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"Assad ist nicht mehr vertretbar"

Für eine Lösung des Konflikts in Syrien sei es unabdingbar, dass Präsident Baschar al-Assad auf seine Macht verzichtet, sagt der syrisch-stämmige Grünen-Politiker Ferhad Ahma, der auch Mitglied des Syrischen Nationalrats ist.

Ferhad Ahma im Gespräch mit Jasper Barenberg | 09.02.2012
    Jasper Barenberg: Mit aller Macht versucht das Regime in Syrien, offenkundig den Widerstand der Opposition im Land zu brechen. Schon den fünften Tag in Folge bombardieren die Streitkräfte von Präsident Assad die zentral gelegene Stadt Homs. Gestern berichteten Regierungsgegner und Menschenrechtsgruppen von Dutzenden Toten, Hunderte sollen es in den vergangenen Tagen gewesen sein, auch von Gräueltaten an der Zivilbevölkerung ist die Rede und auch die Angriffe auf Homs gehen weiter.
    Welche Möglichkeiten bleiben also, um das Töten zu stoppen, vor allem nachdem China und Russland eine Resolution der Vereinten Nationen abermals verhindert haben? – Vor der Sendung konnte ich darüber mit Ferhad Ahma sprechen, als Mitglied des Syrischen Nationalrates gehört er zur organisierten Opposition außerhalb des Landes. Für die Grünen sitzt der 37-Jährige außerdem in der Bezirksverordnetenversammlung in Berlin-Mitte. Ist mit dem Veto Chinas und Russlands der Versuch einer diplomatischen Lösung gescheitert? Das habe ich Ferhad Ahma zunächst gefragt.

    Ferhad Ahma: Zumindest über den Sicherheitsrat. Russland hat ja mit dem Veto im Prinzip dem Regime einen Freibrief gegeben, um weiter seine Militärlösung durchzusetzen, und nach dem letzten Besuch des russischen Außenministers in Damaskus kamen auch die letzten Äußerungen, und die bedeuten im Prinzip für uns, dass Russland sich nicht mehr einmischen wird, zumindest nicht zu Gunsten einer politischen Lösung. Das heißt im Prinzip auch, dass man auf den Sicherheitsrat jetzt bis auf weiteres verzichten muss und noch andere Möglichkeiten suchen muss. Das ist unter anderem, was auch vorgeschlagen wurde, eine internationale Kontaktgruppe, die sogenannten "Freunde Syriens", die man gründen muss. Da sind ja auch Staaten, vor allem EU-Staaten, die USA wollen das auch unterstützen, die Türkei wird dieses Vorhaben auch weiter unterstützen und vor allem die Mitglieder der Arabischen Liga, unter anderem als etwas besonderes natürlich die arabischen Golf-Staaten.

    Barenberg: Russland will ja eine Resolution im Sicherheitsrat nur mittragen, wenn dort beide Seiten zum Gewaltverzicht aufgerufen werden und wenn ein Dialog zwischen allen Beteiligten ins Leben gerufen wird. Warum ist das aus Ihrer Sicht unannehmbar?

    Ahma: Das war im Prinzip der Inhalt der arabischen Initiative, die auch Russland unter anderem unterstützt hat und gefordert hat. Es gab ja auch die arabische Initiative, das Regime hat sich aber daran nicht gehalten. Es hieß, das Regime muss die Panzer beziehungsweise die Armee insgesamt aus den Städten herausziehen, die Häftlinge freilassen und dann später natürlich auch den Menschen gestatten, dass sie friedlich auf die Straße gehen dürfen. Das ist aber leider nicht geschehen, man hat nur auf die militärische Lösung gesetzt und Russland hat auch ein Auge zugedrückt. Russland hat ja von vornherein auch gesagt, wenn die Arabische Liga ihre Initiative für gescheitert erklärt und zum Sicherheitsrat geht, würden wir dieses Vorhaben dann unterstützen. Das ist auch geschehen, Russland hat sich aber an die Abmachung im Prinzip nicht gehalten. Jetzt kommt noch mal der Versuch, die beiden Seiten so darzustellen, als ob man wirklich in einem Kriege leben würde, und zwar von zwei gleichberechtigten Seiten, also von zwei Armeen. Das ist aber nicht der Fall und deswegen ist die Forderung an sich auch unplausibel und auch undurchsetzbar.

