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"Assad wird sich nicht halten können"

Angesichts der immer schwerer werdenden Kämpfe in Syrien und dort in der Hauptstadt Damaskus ist für Jürgen Chrobog eine Zeitenwende erreicht: Der Nahostkenner gibt Machthaber Bashar al-Assad keine Zukunft mehr im eigenen Land - und warnt vor Syriens Bestand an chemischen Waffen.

Das Gespräch führte Silvia Engels |
    Silvia Engels: In Syrien ist am Wochenende weiter erbittert gekämpft worden. Welche Seite die Oberhand behält, ist offen. Die EU-Außenminister werden sich heute mit diesem Thema befassen, aber auch die europäischen Innenminister, die derzeit auf Zypern zusammenkommen, müssen sich die Frage vorlegen, denn die Kämpfe in Syrien haben die Tagesordnung dahingehend verändert, dass sich die Frage stellt, ob mehr Syrer in Massen und dann auch in Richtung Zypern oder andere EU-Grenzen flüchten werden. Und wenn ja, was tun?
    Am Wochenende berichteten Beobachter vor allem über Gefechte in den syrischen Städten Damaskus und Aleppo. Eine militärische Entscheidung für eine Seite ist nicht in Sicht. Dafür steigen die Flüchtlingszahlen weiter, und am Telefon ist Jürgen Chrobog, lange Jahre Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Kenner der Region des Nahen und Mittleren Ostens. Guten Morgen, Herr Chrobog.

    Jürgen Chrobog: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Greifen wir das Thema Flüchtlinge direkt auf. Zehntausende Syrer haben ja das Land bereits verlassen. Rechnen Sie angesichts der weiter eskalierenden Lage im Land damit, dass diese Zahlen weiter anschwellen?

    Chrobog: Das ist zu vermuten, denn die Leute, die Menschen, die jetzt hier wirklich unter militärischem Druck sind und höchst gefährdet sind, werden natürlich versuchen, das Land zu verlassen. Aber die meisten von ihnen sicher nicht auf Dauer, sie wollen ja zurückkehren in ihre Heimatorte. Aber sie werden erst mal Aufnahme finden müssen; und hier mache ich mir weniger Sorgen um Zypern und die Europäische Union, als um die Länder darum herum wie Libanon zum Beispiel, wo es ja große Spannungen gibt und wo sie nicht immer willkommen sind - und vielleicht auch manchmal große Gefahr laufen, dort misshandelt zu werden oder eben nicht freundlich aufgenommen zu werden.

    Engels: Die Dauer des Konflikts in Syrien wird zunehmend zum großen Thema, auch für die Flüchtlingsfrage entscheidend. Außenminister Westerwelle spricht heute in der "Süddeutschen Zeitung" von einem Wendepunkt im Syrien-Konflikt. Er bezieht sich sowohl auf die Blockade im Sicherheitsrat einerseits, aber auch auf die militärischen Erfolge der Opposition. Bis zu einer Entscheidung könnte es aber auch noch blutiger werden. Wie sehen Sie den Zeithorizont für diesen Konflikt?

    Chrobog: Das ist wirklich hoch spekulativ und ich maße mir gar nicht an, hier Prognosen zu stellen. Aber manchmal geht es ja am Ende doch schneller, als man erwartet hat. Wir haben es ja in Libyen gesehen, wir haben es in Ägypten gesehen. Die Zeitenwende ist eingetreten, Assad wird sich nicht halten können, das hat man seit Monaten schon vorausgesagt. Jetzt wird es prekär für ihn, er wird eine Lösung finden müssen für sich selbst, oder er wird dort untergehen. Seine Tage sind auf jeden Fall gezählt, sehr lange kann es eigentlich nicht mehr dauern.

    Engels: Die Arabische Liga hat gestern noch einmal Präsident Assad sicheres Geleit in Aussicht gestellt, wenn er abtritt. Wird er dieses Angebot Ihrer Einschätzung nach diesmal annehmen?

