Wien". Man kann im Verein "Begeisterung" ein Zerrbild dieses Kreises sehen. Da gibt es den glatzköpfigen Melancholiker mit schwarzem Bart, der an Peter Altenberg erinnert, den schüchternen Jüngling, äußerlich Hugo von Hofmannsthal ähnelnd, den langhaarigen Bohemien, der historische Dramen verfasst, wie der ganz junge Schnitzler. Und es gibt den energischen Organisator, der wohl bald bei einer Zeitung landen wird - und sich schon von der Gruppe zu distanzieren beginnt. Vielleicht ist damit Hermann Bahr gemeint, Mitherausgeber einer Zeitschrift, in der die Novelle "Später Ruhm" erscheinen sollte. Was aber daran scheiterte, dass Bahr von Schnitzler verlangte, sie um zwei Drittel zu kürzen.
    1894, in dem Jahr, als Schnitzler die Erzählung "Später Ruhm" schrieb, hatte er gerade die Skandal-Aufführung seines ersten abendfüllenden Theaterstücks "Das Märchen" hinter sich. Ein Jahr später erlebte er seinen Durchbruch, als "Liebelei" am Burgtheater zur Uraufführung kam und die große Novelle "Sterben" vom Fischer Verlag als Buch herausgegeben wurde. An dieser Novelle arbeitete Schnitzler schon zeitgleich mit seiner Satire von den Jungliteraten, denn er lässt die Protagonisten darin als Episodenfiguren auftauchen. Saxberger begegnet ihnen, als er am Donaukanal spazieren geht.
    "Ein Paar fiel dem alten Herrn auf: sie, ein ganz junges Geschöpf in blauem Leinenkleidchen, ohne Hut mit einem Kopftuch, das herabgesunken war und dessen Enden um den Nacken hingen; er, ein sehr langer, kränklich aussehender junger Mann, mit blassem bartlosen Gesicht. Er sah die beiden von Weitem ihm entgegenkommen, es war, als schwebten sie langsam aus dem Dunkel hervor. Sie schwiegen, sahen beide vor sich hin, es lag in ihrem Gang etwas unsäglich Trauriges."
    Eduard Saxberger nimmt die beiden Gestalten wahr, so wie er auch die Atmosphäre dieser Abenddämmerung am Stadtrand genau wahrnimmt, aber er begreift nicht, was sich ihm hier zum Schreiben anbietet. Nein, ein Meister ist dieser Saxberger nicht. Aber wie der junge Schnitzler in "Später Ruhm" seinen Albtraum vom Scheitern literarisch verarbeitet, ist neben viel köstlicher Satire auch schon meisterhaft.
    Arthur Schnitzler, "Später Ruhm", herausgegeben und mit einem Nachwort von Wilhelm Hemecker und David Österle, Zsolnay Verlag, Wien 2014, 160 Seiten, 17,90 Euro.