    Barenberg: Nun gibt es die sogenannte "Freie Syrische Armee", dort haben sich ja Deserteure zusammengeschlossen, die mit Gewalt gegen das Regime kämpfen, es gibt auch Kämpfer aus anderen islamischen Staaten. Wie soll man mit diesen Tatsachen umgehen in dem Konflikt, dass es inzwischen Gewalt durchaus von beiden Seiten gibt?

    Ahma: Die Gewalt wurde ja vom Regime provoziert und die Gewalt, die im Prinzip von der Syrischen Freien Armee ausgeübt wird, wenn man das so annimmt, wird ja nicht überall in Syrien verwendet. Also es ist ja nur punktuell, vor allem in Homs, in Dar’a in manchen Gebieten, aber auch in den Vororten von Damaskus, wo die Menschen tagtäglich von der syrischen regulären Armee angegriffen werden, und da haben diese Deserteure, die Soldaten sich zu Einheiten zusammengeschlossen und versuchen, dass die Demonstranten nur defensive Aufgaben übernehmen, indem sie die Demonstranten schützen. In anderen Gebieten des Landes, wo der Staat im Prinzip nicht eingreift, nicht militärisch eingreift vor allem, gibt es keine militärischen Auseinandersetzungen. Das heißt im Prinzip, die Gewalt geht ja vom Staat, vom Regime aus, und das, was wir auf der anderen Seite erleben, ist ja eine Reaktion auf diese Gewaltausübung.

    Barenberg: Die arabische Initiative, Sie haben sie angesprochen, sie sieht ja vor einen Dialog, aber zuvor einen Verzicht auf die Macht von Seiten Präsident Assads. Das ist ja auch die Forderung des Syrischen Nationalrats, dem Sie angehören. Warum ist das für Sie eine Bedingung, ohne die kein Dialog vorstellbar ist?

    Ahma: ... , weil der Assad nicht mehr tragbar ist. Also der ist nicht mehr als Präsident vertretbar für das Land. Er hat ja auch zu verantworten, dass bis jetzt seit Mitte März mindestens 7.000 Menschen ums Leben gekommen sind, und mit so einem Herrscher kann man im Prinzip keine Lösung jetzt finden. Deswegen ist es ja unabdingbar, dass er auf die Macht verzichtet, zumindest seine Kompetenzen auf seinen Vize dann erst mal überträgt, damit man in einen Dialog tritt und versucht, auch die Übergangsphase zu gestalten. Das ist leider aber nicht geschehen, es sieht so aus, als ob der Assad einfach das Land wirklich ins Chaos führen möchte und darauf wettet, dass er dadurch seine Macht noch weiter behalten wird.

    Barenberg: Nehmen wir mal an, Herr Ahma, Präsident Assad würde tatsächlich zurücktreten und seine Macht an seinen Vizepräsidenten übertragen – auch der ist ja ein Repräsentant des Regimes, das in den letzten Monaten so blutig vorgegangen ist, wie das eben der Fall ist -, mit dem würden Sie dann aber verhandeln?

    Ahma: Nun, man muss einfach Kompromisse eingehen. Das ist natürlich nicht so leicht, vor allem für die Angehörigen von getöteten Menschen in Syrien, noch mit Vertretern dieses Regimes zu verhandeln und die auch zu akzeptieren. Aber andernfalls gibt es hier einfach schlimmere Szenarien, die dieses Land dann erwarten. Deswegen hat man sich einfach darauf geeinigt, dass die Figur von Baschar al-Assad weggehen muss, und man kann dann auch unter anderem mit Vertretern des Regimes, die nicht persönlich in diese großen Straftaten verwickelt sind, verhandeln – mit dem klaren Ziel aber, dass die Übergangsphase begrenzt sein wird und dass das auch das Ziel haben wird, das Regime aufzulösen und einen neuen demokratischen Aufbau zu beginnen, mit dem Ergebnis natürlich auch, ein demokratisches System letztendlich zu haben.

    Barenberg: Es gibt ja nicht nur die Opposition im Exil, es gibt nicht nur den Syrischen Nationalrat, sondern auch im Land selber oppositionelle Kräfte neben den Aufständischen, also insgesamt drei verschiedene Parteien, kann man sagen, und es besteht keine Einigkeit. Zum Beispiel fordern ja Vertreter der Opposition in Syrien selbst, dass Assad durchaus an der Spitze einer Einheitsregierung übergangsweise stehen könnte. Welchen Schaden richtet diese mangelnde Einigkeit innerhalb der Oppositionsgruppen an?