    Chrobog: Er hat ja behauptet, er würde lieber in seinem Lande sterben, aber es gibt ja auch nur noch wenige Länder, wo er Aufnahme finden kann. Wer kommt denn noch infrage? Russland vielleicht, obwohl ich da auch nicht so sicher bin, und Iran möglicherweise, aber das sind alles keine Staaten, wo er sehr gerne seinen Lebensabend beenden wird. Ich fürchte, dass er auch den Moment verpassen wird, wie auch Gaddafi in Libyen, rechtzeitig das Land zu verlassen. Aber man weiß es natürlich nicht, das muss er dann selbst entscheiden.

    Engels: Sie haben Russland genannt, nach wie vor eine der letzten, aber wichtigsten Stützen des Assad-Regimes. Ist erkennbar, ob Moskau im Hintergrund an irgendeiner Lösung, die möglicherweise auch mit der Aufnahme Assads zu tun hätte, arbeitet?

    Chrobog: Russland ist natürlich in einer schwierigen Situation. Es verliert den engsten Partner seit Sowjetunion-Zeiten hier im Nahen Osten, sie haben ihren Stützpunkt dort, sie fürchten natürlich, dass der Einfluss der Amerikaner wächst und sie keinerlei Einfluss mehr haben werden, und sie ziehen natürlich eine Lehre aus der Libyen-Resolution, die ja damals extrem weit ausgedehnt worden ist, gegen die Interessen von Russland. Russland hat das toleriert, aber nicht gewollt, dass die NATO eingreift aufseiten der Bürgerkriegsparteien. Das ist damals geschehen und da sind sie jetzt ein gebranntes Kind natürlich. Aber es muss natürlich auch von Russland Bewegung stattfinden. Sie werden wahrscheinlich Assad nicht fallen lassen, aber in dem Moment, wo er geht, wo sich abzeichnet, dass seine Zeit zu Ende ist, werden sie natürlich auch Farbe bekennen müssen, wie es dann weitergeht in der Zukunft. Und es scheint mir, der wichtigste Punkt überhaupt zu sein, jetzt über die Zukunft nachzudenken, nach Assad. Was passiert zum Beispiel mit den chemischen Waffen, die ja dort vorhanden sind? Syrien hat das größte Waffenarsenal, chemische Waffenarsenal im Nahen Osten und darum geht es jetzt, dieses zu sichern, denn dieses Arsenal stellt eine ungeheuere Gefahr für die ganze arabische Welt dar, und hier gibt es auch eine Interessenkongruenz mit dem Westen. Hier könnten auch die Amerikaner und die Russen vielleicht eine gemeinsame Linie finden, nämlich was passiert, um sicherzustellen, dass diese Waffen nicht in falsche Hände kommen, und hier hat Russland ja auch ein ganz großes Interesse, was übrigens auch dem entspricht, das die Israelis haben und die Amerikaner.

    Engels: Hier könnte eine mögliche Interessenübereinstimmung entstehen, wenn es um die Einhegung der Chemiewaffen geht. Könnte auf der anderen Seite das auch genau dazu führen, dass doch noch eine Militärintervention westlicher Staaten daraus folgt, um eben Chemiewaffen zu sichern, wenn die Lage eskaliert? Es ist ja nicht ganz auszuschließen, dass Israel sich das nicht mehr so lange anschaut.

    Chrobog: Israel hat das schon erklärt. Allerdings gibt es auch Stimmen in Israel, die sagen, nicht bevor Assad weg ist dort, denn Assad garantiert doch noch eine gewisse Stabilität immerhin, auch was diese Waffen angeht. Aber in dem Moment, wenn er das Land verlässt, muss natürlich sichergestellt werden, dass diese Waffen nicht in falsche Hände geraten. Wer füllt das Vakuum in diesem Land aus? Das ist die große Frage. Werden noch Generale vielleicht, oder überhaupt das Militär in der Lage sein, dieses Waffenarsenal sicherzustellen, weil sie auch selbst natürlich ein Risiko für sich sehen, in der Zukunft verantwortlich gemacht zu werden für das, was passieren könnte. Auf jeden Fall muss verhindert werden, dass Hisbollah oder El Kaida in den Besitz dieser Waffen kommt, und hier gibt es eine große Übereinstimmung natürlich von Russland und dem Westen und vielleicht ist hier sogar eine gemeinsame Aktion möglich. Wir brauchen jetzt dringend eine internationale Allianz zur Sicherung des syrischen C-Waffen-Arsenals zwischen USA, Russland, auch Türkei. Wir haben ja auch König Abdullah von Jordanien gehört, der große Sorge ausgedrückt hat inzwischen, und hier sollte man zusammenarbeiten. Das ist vielleicht wichtiger als die Frage weiterer Sanktionen, das spielt ja sowieso kaum noch eine Rolle in der Zukunft. Aber diese Frage ist die entscheidende Frage für mein Empfinden.

    Engels: Sie haben das Stichwort Libanon mehrfach genannt, ohnehin ein fragiler Staat. Nun hat das syrische Regime darüber hinaus über Jahre hinweg die Hisbollah im Libanon unterstützt. Mit welcher Entwicklung rechnen Sie dort, wenn nun diese Politik auf Dauer ausfällt?

    Chrobog: Ich meine, sie werden jetzt auf sich selbst angewiesen sein, die Hisbollah im Libanon. Auch Iran wird sehr viel weniger Einfluss haben in dieser Region. Aber die Unruhen werden zunehmen und wir haben ja schon Demonstrationen gesehen und es ist nicht auszuschließen, dass dort der Bürgerkrieg wieder anfängt. Der Krieg in Syrien schwappt jetzt über auf die benachbarten Länder, vor allen Dingen auf den Libanon, und hier werden sicher unruhige Zeiten zu erkennen sein, und ich fürchte, hier haben wir noch einiges zu erwarten, denn die Hisbollah wird sich nicht entwaffnen lassen, die Hisbollah wird nicht aufgeben, die Hisbollah wird versuchen, zu retten was sie retten können in dieser Region, und hier sehe ich doch gefährliche Zeiten auf uns zukommen.

    Engels: Sehen Sie denn auch Perspektiven, dass in der Tat die Punkte, die Sie genannt haben, wo Interessensübereinstimmung herrscht, doch dazu führen, dass sich die großen Mächte im UN-Sicherheitsrat auf eine gemeinsame Linie noch verständigen können?

    Chrobog: Sicher nicht auf eine gemeinsame Linie gegen Assad. Der Zug ist abgefahren und die Russen werden hier auch nicht einlenken. Aber wenn Assad abgetreten ist, dann gibt es diese Übereinstimmung. Ob dann der Sicherheitsrat überhaupt noch Zeit hat zu entscheiden, oder ob man nicht gemeinsam eingreifen muss, ist dann eine Frage. Aber die Planung für diesen Zeitpunkt nach einem Abtritt von Assad muss jetzt vorgenommen werden. Das halte ich für absolut notwendig. Und ein Eingreifen Israels alleine dort wäre auch sicher nicht die beste Lösung. Dies sollten andere machen, denn Israel hat natürlich zu wenig Freunde in der Region und ein israelischer Angriff dort würde natürlich wieder Unruhe in der arabischen Welt auslösen. Also wie gesagt: die Übereinstimmung der Interessen zwischen vielen Ländern in der Region einschließlich der arabischen Staaten besteht hier, und diesen Weg sollte man verfolgen.

    Engels: Jürgen Chrobog, ehemaliger Staatssekretär im Auswärtigen Amt und langjähriger Kenner des Nahen Ostens. Vielen Dank für Ihre Analyse heute Morgen.

    Chrobog: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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