    Ahma: Nun, es gibt auch tatsächlich Differenzen hinsichtlich verschiedener Fragen. Auch diese Frage wurde erst mal aufgeworfen, dass man dem Assad erst mal die Chance gibt, selbst auch so eine Einheitsregierung zu bilden und auch zu führen für eine gewisse Zeit. Das war im Prinzip auch die Meinung der Mehrheit der Syrer am Anfang der Protestbewegung. Jetzt ist die aber nicht mehr durchsetzbar. Selbst die, die dafür geworben haben, glauben nicht mehr daran und selbst die Oppositionspartei beziehungsweise Seiten, die dafür plädiert haben, sagen jetzt nun mal, der Assad ist nicht mehr vertretbar, mit ihm kann man einfach keine Lösung jetzt abschließen.

    Barenberg: Müssen Sie aber anerkennen, dass es der Opposition, dass es auch den Aufständischen nach nun fast einem Jahr nicht gelungen ist, dass die Oppositionsbewegung zu schwach ist, um das Ende des Regimes von Assad herbeizuführen, zu erzwingen?

    Ahma: Das ist gar keine Frage, dass es unglaublich schwierig ist, dieses System zu ändern. Immerhin hat die Baath-Partei fast 50 Jahre lang Zeit gehabt, so ein System einfach nach eigenen Maßstäben zu bauen und zu formieren, und selbst die Familie al-Assad regiert ja seit Anfang der 70er-Jahre und bis jetzt. Das heißt, alle wichtigen Posten im Staat, sei es in der Wirtschaft, im Militär, aber auch in der Politik, sind von Anhängern des Regimes auch weitgehend besetzt. Das ist keine einfache Aufgabe, aber die syrische Bevölkerung weiß das natürlich und geht deswegen auf die Straße. Man hat natürlich viel mehr geopfert, als man erwartet hat, aber letztendlich muss es einfach eine Lösung geben und letztendlich muss dieses Regime auch enden. Es kann einfach nicht sein, dass dieses Regime ewig regiert, wie es auch für sich natürlich in Anspruch nimmt.

    Barenberg: Welchen Beitrag könnte die Türkei in diesem Zusammenhang leisten? Sie haben das Stichwort internationale Kontaktgruppe erwähnt. Die Türkei möchte eine neue Initiative starten, ist auch in Gesprächen mit der politischen Führung in Russland. Kann sie eine konstruktive Rolle spielen, die Türkei?

    Ahma: Die Türkei hat ja fast in bestimmten Zeiten ihre Glaubwürdigkeit bei der syrischen Opposition verloren. Sie hat ja mehrmals Vorschläge gemacht, sie hat mehrmals auch gedroht, dass sie noch intensiver sich einmischen wolle, politisch gesehen. Sie hat aber nichts getan, vor allem bis jetzt. Sie hat natürlich auch Flüchtlinge aufgenommen, sie hat auch eine gewisse Unterstützung geleistet, aber konkrete Vorschläge, konkrete Intervention in politischer Hinsicht kam von Seiten der Türkei leider bis jetzt nicht an.
    Wichtig wäre, wenn die Türkei ihren Einfluss jetzt weiter nutzen würde und auf Assad natürlich auch wirken wird, damit er auf die Macht verzichtet. Ansonsten muss die Türkei viel intensiver mit der Arabischen Liga zusammenarbeiten, muss auch versuchen, mit der EU viel mehr zusammenzuarbeiten. Die Türkei könnte auch mit Russland ein bisschen in Verhandlungen treten, damit Russland auch ein bisschen von seiner Position abrückt und versucht, einen anderen Weg dann einzugehen.

    Barenberg: Zum Schluss, Herr Ahma: Würden Sie es unterstützen, wenn Staaten des Westens die Aufständischen in Syrien mit Waffen unterstützen würden?

    Ahma: Wir rufen dazu auf, dass die Opposition grundsätzlich unterstützt wird, dass die syrische Opposition politische Unterstützung vor allem erfährt, dass sie auch unter anderem finanzielle Unterstützung erfährt. Ich glaube, es ist nicht die Frage, ob man hier Waffen braucht in Syrien, sondern eher politische Unterstützung, die hier fehlt, auch vor allem finanzielle Unterstützung. Für alles andere kann die syrische Bevölkerung selbst sorgen, auch selbst für einen Wandel sorgen.

    Barenberg: Ferhad Ahma vom oppositionellen Syrischen Nationalrat, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Danke schön für dieses Gespräch.

    Ahma: Ich danke Ihnen auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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